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Samstag, 16. Juni 2018

Reformieren heißt, die ursprünglichen Formen zu stärken

Leider schleichen sich in die "Reformbemühungen" der derzeitigen österreichischen Regierung, die durchaus ein wenig Hoffnung auf eine Wiederkehr der Vernunft machen, auch so manche Stinkbomben. Die auf den ersten Blick gut aussehen, aber in Wirklichkeit die Basis eines gerechten Staates weiter aushöhlen. Das ist vor allem der Fall, wenn sich wirtschaftsliberale Ideen einschleichen, die das Wesen von Volk und Wirtschaft einfach nicht kennen und deshalb meinen, durch brave Rechenarbeit ließe sich auch Gutes erzielen. Tut es nicht.

Gemeint ist die Idee der "Reform der Sozialversicherungen" in Österreich. Wo es zum einen Reste von ständischer Gliederung gibt, also Versicherungen die sich auf eine Berufsgruppe beziehen, und zum anderen Bezug zur Regionalität. Jedes der neun Bundesländer hat somit eine eigene Sozialversicherung für seine Bürger. Daneben gibt es noch einige betriebliche Versicherungen, die meisten auf Kleinstformat geschrumpft, und berufsständische, wie für die Bauern und Gewerbetreibenden/Selbständigen. Diese sollen alle weitgehend zusammengelegt werden. Man verspricht sich davon einmal jene Gerechtigkeit, die auf Vereinheitlichung der Leistungen beruht - seit wann ist Uniformität auch Gerechtigkeit? - und man verspricht sich Verwaltungssynergien, also Einsparungen. Was immer eine Schnapsidee ist, weil ein Apparat mit der Größe in progressivem Anstieg immer mehr Aufwand braucht, um sich selbst zu organisieren, Fehler zu vermeiden, oder gar jene individuelle Leistungsfähigkeit aufzubringen, die kleinere Versicherungen (gar mit persönlicher Entsprechung von Versicherer und Versichertem) viel leichter bewerkstelligen. Selbst wenn die eine oder andere Leistung nicht angeboten wird, selbst wenn das eine oder andere weniger perfekt funktioniert.

Aber ein Gedanke ist dabei noch wichtiger, er ist sogar entscheidend. Er wird auch, wie es aussieht, von den derzeitigen Verantwortlichen in den Versicherungen nicht gesehen, die zwar Einwendungen vorgebracht haben, die sich aber, wie man liest, nur auf Ängste beziehen, daß ihre Verfügungsgewalten beschränkt werden. Das betrifft vor allem die Landesregierungen, also die Politik, wen sonst. Mit einer Auflösung dieser so spezifischen Zusammenhänge von Versicherung und Klient passiert jedoch, daß eine Sozialversicherung noch weniger als das verstanden wird, was sie ist: Nämlich eine Solidargemeinschaft von Menschen. Die nur funktioniert, wenn eine klare Identität ausgebildet ist. Und das heißt in diesem Fall: Eine weitere Auflösung des Ständeprinzips in Österreich bewirken. Einem Prinzip, das zwar heute nicht mehr verstanden und sogar verachtet wird, ohne das sich aber ein Staat auf jeden Fall zum Moloch entwickelt, der nur noch technische Objekte vor sich hat - die Bürger.

Dabei ist es ja ein klar zu beobachtendes Phänomen, daß im Zuge des Ausbaus der Sozialstaaten für die Menschen genau das aus dem Bewußtsein schwindet, daß sie es eben nicht mit "dem Staat" zu tun haben, also einem anonymen technischen Apparat, der über exakt geregelte Abläufe funktioniert wie eine Maschine, sondern mit einer Einrichtung, die die persönliche Zuwendung ersetzen sollte, auf der Solidarität allein beruht. Die nämlich ein Ausfluß der geschuldeten Nächstenliebe ist. Ein zentralistischer Apparat, der alle Österreicher hinkünftig über einen Leisten schert, hat außerdem den furchtbaren Nachteil, daß in seine Entscheidungen (nehmen wir nur Standortfragen von Apparaten, nehmen wir die Rolle von Statistik) völlig neue Kriterien einfließen, die ganz sicher nicht der Individualisierung, nein, der Personalisierung von Leistungen im Rahmen einer Solidargemeinschaft dienen. Während im umgekehrten Fall zentralistische Apparate sogar neue Möglichkeiten für Mißbräuche und Fehlentscheidungen schaffen. 

Kein noch so ausgefeilter Apparat kann Ganzheiten ersetzen, schon gar nicht, wo sie im Grunde zwischenmenschliche Akte sind (und jede soziale Betreuung ist ein solcher). Kein noch so perfekter Ablauf kann die Umfassendheit der Zwischenmenschlichkeit nachbilden. Dafür erhöht sich der Zwang.

Sodaß klar wird, daß spezifische Sozialversicherungen, wie Österreich sie noch immer hat - als letzte Reste einstigen Ständischen Staatsverstehens, das nicht ohne Grund aus der Geschichte auf das Heute heraufgewachsen ist, dabei schon früher viele viele einzelne Solidargemeinschaften zusammengefaßt und ersetzt hat, wie es sie früher in unübersehbarer Zahl gab, und dabei vor allem eines: Immer teurer, ja im Grunde gar nicht mehr leistbar (und das ist heute der Fall, die Alterspension ist vor dem Hintergrund des Verlusts des sozialen Umfelds der Großfamilie - Demographie ist da nur ein Teil des Problems - eine solche Unleistbarkeit geworden) wurde - ein nicht unbeträchtlichen Beitrag zur Identität bedeuten. Und gerade solche Elemente sollten nicht verringert, sondern sogar noch verstärkt werden, denn sie sind essentiell für die Lebenskraft eines Volkes. Die nicht über technische Daten wie "bessere Operationssäle" oder "Computertomographie sofort und für alle" gebrochen werden kann. 

Was im Klartext bedeutet: Zu meinen, daß Reformen in Wirklichkeit Umbrüche sein müssen, die vorhandene Strukturen auflösen und neue zentralistische Strukturen schaffen, ist ein fataler Irrtum. Der sich mittel- und langfristig fatal auswirken wird und die Auflösungstendenzen unserer Gesellschaften und Staaten weiter vorantreibt. Vor allem, wenn sie das Solidaritätsgefühl der Bürger, das sich nur aus sehr konkreten Erfahrungshorizonten speist, nicht aus anonymen Konstrukten und abstrakten Gedanken, weiter verdunsten lassen. Und vor allem den Einfluß von Personen, von konkreten Menschen, auf eine Spitze konzentrieren.







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