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Sonntag, 14. April 2013

Spiegel der Zeit

Was der geneigte Leser hier vorfindet, ist ein Video, das einen Aufruf des gebürtigen Wieners Mohammed M. zum Heiligen Krieg gegen Österreich und Deutschland aufruft. Dazu gibt es nichts zu sagen. Der Leser muß sich auch nicht die ganze halbe Stunde des Filmchens antun.

Der Verfasser dieser Zeilen stellt die Behauptung auf, daß sich in diesen Formen des extremistischen Islam etwas ganz anders zeigt als eine "religiöse Ergriffenheit" - der Islamismus wird zum fast zufälligen Auffangbecken einer viel tieferliegenden, aber ganz anders als aus "religiösen Überlegungen" hervorgerufenen "Unzufriedenheit", wie sie unsere gegenwärtigen Zustände zwangsläufig hervorbringen.

Der Islamismus hat sich darin als eine Position des kulturellen Protests, des "Dagegen" etabliert, das macht seine Stärke aus. Aber wogegen er protestiert ist inhaltlich nur zufällig definiert. Deshalb ist auch Diskussion völlig sinnlos, damit läßt sich kein Islamismus "entschärfen". Es geht nicht um Wahrheit, es geht um die Wahl eines Geistes. Ja, noch konkreter, es geht um Konkretisierung ohnmächtiger Verzweiflung und der Empfindung von Ausweglosigkeit, gepaart mit ... Acedia, geistiger Trägheit. Und hier begegnet er uns als Grundhaltung der Gegenwart.

Daß der Islam als spiritualistische, fast könnte man sagen: a-kultische Religion* (man beachte die Rolle der Wüste als Geburtsort von ReligionEN, die rasch schöpfungs-, nein, seins-avers wird) dieser Haltung - selbst wieder Kulturphänomen - nahesteht, ist zwar nicht zu bestreiten. Dennoch ist der Islamismus als Phänomen einer zerfallenen Kultur nicht direkt dem Islam als Religion zuzuschreiben. Es gibt kein menschliches, ja überhaupt kein Phänomen "für sich", menschliches Tun ist immer auf etwas, ein Du bezogen, und ist noch weitergehend ein WIR, vorhanden, gesucht oder angestrebt, als formendes Gesetz. Nur in einem Wir ist auch ein Ich enthalten, als Akt des "ich bin".

Diese Entsprechung - Islamismus und Kulturverfall - ist auch historisch sehr gut belegbar. Was zu der bemerkenswerten Tatsache führt, daß, greift man einzelne Details heraus, die Kritik der Islamisten an unserer Gegenwart schlich gar nicht falsch ist. Die Lüge arbeitet eben nie mit Lüge. Sie arbeitet mit der Wahrheit in Details. Sie ist ein ganz anders gearteter Geist.

Das "Dagegen" selbst ist also nicht das Falsche am Islamismus (wie überhaupt des Terrorismus). Wer dies nicht erfaßt, verkennt seine tatsächliche Gefahr, und den Schlüssel zu seiner Attraktion und Verbreitung. Er kommt aus Ortslosigkeit (auch hier die Nähe zur Gegenwart**), und das heißt: aus Vaterlosigkeit. Seine "Männlichkeit" ist also eine den-Mann-retten-sollende Behauptung des Machismo - damit zeigt er sich noch deutlicher als eine Erscheinung des Matriarchats.***

Und seine Aktualität als längst auch europäisches Phänomen. Man muß kein Prophet sein, um andere Formen exakt derselben Haltung für Europa vorherzusagen. Wir haben auf unserem Kontinent lediglich (noch) andere Weisen der Gestaltsuppression. Aber darauf wird sich die Politik der nächsten Zukunft vorwiegend auch konzentrieren, man muß es nur sehen wollen: Suppression der aus dieser Grundverfaßtheit der Gegenwart erwachsenden "Anti-ismen". Die Amokläufe der vergangenen Jahre sind darunter zu subsummieren. Selbst ein Anders Breivik in Norwegen schob einen Berg an im Einzelnen nicht einmal immer verkehrten, im Ganzen aber irrationalen, verfehlten Kulturkritik vor sich her. Der Hinweis auf seine Vaterlosigkeit erzählt die Geschichte erst.

Platz in der Welt kann nicht abstrakt zugewiesen oder ermittelt werden. Er ist eine Frage der persönlichen Identifizierung, der Fleischwerdung, die nur konkret am Menschen möglich ist. Von "sozialen Problemen" zu sprechen - ob in arabischen Ländern, oder in Norwegen - dem man mit Geldschöpfungsprogrammen und mechanistischen Sozialreparaturstrukturen beikommen könnte, geht deshalb völlig an der Sache vorbei. Die gegenwärtigen politischen Strukturen werden dieses Problem deshalb prinzipiell schon gar nicht lösen können.

Der aus unseren Ländern geflüchtete, per internationalem Suchbefehl gesuchte M befand sich angeblich in Ägypten, als er seine immer aggressiveren (verzweifelteren) Botschaften ins Netz schickte. Der deutsche Geheimdienst, schreibt die Kronen Zeitung, stufte den "Wiener  Taliban" als "sehr gefährlich" ein. Mittlerweile wurde er im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien fast ein wenig zufällig verhaftet.









*Von woher seine Tendenz ALS Religion stammt, sich als gesellschaftsorganisierende, säkulare Kraft zu betätigen: Der fehlende gestalterische Impuls des priesterlichen (!) Kultes, der Persönlichkeit formt, wird auf ein gesellschaftliches Gerüst übertragen, das den Lebensvollzug selbst regulieren soll. 

**Nicht einmal die Rolle des Internet im Islamismus ist damit zufällig oder "zweckbetont" - sie hat eine Grundnähe.

***Irrationalität ist eine Erscheinung der fleischlichen Formlosigkeit, und damit der Auflösung des Platzes. Durch Ästhetizismus (man beachte dabei auch die Erscheinung der Homosexualität) oft sehr geschickt verhüllt, aber nie substantiell geworden. Jawohl, auch diese Tangente darf angelegt, dieses Fenster geöffnet werden: Form und Gott ist eins. Die subjektive Beziehung zu Gott findet sich deshalb direkt in der Beziehung zur Form charakterisiert. Berücksichtigt man nun noch, daß alles Leben auf eine Darstellung, auf Präsenz Gottes abzielt, hat man den Cocktail zum Thema fast vollständig vor sich angerichtet.






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