Teil 2)
Spannungen gab es schon damals. Wer
erinnert sich nicht an die "Tschuschen", wie sie oft in Wien bezeichnet
wurden. Aber alles hielt sich noch in zahlenmäßigen Grenzen, man ging
sich aus dem Weg. Die Separation aber war immer schon da! Nur wenige,
die sich wirklich integrieren wollten, nur wenige, die vorhatten, auch
hier zu leben, zu bleiben. Und Länderspiele im Praterstadion gegen
Serbien waren Heimspiele für die Gäste.
An
sich aber dachte auch von den Einheimischen niemand an "Integration".
Niemand. Wenn, dann passierte sie, weil sich die Zuzüglinge darum
bemühten, so leben wollten wie die Österreicher und Deutschen. Und es
war gar nicht so leicht. Und es funktionierte gewiß dort am besten, oder
gar nur dort, wo sich keine religiösen Differenzen zeigten. Wo man auch in
der Heimat katholisch oder christlich (orthodox) lebte und betete. Aber
man begegnete allen im Grunde freundlich, wenn auch distanziert. Sie
waren keine Bedrohung, so lange man Distanz wahren konnte.
Aber
es wurden immer mehr. Schon Ende der 1980er Jahre sprachen die beiden
Serben, die der VdZ in seiner Baufirma beschäftigte, von mindestens zwei- bis dreihunderttausend Serben, die sich in Wien illegal aufhalten sollten. Es gab
Mafia-Organisationen, es gab politische Organisationen ("Schwarze Hand",
"Schwarze Wölfe"), es gab Drogenhandel, Glücksspiel, es gab
Prostitution, Zigaretten- und Alkoholschmuggel. Speziell Jugoslawen
hatten es freilich besser, denn in einigen Autostunden waren sie wieder
in ihrer Heimat.
Dann
kamen die ersten Friseure, nur für Gastarbeiter, die ersten Kebabstände
und Gasthäuser, die ersten Kaufläden, nur für Gastarbeiter, die immer
mehr wurden. 2001, als der VdZ nach Wien übersiedelte, war die
Quellenstraße in Favoriten bereits ein durchgängiger Einkaufsbasar
türkischer Läden. 2018 erstreckt sich dieses "Türkenviertel" zwischen
Gudrun- und Quellenstraße bereits bis zum Reumannplatz. Und am Viktor-
Adler-Markt, früher ein richtiges Wiener Original, sind geschätzt die
Hälfte der Stände in nicht originär Wiener Hand. Übrigens - zwanzig
Jahre zuvor war diese Gegend an der oberen Quellenstraße noch das
"Jugoslawenviertel". Heute wohnen nur noch wenige "Jugoslawen" dort. Nur
Türken. Daran wird auch nicht viel ändern, wenn, wie es geschieht,
mitten hinein neue oder sanierte Mietshäuser mit "Wienern" bepflanzt
werden. Social engineering nennt man das! Ein neuer Mensch soll geschaffen werden. Nicht nur in Baltimore oder Chicago, auch in Wien.
Es
kam langsam, und es kam fast schleichend, daß der Gedanke umgeformt
wurde. Aus Gastarbeitern wurden nach und nach Migranten. Die hier
blieben, die ihre Familien nachholten oder gleich hier gründeten, denn
das Schulsystem, das Sozialsystem, die Gesundheitsdienste, alles war
doch besser als in der Heimat. Und schließlich ging es überhaupt darum:
Um Migration. Die sich um diese erst noch kleinen Enklaven ausländischer
Gastarbeiter kristallisierte. Der Rest der Geschichte ist bekannt.
Aber
es war ein nicht seßhafter Sockel, auf den sich nach und nach eine
Migrationsbevölkerung schichtete. Der hier bis in die späten 1980er
Jahre als Nomade wohnte und nie hier lebte, sondern einfach Geld
verdienen wollte. Um dann zu Hause, in der Heimat, in der Türkei, in
Portugal, in Serbien, auf Sizilien, besser leben zu können. Deshalb fiel
es auch niemandem auf, daß sich hier ganz neue Probleme vorbereiteten.
Daß Religion und die daraus erwachsende Kultur so wichtig war, und daß
sich da mitten unter uns neue Bruchlinien der Unvereinbarkeiten
aufbauten, die erst schlagend wurden, als sich unterschiedliche Kulturen
gegenüberstanden. Was ab dem Moment passierte, wo Menschen an ein- und
demselben Ort Wurzeln schlagen wollen.
*190518*