Aber auf noch eine Besonderheit der
Empfindungen macht Pálagyi aufmerksam. Nehmen wir eine Hand, die über
die (eigene) andere streicht. Der aktiven Empfindung in der tätigen
Hand, nennen wir sie A, steht das Empfinden der passiven Hand, nennen
wir sie B, gegenüber. Der Empfindungsreihe a steht damit
Empfindungsreihe b gegenüber.
Beide
Empfinden aber sind unterschiedlich: a ist extensiv, b ist intensiv.
Auf die Empfindungsreihe a führt sich der Begriff der Zeitdauer zurück,
während auf der (passiven) Empfindungsreihe b die Ausdehnung begrifflich
zurückgeführt wird.
Daraus
ergibt sich, daß wir den Raumbegriff ohne Zeitbegriff nicht isoliert
erfassen können, beide sind schon vegetativ untrennbar verbunden. Wir
können die Ausdehnung von b nicht als zusammengehörig erfassen, wenn wir
nicht gleichzeitig im Bewußtsein über die Zeit den Zusammenhang
herstellen. Wir müssen das räumliche Nebeneinander in ein zeitliches
Nacheinander auflösen, in den beiden Fällen - berührende wie berührte
Hand - sogar in je unterschiedlicher Reihenfolge.
Weil
aber die berührende Hand A sich bewegt, wir zugleich in uns diese
Bewegung selbst fühlen, wir die Einheit ihrer Bewegung über die Zeit
erfassen, führen wir im Bewußtsein Zeit und Bewegung zusammen. Diese
Bewegungsgefühle fallen in uns mit dem Gefühl des Berührten, b,
zusammen. Und auf sie beziehen wir den Lebensvorgang der Phantasma der
eingebildeten Bewegung.
Auffassungen
von Raum und Zeit sind also nur über den Bewegungsbegriff ausbildbar.
Ja, sie sind in diesen Bewegungsphantasma verankert. Jede menschliche
Phantasie ist nichts weiter als Bewegungsphantasie. Nichts weiter als
die Fähigkeit, sich von dem einen Ort an den anderen zu versetzen, ohne
die Wirklichkeit produzieren zu brauchen.
Sie,
die Phantasma, regen in uns Imaginationen (Verbindungen mit Sehbildern)
an, oder umgekehrt, regen solche Bilder Imaginationen von bekannten
Gefühlen und Empfindungen an.
Nehme
man einen Geometer, der ein Dreieck, ein Viereck, einen Kreis etc.
vorstellen will. Er erzeugt sie durch eingebildete Bewegung - die er
selbst hervorbringt, als gewissermaßen Künstler dieser eingebildeten
Bewegung. Und er kann dadurch zur Erkenntnis der Gesetzmäßigkeit der
Raumgebilde durchdringen.
Der
Zeichner und Maler dasselbe: Er zeichnet in seinen Phantasmata vor, was
er später zu Papier bringt. Und nichts anderes passiert in der Welt der
Affekte, die an wirkliche oder eingebildete Bewegungen, in der Mimik,
gebunden ist. Die ganze höhere Entwicklung unseres Gefühlslebens hängt
davon ab, ob wir diese Mimik real ausführen, oder in die Einbildung
verlegen können.
Und
nichts anders passiert in der Sprache, die ja zuallererst eine
physiologische Bewegung ist: in den Stimmbändern, den Muskelspannungen
etc. Alle unsere geistige Tätigkeit ist von einem (unhörbaren, inneren)
Sprechen begleitet und unterstützt. (Lesen ist überhaupt nur als
"stilles Sprechen" zu betrachten.) Wenn ein Taubstummer nicht in die
Lage kommt, real oder eingebildet mimische Bewegungen auszuführen, kann
er kein Geistigkeit entwickeln.
Teil 2 morgen) Erkenntnis kommt aus Bewegung
***