Es ist ein folgenreicher Irrtum (gewesen), zu meinen, die Außenwelt würde sich uns alleine durch passive Sinnesempfindungen erschließen. Tatsache ist vielmehr, schreibt Melchior Pálagyi, daß erst die Fähigkeit, sich zu bewegen und sich selbst zu berühren - als Grundlage des Objektempfindens überhaupt - uns als Objekt wie als Empfindenden definieren kann, und daraus zwischen dem "Anderen" und "Selbst" unterscheiden kann. Wir sind also nicht eine Statue, die nur berührt würde, sondern im selben Akt der Berührtheit ist auch Berührung (mit dem Zeitwort "rühren", bewegen) enthalten. Selbst, wenn ein Gegenstand auf uns auftritt, erfahren wie die eigene Bewegung (und damit das Vorhandensein eines Ich) aus dem Widerstand, den wir bzw. unsere Zellen bieten. Was nebenher erschließt, daß wir von einer Objektwelt alleine und zuerst aus der Tastempfindung kommen.
Aus diesem Erfahren, daß wir selbst uns auch Objekt der Erfahrung sind, nicht nur "Sammler", ergibt sich, daß Selbstbewußtsein ein Erfassen aus der Selbstentfremdung ist.
Bewegt jemand seine Hand, so kann dies ein Fremder ebenso wie er selbst zu empfinden und zu fühlen bekommen, und eben deshalb ist Bewegung ein mechanischer Vorgang. Daraus folgt auch, daß Empfindung niemals auf Bewegung zurückgeführt werden kann. Mechanische Vorgänge können nicht auf vitale Vorgänge zurückgeführt werden, ebenso wie umgekehrt. Empfindung ist ein vitaler Vorgang, weil sie bloß einen Zeugen haben kann: uns.
Kein Embryologe käme auf die Idee, die Entwicklung von Muskeln auf die Tätigkeit der Nerven zurückzuführen. Motorik kann sich nicht aus der Sensorik entwickelt haben. Vielmehr bedingen beide einander, und können sich nicht auseinander entwickeln. Mechanisches und Lebendiges können nicht aufeinander zurückgeführt werden, sondern bedingen einander. Wahrnehmung, die sich nur auf Empfindung zurückführen wollte, wäre tot, sinnlos, Nonsens nennt Pálagyi es sogar. Sie muß sich auf Bewegung stützen. Die Wahrnehmung des Bewußtseins sind gleich bedeutsam. Es ist also gleichermaßen illegitim, das Vorhandensein von Materie, eine materielle Erscheinungswelt zu leugnen, die Materie auf rein vitale Vorgänge zurückführen zu wollen.
Denn es kann sich nur "etwas" bewegen. Gibt es nirgendwo ein Etwas, das sich bewegt, kann von Bewegung keine Rede sein. Wir nehmen wahr, daß sich ein Ding, ein "Bündel von Eigenschaften", bewegt, und weil es auch nachher noch diese Eigenschaften hat, dasselbe Bündel geblieben ist, sagen wir, daß ein materielles Ding sich bewegt hat. Würde es nirgends auf der Welt Bewegung geben, könnten wir von keinen materiellen Dingen sprechen. Bündel von sinnlichen Eigenschaften treten auf verschiedenen Orten auf, die einander kontinuierlich folgen - es bewegt sich also, es ist ein Ding, es bleibt dasselbe.
Ein Ding ist erst auf a, dann auf b und dann auf c, und es bleibt dasselbe. Wenn dem nicht so ist, dann kann man nur von einer Erscheinungsreihe, nicht von Bewegung sprechen. Leugnen wir die Identität, leugnen wir Bewegung. Leugnen wir aber Bewegung, müssen wir die Erscheinungswelt, und damit auch den Verstand aufgeben.
Bewegung läßt sich also nicht in Psychologismus, reine Empfindung auflösen. Wer Empfindung mit Denken gleichsetzt, löst also damit auch die Welt der Dinge, der Materie auf. Allerhand Empfindungen, die den verschiedensten Sinnesgebieten angehören und kontinuierlich aufeinanderfolgen, wie z. B. Tastempfindung, Farbempfindung und Tonempfindung aufeinanderfolgend, stellen nicht das dar, was wie Bewegung nennen. Nur ein Wesen, das sich selbst zu bewegen vermag, vermag auch Bewegungen wahrzunehmen, als Wahrnehmen einer ganzen mechanischen Welt. Es muß eben von einem Etwas gesprochen werden können, das sich selbst gleich bleibt, von Raum und Zeit.
Nur aus dem eigenen Gefühl und Empfinden aber können wir auch aus einer eigenen Bewegung nicht schließen, daß es unsere eigene ist. Denn unsere eigene Bewegung erscheint uns wie eine fremde, objekthafte, wir können sonst diese Empfindungen nicht mit dem "Objekt ich" in Verbindung bringen.
