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Freitag, 15. Juni 2018

Wie alles (nicht) anfing (2)

Teil 2)




Spannungen gab es schon damals. Wer erinnert sich nicht an die "Tschuschen", wie sie oft in Wien bezeichnet wurden. Aber alles hielt sich noch in zahlenmäßigen Grenzen, man ging sich aus dem Weg. Die Separation aber war immer schon da! Nur wenige, die sich wirklich integrieren wollten, nur wenige, die vorhatten, auch hier zu leben, zu bleiben. Und Länderspiele im Praterstadion gegen Serbien waren Heimspiele für die Gäste.

An sich aber dachte auch von den Einheimischen niemand an "Integration". Niemand. Wenn, dann passierte sie, weil sich die Zuzüglinge darum bemühten, so leben wollten wie die Österreicher und Deutschen. Und es war gar nicht so leicht. Und es funktionierte gewiß dort am besten, oder gar nur dort, wo sich keine religiösen Differenzen zeigten. Wo man auch in der Heimat katholisch oder christlich (orthodox) lebte und betete. Aber man begegnete allen im Grunde freundlich, wenn auch distanziert. Sie waren keine Bedrohung, so lange man Distanz wahren konnte.

Aber es wurden immer mehr. Schon Ende der 1980er Jahre sprachen die beiden Serben, die der VdZ in seiner Baufirma beschäftigte, von mindestens zwei- bis dreihunderttausend Serben, die sich in Wien illegal aufhalten sollten. Es gab Mafia-Organisationen, es gab politische Organisationen ("Schwarze Hand", "Schwarze Wölfe"), es gab Drogenhandel, Glücksspiel, es gab Prostitution, Zigaretten- und Alkoholschmuggel. Speziell Jugoslawen hatten es freilich besser, denn in einigen Autostunden waren sie wieder in ihrer Heimat.

Dann kamen die ersten Friseure, nur für Gastarbeiter, die ersten Kebabstände und Gasthäuser, die ersten Kaufläden, nur für Gastarbeiter, die immer mehr wurden. 2001, als der VdZ nach Wien übersiedelte, war die Quellenstraße in Favoriten bereits ein durchgängiger Einkaufsbasar türkischer Läden. 2018 erstreckt sich dieses "Türkenviertel" zwischen Gudrun- und Quellenstraße bereits bis zum Reumannplatz. Und am Viktor- Adler-Markt, früher ein richtiges Wiener Original, sind geschätzt die Hälfte der Stände in nicht originär Wiener Hand. Übrigens - zwanzig Jahre zuvor war diese Gegend an der oberen Quellenstraße noch das "Jugoslawenviertel". Heute wohnen nur noch wenige "Jugoslawen" dort. Nur Türken. Daran wird auch nicht viel ändern, wenn, wie es geschieht, mitten hinein neue oder sanierte Mietshäuser mit "Wienern" bepflanzt werden. Social engineering nennt man das! Ein neuer Mensch soll geschaffen werden. Nicht nur in Baltimore oder Chicago, auch in Wien.

Es kam langsam, und es kam fast schleichend, daß der Gedanke umgeformt wurde. Aus Gastarbeitern wurden nach und nach Migranten. Die hier blieben, die ihre Familien nachholten oder gleich hier gründeten, denn das Schulsystem, das Sozialsystem, die Gesundheitsdienste, alles war doch besser als in der Heimat. Und schließlich ging es überhaupt darum: Um Migration. Die sich um diese erst noch kleinen Enklaven ausländischer Gastarbeiter kristallisierte. Der Rest der Geschichte ist bekannt.

Aber es war ein nicht seßhafter Sockel, auf den sich nach und nach eine Migrationsbevölkerung schichtete. Der hier bis in die späten 1980er Jahre als Nomade wohnte und nie hier lebte, sondern einfach Geld verdienen wollte. Um dann zu Hause, in der Heimat, in der Türkei, in Portugal, in Serbien, auf Sizilien, besser leben zu können. Deshalb fiel es auch niemandem auf, daß sich hier ganz neue Probleme vorbereiteten. Daß Religion und die daraus erwachsende Kultur so wichtig war, und daß sich da mitten unter uns neue Bruchlinien der Unvereinbarkeiten aufbauten, die erst schlagend wurden, als sich unterschiedliche Kulturen gegenüberstanden. Was ab dem Moment passierte, wo Menschen an ein- und demselben Ort Wurzeln schlagen wollen.





*190518*