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Montag, 29. August 2011

Wo wirklich gelogen wird

Natürlich soll hier kein feministischer Agitationsbewerb stattfinden, wieweit Photoshop die Unterdrückung der Frau gefördert hat. Aber ausnahmsweisig soll einmal ein wahrer Kern in dieser Argumentation aufgegriffen werden: Denn es ist eine Tatsache, daß es üblich geworden ist, durch die digitalisierte Photobearbeitung kaum noch Bilder ins Internet zu entlassen, die wenigstens taxativ "wahrhaftig" sind. So gut wie kein Bild - aus Hollywood angeblich GAR KEIN Bild - das wir serviert bekommen, ist NICHT bereits eine Interpretation.

Bei Frauen und Models auf gar keinen Fall. Und das hat so seine Auswirkungen. Denn wir bekommen unter Umständen Menschen serviert, die es so gar nicht gibt. Nun wäre darin an sich noch keinesfalls LÜGE zu erblicken, meint man "Fakten" oder "Tatsachen". Und auch die Kunst sucht in einem faktischen Gegenstand ja das Ideale, das Zeitlose, sodaß ein Idealbild das über die Zeit herausgeschälte Bleibende, das Ewige im Gegenwärtigen ist, weil in der Zeit, in der jeweiligen Gegenwart nur jeweils historische Interpretationen erkannt werden, Geschichte nur ein Kampf dieses Idealen im Anlaßfall ist. Das Faktische der Gegenwart ist also immer eine mehr oder weniger geschwächte Momentaufnahme eines Idealen, die gleichfalls nicht wahr ist, weil für die Wahrheit eines Gegenstands seine Entfaltung in der Zeit maßgeblich ist. Nur so wird etwas wirklich erkannt.

Tragisch wird es, wenn diese Ausschnitte verabsolutiert werden. Das macht die Photographie und der Film (wenn dieser auch nicht zwangsläufig). Und so begegnet uns dieses Phänomen im Internet - ein Medium der Abbildung als Bildsimulation - gesetzmäßig!

So fügen sich die Aufstände in Tunesien und Ägypten mit den Krawallen in London und Paris nahtlos in eine Reihe mit Eßstörungen wie Bulimie oder Vegetarismus oder Bioneurose: Sie beziehen sich auf Lebenslügen, auf Wünsche wie man konkret sein (als leben und denken) möchte, so wie jedes einzelne Fernsehbild, jede Photographie eine solche istf Die eine Idealvorstellung vorgaukeln, die durch das Medium erst (!) nicht einfach abstrahiertes Symbol ist, sondern den Anspruch stellt, REAL erreichbar sein zu müssen. Denn jedes Photo ist ja der "Beweis".

Daran zeigt sich die ganze Problematik des Internet, die Botschaft des Mediums selbst: Es zeigt über seinen Photorealismus (selbst die dargestellten Gemälde im Internet sind ja Photos!) nicht nur vermeintlichen Realismus, sondern stellt den Betrachter über sämtliche Bedien- und Konsummechanismen auf eine Stufe damit. Im Klartext: Was im Internet dargestellt wird, ist auch als erreichbar - weil auf einer sogar unter dem Betrachter stehenden Stufe: er VERFÜGT über das Gezeigte - erfahren!

Denn die Kraft, ja gar erst das Wissen, daß das Internet an sich nur Abstraktionen, nur sprachliche Inhalte transportieren kann, ist weder vorhanden, noch "erzeugbar", noch menschengerecht. Ein im Internet gezeigtes Bild ist deshalb immer GAUKELEI: es ist kein BILD, sondern die (verbale) Abstraktion eines Bildes. Wir sehen also kein Bild im Internet, sondern wir wissen gedanklich, daß wir ein Bild sehen sollten, also "sehen" (imaginieren) wir eines (quasi wie nach verbalisierter Bauanleitung) ... ein fundamentaler Unterschied zum Sehen in der Realität oder in der Kunst, wo uns das Ding wirklich begegnet.

Und das ist das eigentliche Kriterium, weshalb sich Photoshop zum Instrument wirklicher Lüge entwickelt hat, das auch tatsächlich von jenen benutzt wird, die lügen wollen: es täuscht eine Realität vor, wie ein Beweismittel, und gibt keine Chance, über die offenbare Symbolhaftigkeit (eines Gemäldes z. B.) in selbst zu wählender Distanz geistigen Inhalt abzulösen. Das Photo suggeriert "Tatsache", weil ein Photo an sich Bezug zur Realität hat und verlangt.  Ein Photo IST also BEWEIS.

Vor diesem Überlegenshintergrund ist es keine verschwendete Zeit, das Filmchen (9 min) anzuschauen, denn das Ausmaß dieser Lüge vergißt man im Alltag - aus Evidenzdruck aus der Photographie, die uns als "1 : 1 Dokument" (perspektivisch! eindimensional! mathematisch!) in der Erfahrung steht - zu rasch. "Bewußtes" bietet eben keinen Evidenzdruck, sondern bezieht sich auf unweigerlich eingehende Gewißheiten aus sinnlichen Eindrücken.




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