Gleichzeitig sind wir imstande, uns in eine Bewegung einzuleben, ohne daß sie stattfindet. Dabei also zeigen sich Phantasmen, als eigene Kategorie von Lebensvorgängen, verschieden von Empfindungen und Gefühlen zu sehen. Nur weil wir in der Einbildung Bewegungen vollziehen können, ist uns erfaßbar, daß wir selbst uns bewegen, bzw. können wir uns bewegen und das hinterher auch wahrnehmen. Das darf aber nicht mit abbildhaften, begrifflichen, gedanklichen Prozessen verwechselt werden. Es ist eine eigene Kategorie der vitalen Prozesse. Das heißt, sie hat nur einen Zeugen - uns. Das mit Bewußtsein in eins zu setzen, ist ein lange eingeübter Irrtum, der aus den Vorstellungen des Sensualismus stammt, der seinen Psychologismus so dominant verbreitet hat.
Mit diesem vitalen Prozeß aber versetzen wir uns in eine andere Raumlage, und aus dem heraus sind wir in der Lage, uns willkürlich zu bewegen. Schön erkennbar an einem Tier, das sich zum Sprung auf eine Beute sammelt, und die auszuführende Bewegung in sich bildet, aber erst auf willkürlichen Entschluß wirklich ausführt. Selbst, wenn das Lebewesen blind ist, also keine "Bilder" davon hat, führt es diese Bewegungsphantasmen aus.
Deshalb kann ein Blinder zu sehr lebhaften Vorstellungen von Bewegungen kommen, auch wenn die Blindheit angeboren ist. Seine Bewegungsvorstellungen befinden sich also in wesentlich tieferen Schichten, als es "Gesichtsbilder" (der Sehenden) wären. Er tastet auch nach dem Gesicht des Gegenüber, und bildet sich so eine Vorstellung nur aus seinem Selbstgefühl heraus. Er kann es sich aus der Eigenbewegung vorstellen, anders als der Sehende unbeeinflußt, "rein" von Gesichtsphantasien. Das zeigt, daß diese Bewegungsbilder keineswegs aus passiven Gesichtseindrücken entstehen, auch wenn sie der Sehende kaum noch trennen, abstrahieren kann. Im Wesentlichen bestehen zwischen der Vorstellungswelt des Blinden und des Sehenden aber keine Unterschiede. Die Gesichtsphantasie des Sehenden hat also dieselbe Grundlage, wie der Blinde sie hat: und sie liegt im Tastsinn.
Was man auch daran erkennen kann: Das, was der Sehende sieht, erregt auch seinen Tastsinn. Nur so kann räumliche Vorstellung aus Gesehenem wie ein Bild, eine Statue, entstehen. Eine Tastphantasie, die in einer eingebildeten Bewegung besteht. Der Tastsinn bildet damit die Grundlage allen weiteren Sinnesempfindens; es gibt kein Lebewesen, keinen Menschen, der nicht tastet, der sich überhaupt nicht bewegen kann, als Grundlage unserer Wahrnehmung einer Außenwelt, in seiner aktiv-passiven Doppeltheit. Der Tastsinn ist also der einzige Vollsinn, alle übrigen Sinne sind lediglich Hilfssinne. Nur aus dem Empfinden von Ruhe und Bewegung ist uns Bewegung (und damit Dinghaftigkeit) zugängig. Selbst der Gesichtssinn beruft sich auf diese Erfahrung.
Das läßt sich an einem Beispiel illustrieren: Wenn wir in einer Eisenbahn liegen, so können wir nicht feststellen, ob sich die Eisenbahn bewegt. Sehen wir einen Baum in der Ferne, können wir mit den Augen alleine nicht wahrnehmen, ob sich die Unterlage, auf der wir liegen, der Zug also, bewegt - oder der Baum. Der Tastsinn liefert ihm keine Beurteilungsgrundlage.
Ohne Tastsinn kann sich der Gesichtssinn irren, Täuschungen über Bewegung unterliegen. Er kann aus sich keine Bewegung erkennen. Was er auch tut, wenn ihm der Tastsinn nicht die Orientierung bietet. Der Gesichtssinn paßt sich also zuerst dem Tastsinn an. Der Tastsinn liefert ihm im gegenständlichen Beispiel keine Information über Bewegung, also erscheint ihm u. U. sogar das stehende Objekt Baum bewegt. Würde der Tastsinn liefern, daß man selbst sich bewegt, passierte das nicht. (Beim sehr sanften Anfahren im Zug im Bahnhof ist es dasselbe: Wir verlieren vom Gesichtssinn her die Orientierung.)
Daraus folgt auch - das oben Gesagte berücksichtigend - daß es nicht der Gesichtssinn ist, der uns grundlegend und zuerst die Welt als Objekt erfassen läßt, damit Verstand ermöglicht, uns die Welt aus Außenwelt, als Materie liefert, sondern der Tastsinn.
*220413*