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Donnerstag, 4. August 2011

Holz kommt vom Wald, nicht vom Baum

Nun ist es freilich so, daß - wollte man Bäume "ernten", die auch verwertbares Holz haben (das heißt: vollholziges, astarmes, in der Struktur gleichmäßiges Holz) - man nicht sagen kann: gut, pflanze man viele Bäume, nein! Holz ist nur aus einem Wald zu gewinnen. Also muß ein Wald seinem Wesen gemäß gehegt werden.
Dabei ist es nicht so, daß es genügt, sagen wir 600 oder 1000 Bäume zu setzen, weit gefehlt. Die bloße Anzahl macht keinen Wald. Dieser ist vielmehr ein komplexes Gebilde von Beziehungen, die die Gestalt der einzelnen Bäume bestimmt. Im Agieren wie im Reagieren.

Vor allem müssen die Setzlinge in einem Wettkampf miteinander stehen, auf die Welt der Großen bezogen bleiben. Nur so wachsen jene Bäume, die einen Wald ausmachen und die ein Wald braucht. Man muß also 10.000 bis 30.000 Setzlinge je Hektar setzen, auch wenn die meisten im Laufe der Jahrzehnte sterben werden. Ohne Kampf ums Dasein, ohne hegerische Ausscheidung der unterdrückten Bäume, läßt sich niemals Holz aus dem Wald gewinnen. Zur Verjüngung - zum Heranwachsen unter dem Kronendach - dürfen aber nicht einfach objektiviert "ortsübliche" Setzlinge und Samen verwendet werden, sondern es müssen solche sein, die sich bereits im Überlebenskampf durchgesetzt, dem sozialen (!) Klima dieses jeweiligen Waldes angepaßt haben.

Wo der Nachwuchs, der Schwache, aber auch die Vorteile des Ganzen beanspruchen kann, das ihn in manchem dem direkten Überlebenskampf entzieht. Ohne Waldbildung würden die Setzlinge sogar nicht einmal den Kampf gegen den Rasen gewinnen. Weil die Schattenbildung das Gras besieht.
Ein Baum muß also - im lebendigen Wald - zum Holz erzogen werden. Aber alle Ideenvielfalt hat der Wald in sich - aus seinen Baumarten, den Böden, dem vorhandenen Wasser, den Außenbedingungen wie Klima und Landschaftsbedingungen. Auf alle diese Faktoren ist er in seinen Individuen eingespielt, und in diesem Rahmen kann er sich in seiner Persönlichkeit und Vielfalt entwickeln. 

Mit vielerlei Spielarten. Und sei es, wie bei manchen Baumarten, die das vertragen, daß Setzlinge 70 Jahre und mehr Karenzzeit erdulden müssen: Zeit, in der der Nachwuchs unter der geschlossenen Krone der Erwachsenen kümmern, oft sogar extrem kümmern kann, sodaß man die Bäumchen niemals für alt halten würde. Um aber dann bei "Freiwerden eines Platzes" zur vollen Größe aufzuschießen, die Idee von sich selbst, die zu entwickeln ihre Aufgabe ist, zur Gestalt bringen.

Die schützenden Einflüsse, die jeden einzelnen Baum aber eigentlich am Überleben halten - bei Frost, bei Trockenheit, oder Sturm - gibt es nur in einem Wald, der sich im freien Daseinskampf und Zueinander der einzelnen Bäume entwickelt hat. Nur natürliche Auslese, im freien Dialog mit allen äußeren und inneren Bedingungen, läßt jene Bäume wachsen, die einen Wald zu einem gesunden Ganzen machen. Mehr läßt sich nicht aus ihm herausholen. Es sei denn, man riskiert seine autonome Überlebensfähigkeit.

Dann aber stellt er sich sogar gegen klimatische Großveränderungen. Und sei es, daß es zu einem allmählichen Wechsel der Baumarten kommt, die unter veränderten Bedingungen im Vergleich für sie bessere Wuchsbedingungen nützen. Passiert solch ein Wandel allmählich, bleibt der Wald für sich aber bestehen, lösen sich die Generationen in einer nicht endenden, fast geheimnisvollen Verkettung von allem mit allem ab, wo alles - auch Tiere, Artfremdes - seinen Platz und seinen Sinn hat. Was keinen Sinn hat, bleibt nicht. Fehlen Faktoren, leidet der Wald als Ganzer, verschiebt sich sein Profil, weist auf dieses Fehlende hin. Wer einmal grob in einen Wald eingegriffen hat weiß, wie unmöglich es fast ist, das ursprüngliche Ganze wiederherzustellen.

Radikale Veränderungen auch durch vermeintlich fördernde Eingriffe aber, wie umfangreichere Baumartenwechsel, künstliche Bewässerung oder nutzungsbezogene Düngung, kann kein Wald als Organismus verkraften. Das Ganze löst sich auf, jeder Baum wird zum Einzelwesen, das selbständig nicht mehr überlebensfähig wäre, hegerische Hilfe braucht, sodaß auch seine Nutzung im Einschlag immer schwieriger und aufwendiger zu erreichen ist. Will man kontinuierlich Holz aus einem Wald gewinnen, soll der Wald stetig wachsen, braucht es also allenfalls behutsam regulierende Beachtung des vorhandenen Zusammenlebens - in seinem Zusammenspiel von alten, mittleren und jungen Teilen, in seinem Dialog mit der Fülle von konkreten Umweltbedingungen.
Der Waldpfleger betreibt also nicht "Baumzucht", sondern "Waldbau". Geht er klug vor, so läßt sich ein Wald fortwährend nutzen, ja die Nutzung wird selbst zur Quelle fortwährender Verjüngung des Waldes. Nicht nur das: Nutzung und Erneuerung sind dann zwei Seiten derselben Medaille. Dadurch unterscheidet sich der Waldbau vom Pflanzenbau der Landwirtschaft grundlegend. Nur der Wiesenbau läßt sich entfernt vergleichen, schreibt G. F. Morosow.

Es ist eine wunderschöne Metapher, was der Sozalist und Evolutionist Morosow über den Wald schreibt, als Aussage über das Wesen des Staates, über Kultur, und die Aufgabe der Politik, ohne daß er das beabsichtigt hätte.




*040811*