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Samstag, 6. April 2013

Ins Proletariat gefallen (2)

 Teil 2) Das erste Proletariat entstammt dem Adel




Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich beim Hauspersonal, dessen Bezeichnung "Hausgesinde" noch anzeigt, daß sie schon aus Urzeiten her immer Bestandteil der Familie waren. Die deutliche Steigerung der Löhne, wie sie im 19. Jhd. stattfand, hatte keinerlei Auswirkung darauf, daß das Hauspersonal mehr und mehr proletarisierte - weil es zunehmend nicht mehr als Teil der Familie gesehen wurde. Überhaupt meint Riehl, daß die Zersetzung der Familie, die schon damals zu bemerken war, Wurzelübel der gesellschaftlichen Zersetzung war. Denn nun begannen sich aus allen Berufen und Kreisen ungebundene, entsittlichte, brauchtums- und traditionslose Menschenmassen herauszubilden. Die ihr Maß nur aus sich schöpfen mußten, sich nicht mehr von außen her definieren konnten.

Daß der Künstlerstand unter Proletariat im eigentlichsten Sinn fällt, ist für Riehl selbstverständlich. Denn die Kunst hat sich (da hat er recht) überall aus Zweckberufen, aus ehrbaren Zünften, heraus entwickelt. Der Bildhauer war lediglich ein besonders begabter Steinmetz, der Sänger und Dichter war nie ohne eine feste soziale Funktion und Stellung denkbar, der Maler fand vielfache soziale Einbindung in kirchlichen Aufgaben. Und wenn er von seinem Beruf nicht leben konnte, übernahm er andere Arbeiten, oder führte nebenher eine kleine Wirtschaft. Nach und nach aber lösten sich diese Ensembles auf, in allen Kunstbereichen. 

Das setzte vor allem mit der Verarmung und Defunktionalisierung des Adels ein, der sich seinen früheren Lebenswandel nicht mehr leisten konnte, und wurde im 30jährigen Krieg zur Allgemeinerscheinung, weil ganz Deutschland zu tun hatte, das Notwendigste zum Leben zu beschaffen. Musikanten konnten nicht mehr von einer Landschaft leben, Musikerensembles wurden aufgelöst, und Maler und Bildhauer waren in den protestantischen Ländern überhaupt nicht mehr gefragt, denn deren Kirchen waren schmucklos. Sich Theater zu halten hatte kaum noch eine Stadt genug Geld. Neu dazu kam spätestens nach 1648 das besonders gefährliche, auf Raub angewiesene Soldatenproletariat.

Der besoldete Soldat - auch er eine Erfindung der Politik der großen Fürsten. Als Friedrich III. den französischen König Karl um 5.000 solcher "Soldaten" bat, schickte ihm dieser 40.000 ... es dauerte Jahre, diese vagabundierenden "Armagnaken" wieder zu sammeln, und zurückzuschicken.

Und damit fielen diese Berufsgruppen tatsächlich ins Proletariat. Nur noch selten gelang es ihnen, festen Fuß zu fassen, an Familiengründung (als fundamentalsten Anker) war mangels Einkommenssicherheit kaum zu denken, nur wenige fanden soziale Eingliederung, eben auch aus sozial-familiärer Entwurzelung - sie gehörten nirgendwo mehr dazu. 

Die Entwicklung der Künste selbst nimmt unter diesem Gesichtspunkt ganz andere Färbung an, als man oft meint. Die Kunst verliert damit ihre Einbindung in die Gesellschaft, und nicht nur das, wendet sich mit einem male auch an ein ganz anderes Publikum: Kritisch, beurteilend, aus ähnlicher sozialer Konstellation überhaupt erst entstanden.

Während der Geniekult um die Künstler einsetzt, soziologisch schon in der Renaissance übrigens aufgetaucht. Dort beginnt auch der Preis eines Kunstwerks eine eigene Dimension zu werden, während er für einen breiteren Unterbau kaum noch Auskommen bietet. Noch ein Michelangelo hatte im wesentlichen um simples Bürgerleben gearbeitet, wie ein Handwerker und Bürger, und zudem Lehrlinge, Hilfspersonal und Gesellen beschäftigt, die aus derselben Schüssel aßen wie er. Niemals wäre es ihm eingefallen, das Leben seiner adeligen Auftraggeber führen, reich werden zu wollen.




Teil 3 morgen) Wer aber das heutige Proletariat wirklich geschaffen hat





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