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Samstag, 13. April 2013

Beobachtung einer Diskussion

Aus 2010) In der Diskussion zwischen V und R fiel auf, daß V zwar viel darüber sagen konnte, wie welche Einzelmechanismen funktionierten - er wußte z. B. jede Zahl aus der amerikanischen Außenhandelsstatistik, oder der Chinesischen Kreditzinsentwicklung - aber all dieses Detailwissen war nur ein Versuch, R gegenüber die Interpretationshoheit nicht zu verlieren. Denn immerhin: er war zwei Jahre in Harvard gewesen, der Eliteschule, wie er oft genug betont hatte. Früher verbal, heute durch sein Gehabe, das eine nicht vorhandene äußere Spezifikation (aus der die Höhe seiner Qualifikation hervorging) durch abgrenzendes Verhalten seiner Umwelt gegenüber zu ersetzen, damit zu schaffen suchte.

Es war, als erzählte er von Apparaturen, von denen nicht einem Augenblick klar war, wozu sie dienten. Doch - und diese Wirkung war auch im Publikum so deutlich zu bemerken - diese Frage schient an diesem Abend bald gar keine Rolle mehr zu spielen. Die Zuhörerschaft schlägt sich, zumindest in seinem Betragen, immer auf die Seite des Stärkeren, und der zu bleiben, das versuchte V mit aller Kraft.

Aber es war nicht diese Arroganz, als die sein Verhalten wirkte, sondern nach und nach fiel dem wirklich Interessierten deutlich auf, daß all sein Detailwissen leer war. Er konnte aus seinem "Wissen" heraus nicht ein einziges Grundfaktum des alltäglichen Lebens, nicht eine einzige praktische Handlung unterfüttern oder motivieren. Er sah nicht einmal das, wo Beispiele aus dem realen Wirtschaftsleben sogar seine Thesen gestützt, "erwiesen" hätten. Deshalb wohl bekämpfte er alles, was R an Konkretion vorbrachte, bekämpfte es mit der wirksamsten Waffe die es überhaupt gibt - mit Ignoranz. R's Worten setzte er Kaskaden an Aussagen gegenüber, die ihre Relevanz nur dann behaupten konnten, wenn man sich selbst als zu "unverständig" abzog, und V "glaubte".

So blieb R, der Recht hatte, seine Argumente waren bestechend, nicht wirklich Sieger, denn man muß von einem solchen Kampf sprechen. Aber V war es durch eine immer bösartigere Süffisanz, durch Sarkasmus und Zynismus, gelungen, seine Glaubwürdigkeit so herabzusetzen, so zu beschädigen, daß er wie ein mit mehreren Breitseiten getroffenes Schlachtschiff von der Bühne schlich.

Beide hatten verloren, das war deutlich. Am deutlichsten aber war der Umstand ins Auge gesprungen, daß es eine Elitebildung längst gegeben hatte. Die hierarchischen Zuordnungen und Identitäten existieren, gerade heute. Aber ihre Träger wurden ausgewechselt. Und vermutlich, weil sich diese Schichten ihre Zugehörigkeiten nicht mehr selbst regeln konnten, was sie ja einmal gedurft, ja gesollt hatten, sondern durch gesellschaftspolitische Maßnahmen, aber auch durch entstandene Ressentiments der Menschen, in ihrer Selbstregulierung "aufgebrochen", durch neue Kriterien sich selbst entfremdet worden waren. Und von dieser Basis aus eine Selbstreinigung zukünftig unmöglich wurde.

Unter diesem Gesichtspunkt war R's fast verzweifelt wirkender Hinweis, daß er nur noch auf die Exzellenzinstitute hoffe, mehr als verständlich, mit dem er später, in trauter Runde beim Italiener (wer hatte um diese Zeit noch offen, und: Küche?), seiner Enttäuschung über den Verlauf des Abends Ausdruck gab. Es ist, meinte er später, als wäre es ein eigener Beruf geworden, den alle die Zehntausende an den Universitäten zu erlangen suchen: Akademiker. Sie sind nicht Wahrheitssucher, Erkenntnisgetriebene - sie sind ... Maschinen.






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