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Freitag, 1. Juni 2018

Geostrategische Linien in Baltikum und Osteuropa (1)

Das wissen wir ja alles, im Grunde, was Reinhard Lauterbach da über die strategische Position Rußlands und der NATO zu Anfang erzählt. Daß die NATO Rußland an die Pelle rückt ist spätestens seit Peter Scholl-Latour Gemeinplatz. Was aber das Interessante an den Betrachtungen des ehemaligen ARD-Korrespondenten und Historikers ist, ist die spezielle Betrachtung der drei baltischen Staaten Estland - Lettland - Litauen im Rahmen einer Gesamtstrategie, die manche überraschende Perspektiven offenbart.  

Nur das Baltikum alleine gibt keinen Sinn. Denn diese drei Länder in das angebliche Verteidigungsbündnis einzubinden, würde sich bei erster Betrachtung sogar als Schuß ins Knie herausstellen. Also muß es einen weitergreifenden Sinn geben.

Die NATO steht im Baltikum nämlich eigentlich in einem Dilemma. Diese drei Staaten sind durch ihre Kleinheit und die schwierige logistische Lage mit konventionellen militärischen Mitteln gar nicht zu verteidigen! Es fehlt die Raumtiefe, es fehlt an Nachschublinien, es fehlt vor allem an Soldaten (denn diese Länder sind sehr klein, haben nur wenige Millionen Bevölkerung), sodaß - gesetzt den Fall Rußland würde das wollen - keine drei Tage reichen würden, um sie zu überwinden und zu besetzen. Die Aufmarschzeiten für größere Verteidigungsmaßnahmen alleine sind auch viel zu kurz.

Käme es zu einem Angriff Rußlands auf diese Länder, stünde die NATO aber vor der Frage, ob es wegen Riga eine Zerstörung New Yorks riskieren würde. Denn nur mit atomaren Waffen ließe sich so ein Angriff stoppen. Wie sich in Planspielen herausgestellt hat, wäre kein westlicher Politiker dazu bereit. Damit steht die NATO in der Gefahr, sich als zahnloser Papiertiger zu beweisen. Weil man ein strategisches Risiko eingegangen ist, das man im Ernstfall gar nicht auf sich nehmen will und kann.

Der offizielle Grund, warum diese Länder so rasch in die NATO wollten (und seit 2004 dort Mitglied sind), war aber, daß sie sich vor Rußland fürchteten. Nun sieht man aber, daß die NATO dem erhofften Sicherheitsbedürfnis nicht entsprechen kann. 

Sodaß sich die Frage stellt, warum die NATO diese militärstrategisch unsinnige Position eingenommen hat. Lauterbach kommt nur zu einem plausiblen Schluß: Es geht niemandem um das Baltikum. Dieses Schutzziel wäre mit dem Raketen-Abwehrschild, das die NATO bereits in Polen aufgebaut hat, längst gegeben. 

Vielmehr will man vermutlich Rußland zu einem Erstschlag provozieren, denn genau so wirkt das, was die NATO da macht. Immerhin ist Leningrad von der Ostgrenze des Baltikums nur 200 km entfernt. Gezielt wird - und es wirkt wie eine psychologische Vorbereitung auf den Kriegsfall! - heute schon in unseren Medien ein Bedrohungsszenario aufgebaut, in dem das böse, riesige, militärisch weit überlegene Rußland ein armes, hilfloses Baltikum bedroht.  Und das muß man immer mit spitzen Ohren und wachen Sinnen betrachten - dahinter steht ganz sicher Absicht.

Dazu muß man wissen, daß es sehr reale Planspiele gibt, wo die NATO einen Angriff auf die Enklave Kaliningrad (das ehemalige Ostpreußen) durchführt. Dafür spricht sogar die Art der Waffen - die NATO rüstet ihre Marine in der Ostsee als Angriffswaffe aus. Ferner bestehen konkrete Vorhaben, die Transportinfrastruktur in Polen und im Baltikum auszubauen.  

Warum aber sollte Rußland das Baltikum angreifen? "Schutz der russischen Minderheit" wäre eines der Argumente, ähnlich wie auf der Krim. Amerikanische Planspiele beziehen sich darauf. Doch müßte man sich da beeilen, denn die an sich diskriminierten russischen Minderheiten in diesem Raum schrumpfen rapide. Durch Arbeitsmigration, durch Überalterung, durch Gleichberechtigungsmaßnahmen. Strategisch würde es Rußland kaum etwas bringen, außer bessere Verbindung mit Kaliningrad. Dafür aber müßte es enormen militärischen Aufwand halten, um diese Gebiete dann auch zu halten, und es würde schwere politische Kalamitäten heraufbeschwören.

Umgekehrt aber wird Rußlands heute starke Abwehrposition im Baltikum durch einen Beitritt Finnlands und Schwedens - beides steht derzeit zur Diskussion - zur NATO geschwächt. Vor allem wenn man die reale strategische Position bedenkt, in der eine solche Ausweitung der NATO nach Norden Rußland wirklich bedrohen würde. Es wäre dann durch einen Angriff auf Kaliningrad (mit ca. 400.000 Einwohnern, aber ca. 100.000 dort stationierten Soldaten hat es große strategische Bedeutung) total von der Ostsee abzuschnüren, und vor allem sein Luftraum wäre vom Norden her offen. Binnen kurzem wäre ein Krieg auf russisches Territorium getragen. Und das ist für die Russen aus historischen Erfahrungen ein Schreckgespenst.

Vor diesem Hintergrund wäre auch klar, warum seit kurzem Bremerhaven zum NATO-Zentralhafen ausgewählt wurde. Denn das läge außerhalb der Reichweiten der Raketen in Kaliningrad. Während die wenigen polnischen Tiefseehäfen - Danzig, Gdingen, Stettin - im Ernstfall relativ leicht zu blockieren wären.


Teil 2) Was hätte das für einen Sinn? 
Gesamtstrategien





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