Politiker leben in einer Parallelgesellschaft, sagt hier der deutsche Philosoph Norbert Bolz in einem 2minütigen Statement in einer deutschen Talkshow. Und man könnte es erweitern: Politiker und Presse leben in einer symbiotischen Verbindung (in beide Richtungen!), die die sogenannten Meinungsfelder und Öffentlichkeit zunehmend zu einer Luftblase werden ließ, die mit dem "normalen Leben" der Menschen kaum noch etwas zu tun hat, immer weiter von der "Wirklichkeit" abweicht. Deshalb wird die Politik von immer mehr Problemen überrascht, und wir stehen erst am Anfang dieses Entwicklung.* Schon gar weil man die "Wissenschaft" und leider auch über weite Strecken die "Kunst" in diese Symbiose mit hineinnehmen kann: zwitterhaft befruchtet sich hier eine Scheinwelt zu einer Scheinexistenz, und sie hat mit dem Internet und den social media die idealen Werkzeuge für diese Parallelwelt.
Der einzige Grund, warum solche Scheinwelten dennoch so hartnäckig und zäh existieren und Zuständigkeit vorschützen können, liegt in der sozio-ökonomischen Natur des Sozialstaates, der zwei Drittel der Gesellschaften in Europa bereits tiefgreifend erfaßt und die Menschen entwirklicht hat. Man vergesse dabei aber nicht, daß diese Entfremdung die Entfremdung von jenem Boden ist, auf dem ausnahmslos alle stehen! Die aktuelle Wirtschaftskrise zeigt dies mit einer Deutlichkeit, die frappiert - nur will immer noch keiner die Zeichen an der Wand lesen! Sie ist die Krise einer Gesellschaft, die bereits auf Schein (Schulden) existiert und sich weigert zu begreifen, daß die Zahlungsversprechen leer sind, von niemandem mehr erfüllt werden können und wollen.
Gerade die Konzentration dieser Parallelgesellschaften auf "gesellschaftspolitische Aspekte" (in den Wertegefügen), die Umwandlung aller sachlichen Probleme auf Werteprobleme (als Schlüssel zum Wirklichkeitszugang), zeigt dies mit einer Deutlichkeit, die wunder nimmt, daß sie nicht alle Alarmglocken läuten läßt: Hier kämpft eine abgeschlossene Zellenblase mit aller Kraft und Macht ums Überleben, um (zunehmend aufgezwungene) Akzeptanz durch den Rest des alles nährenden Organismus!
Noch eine Aussage Bolz' ist zu nennen, wenn auch gleich wirkungslos (die Parallelgesellschaft ist aus ihrem Wesen heraus längst erkenntnisverweigernd) einzuordnen: Von Meinungsfreiheit kann man nur sprechen, wenn man die Meinung eines Andersdenkenden auch mit gehörigem Respekt betrachtet, und nicht alle Andersdenkenden nach politisch-mehrheitlichen Gesichtspunkten bekämpft. In diesem Sinn kann man in unseren Ländern schon längst nicht mehr von Meinungsfreiheit sprechen, denn letztlich ist es gleichgültig, aus welchen inhaltlichen "Rechtfertigungen" man Meinungen anderer unterdrückt, oder die anderer durchdrückt. Es fehlt ein Klima des Respekts!
*Das Internet ist ja noch verdammt jung, vergessen wir das nicht! Eine technische Neuerung aber, die sich so rasch durchsetzt - und es ist atemberaubend, wie das beim Internet geschah - ist mit schlafwandlerischer Sicherheit schon deshalb als ebenso massentauglich wie -verderblich zu diagnostizieren, weil so ungehinderte Aufnahme von Insitutionalisierungen nur bei menschlichen Schwächen der Fall ist. Nur der Niedergang geht rasch - Aufbau ist immer mühsam und langsam. Dazu muß man ihre phänomenologischen Implikationen (die hier dazustellen ich mich schon so lange mühe, sie bleiben aber hochkomplex und für nicht mit Terminologie und Denkungsart Vertraute gewißlich schwer verstehbar) gar nicht mehr verstehen, dieses Indiz spricht bereits für sich.
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