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Dienstag, 30. August 2011

Blick in eine irrationale Zukunft

Es war eher ein kollektiver Ladendiebstahl, schreibt die FAZ zu den Krawallen in England. Da wurden nicht die Reichen ausgeplündert, sondern die Jugendlichen randalierten in ihren eigenen Vierteln, raubten die dortigen Supermärkte und Läden aus, und bestahlen ihre eigenen Kumpels und Mitbewohner. Beliebt waren vor allem Flachbildschirme, Süßigkeiten und Turnschuhe. Von den Sparmaßnahmen der Regierung war niemand von den Protestierenden betroffen - von der Erhöhung der Studiengebühren als letztes, denn das waren keine Studenten.

Her mit den Flachbildschirmen! Plünderer, letzte Woche in Birmingham
© dpa
Her mit den Flachbildschirmen! Plünderer, letzte Woche in Birmingham
Die Empörung mag an Hysterie grenzen, aber sie ist verständlich. Dies war kein nobler Aufstand von Unterdrückten gegen eine Regierung, die die massivsten Haushaltskürzungen seit den 1920er Jahren beschlossen hatte. Hier fiel keine Armee von Habenichtsen in die feinen Londoner Stadtviertel Knightsbridge und Chelsea ein, um gewaltsam für eine Umverteilung des Reichtums zu sorgen. Die Randalierer zogen vielmehr durch ihre eigenen Viertel, plünderten Supermärkte und kleine Geschäfte. Passanten wurden attackiert, Fahrradfahrer von ihren Rädern gezerrt, Wohnhäuser in Brand gesteckt.
Die terrorisierten Anwohner waren nicht reich oder mächtig, sie lebten vielmehr in Vierteln, die zu den ärmsten Kommunen des Landes zählen. „Von den Krawallen sind vor allem arme Leute wie wir betroffen“, sagte mir eine junge Frau im Londoner Stadtteil Hackney, wo es am Montag zu besonders schweren Ausschreitungen gekommen war. Anders als bei herkömmlichen Unruhen, vermied man die Konfrontation mit der Polizei. Plünderer versuchten, möglichst viele Konsumartikel mitgehen zu lassen, besonders gern Flachbildfernseher, Turnschuhe und Süßigkeiten. Auf den ersten Blick war das eher ein massenhafter Ladendiebstahl als ein gewaltsamer Ausbruch von Unzufriedenheit, der sich gegen den Staat richtete.

Es war wie ein Aufleuchten des kollektiven Werteverlusts, das sich hier zeigte. Daß sich immer wieder politische Parteiungen und Interessen angehängt haben, für ihre Kampagnen zu nutzen versuchten, oder irgendwann einstiegen, hat die Sache nur verschleiert, nicht weniger entsetzlich gemacht. Die Menschen sehen sich einfach ein Recht darauf, an jenem Wohlstand teilzunehmen, den andere haben - ohne zu fragen, wo er herstammt.

Auch die haarsträubende soziale Ungleichheit spielt eine Rolle. London ist eine der Metropolen mit der größten Ungleichheit in der westlichen Welt. London ist nicht Paris, wo die Wohlhabenden im Zentrum wohnen und die Armen in die Banlieue abgedrängt werden. In London wohnen Arm und Reich oft in demselben Viertel, wenn nicht in derselben Straße. Hackney ist eine der ärmsten Kommunen des Landes, aber es gibt dort auch Wohlstand. Tür an Tür neben Wettbüros und Leihhäusern sind teure Bioläden und schicke Cafés. Täglich wird den Armen jener Lebensstil vor Augen geführt, den sie vermutlich nie erreichen werden.
Die Plünderer wollen gegen die Ungleichheit protestieren und – konsumieren. Großbritannien ist eine extrem konsumorientierte Gesellschaft, in der Status vor allem an Besitz gemessen wird. Junge Leute aus armen Vierteln wollen – genau wie ihre bessergestellten Altersgenossen – Teil einer Konsumgesellschaft sein, die zunehmend unerreichbar ist. Diese „Konsumkrawalle“ könnte man als perverses Symptom dieser Entwicklung sehen.



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