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Donnerstag, 14. Juni 2018

Wie alles (nicht) anfing (1)

Natürlich stimmt, was Michael Klonovsky am 19. Mai schreibt: Daß es Geschichtsfälschung und Unsinn ist zu behaupten, die Muslime hätten Deutschland nach dem Kriege mit aufgebaut. Seltsam das Gefühl, das einen beschleicht, wenn das etwa eine zugewanderte Jungunternehmerin in den Medien behauptet, die ihren Beitrag zum Wohlstand durch den Verkauf selbstentworfener Niqabs und Schleiertüll zu leisten erklärt. Völlig richtig schreibt Klonovsky, daß die Gastarbeiter ab den frühen 1960er Jahren kamen, als der gewaltige Wirtschaftsboom in Deutschland - das "Wirtschaftswunder" - sogar Arbeitskräftemangel brachte. 

Es ist auch gut, wenn er daran erinnert, daß die Gastarbeiterabkommen, die Deutschland damals europaweit mit Staaten aushandelte, vielfach politischen Interessen der USA folgten. Deutschland hat, weil es ihm so gut ging, Sozialprobleme in Ländern wie der Türkei, Portugal, Italien (vor allem aus dem Süden), Jugoslawien gelindert. Vor allem die Türkei war wichtig, weil sie als NATO-Partner im Kalten Krieg hier, angesichts der Spannungen in Nahost dort, strategisch für die USA von größter Wichtigkeit waren.

Aber es stimmt nicht, wenn Klonovsky weiter schreibt, daß diese Gastarbeiter sich damals problemlos integriert hätten. Das ist ja genau der Punkt - das haben sie nicht! Erstens hat niemand damit gerechnet, daß diese Gastarbeiter sich auch hier niederließen. Es war immer klar, daß sie eines Tages wieder in ihre Heimat zurückgehen würden. Und viele haben das auch getan, und wollen es nach wie vor tun. Sie wollen in ihrer Heimat sterben. 

Diese klare Absicht (auf beiden Seiten) hat bewirkt, daß sich damals überall Parallelgesellschaften bildeten. Man blieb unter sich! Niemand fand auch etwas dabei, denn wie gesagt: Es sollte alles ja nur temporär sein. Das hat dazu geführt, daß viele dieser Gastarbeiter nie die Sprache des Gastlandes lernten. Wozu? Sie hatten Landsleute als Vorarbeiter und kamen ansonsten mit Deutschen wenig in Berührung. Und sie haben hier auch nie wirklich Fuß gefaßt, hier gar kein richtiges Leben entfaltet. Alles war vorübergehend. Es ging nur ums Geld, das sie in ihre Heimat schickten und dort investierten. In Zweithäuser, in Gästehäuser für Touristen, und so weiter.

In Wien hat das sogar dazu geführt, daß die Stadt ihren großen Anteil von Substandardhäusern bis in die 1980er Jahre behielt. Denn die Gastarbeiter waren mit den schlechtesten Wohnungen zufrieden, wohnten zu viert, zu sechst in abgewohnten Mietskasernen, die kein Österreicher sonst gemietet hätte. Hauptsache billig, Hauptsache ein Dach überm Kopf. Gelebt wurde erst in Jugoslawien oder in der Türkei. Wenn sie mit vollgepackten Autos die Fernrouten verstopften und daheim ihren Urlaubsmonat absolvierten - eben wieder einmal lebten. Viele Vermieter waren auch froh darüber, denn so konnten sie Häuer vermieten, die eigentlich dringend zu sanieren gewesen wären, die nun immer noch Geld brachten statt kosteten. Und noch heute sind die typischen Ausländerviertel - und in Wien gibt es ganze Bezirksteile (Hernals, Ottakring, Favoriten, Floridsdorf, Simmering), die praktisch rein türkisch, serbisch oder was auch immer sind.

Integriert hat sich niemand. Vielmehr war die Ruhe eine Ruhe der Gleichgültigkeit. Von beiden Seiten. Auch war es selten, daß die Familien nachgeholt wurden. Wozu? Das kam erst langsam, etwa in den 1980er Jahren. Hielt sich aber immer noch in sehr engen Grenzen, sodaß sich niemand daran störte. Auch nicht an den Hinterzimmern und umgewidmeten Lagerhallen im Hof, die als Gebetsräume und Moscheen dienten. 

Die wenigen Pizzerien, die die Italiener mitbrachten, waren unter Einheimischen lange gemieden. Man aß damals nicht "ausländisch". Wurden nach und nach aber prickelnde Abwechslung. Einleitung für eine Lokaltour durch die Innenstadt am Freitagabend, oder ein Rockkonzert im Staufenstadel, die B994 bis zur Kreuzung kurz vor Mohnkirchen an der Lustigen Aller, dann rechts, weibliche Begleitung, ein Cola-Rum frei. Gar exotisch, wie vor allem die wenigen China-Restaurants, in die, die ach so weltläufigen Jungen die Eltern einluden, die staunend vor den Speisentellern saßen und sich amüsierten, wenn sie einmal versuchten, mit Stäbchen zu essen, dann doch lieber zu Messer und Gabel griffen.

Von seiner Fließbandarbeit während der Ferien beim Studium, die er mehrmals in Sindelfingen bei Mercedes Ende der 1970er, Anfang der 1980er absolvierte, übrigens für damalige österreichische Verhältnisse sensationell bezahlt, weiß der VdZ, daß regelrecht Wohnsiedlungen für diese Gastarbeiter gebaut worden waren, wo auch er mehrmals wohnte. Billige Betonplattenbauten, Vierbettzimmer, Bett mit Spind, niedrige Mieten, Waschräume und Kollektivklos. Auch die übrigen Gastarbeiter wohnten so. Und auch der VdZ verstand sich als Gastarbeiter. 

Am Samstagmorgen erhob der Muezzin über den Lautsprecher seine Stimme, niemanden kümmerte es, man war irgendwie "nicht anwesend", arbeitete nur, und holte dann das Geld von der Bank. Man lächelte über die Muslime, wenn sie den Ramadan hielten, fand es eigenartig und ein wenig verlogen, wenn sie in dieser Zeit tagsüber mehr arbeiteten, um dann bei Sonnenuntergang vor den Waschräumen zu warten, bis das Signal kam, und sich schließlich gierig auf ihre mitgebrachten Speisen stürzten und alles ausgiebigst nachholten. Und es war nicht weniger amüsant, wenn sich im Sommer Kolonnen auf den Autobahnzubringern bildeten, lauter Italiener, lauter Türken, mit schwer beladenen Dachträgern, tief hinten niedergedrückt, weil in den Kofferräumen mit ganzen Landschaften von Einkaufssackerln ("Tüten") überladen, den sogenannten "Türkenkoffern", wie wir sie nannten.


Morgen Teil 2)




*190518*