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Sonntag, 16. Juni 2013

Diskretion und Intimität

Die Dinge sind in ihrem Dasein als Dinge der Beziehungen. Ohne sie sind sie nicht. Das ist nicht einfach ein Akzidens, etwas das zu ihnen hinzukommt und auch weggedacht werden könnte, das ist eine Bedingung ihrer Existenz. Und diese Beziehungen sind Wesensbeziehungen, Beziehungen des "Dahinter" hinter allem Faktischen. Niemals erschöpft sich ein Ding im Faktischen, niemals kann ein Faktisches den Kosmos der Wesensbeziehungen ganz verbergen.

Es gibt Zeiten, wo das Faktische das Wesen stark verhüllt. Dann ist es angebracht, auch mit energischen Schritten dieses Faktische auf seine Wesensübereinstimmung zurückzuschneiden. Es gibt also Zeiten, wo disziplinäre Maßnahmen etwa radikal beschneiden müssen.

Aber das können nur Übergangszeiten sein. Und es ist notwendig darauf zu achten, daß diese Maßnahmen nicht den Blick auf das Wesentliche verstellen, zu sehr in den Vordergrund rücken.

Deshalb gibt es Zeiten des energischen Handelns gegen Mißstände. Aber die müssen so rasch als möglich wieder beendet werden. Weil sonst keine Konzentration auf das mehr möglich ist, was die Dinge eigentlich ausmacht: Daß sie in Wesensverhältnissen stehen, nicht in faktischen Zuständen.

Gerade wenn Berichte über Mißbräuche, Verfehlungen von einzelnen Personen in kulturell tragenden Institutionen - etwa Politik oder Kirche - durch die Medien und damit Köpfe der Menschen geistern, haben auch sie ihre Zeit. Dann aber sollten sie wieder verschwinden können, dann darf man die Erinnerung an sie nicht künstlich am Leben halten.

Sonst zerstört man das Kulturgeflecht, und der Schaden wird erst unermeßlich, steigt vom Einzelnen ins Allgemeine. Diskretion und Intimität sind unerläßliche Bedingungen des Bestehens von Ordnung. Nicht aus Feigheit oder mangelnder Moral, sondern als ... Kreuz.

Deshalb wird der Leser auf diesen Seiten nur höchst selten Kritik an einzelnen Verfehlungen finden. Sondern immer Wesenskritik, die zum Gegenteil die Rückkehr zu dieser wesentlichen Handhabe der Dinge fordert. Deshalb - um eine Anfrage des Lesers R zu beantworten - wurden seinerzeit auch die Ambrosius-Seiten wieder vom Netz genommen, die die St. Pöltner Affaire zum Inhalt hatte. Die Angelegenheit ist vorüber, war temporär, Maßnahmen waren und sind gesetzt.

Ethisches Handeln ist immer und unabdingbar ein Handeln im Kairos - Zeit und Tat sind untrennbar. Die "richtige" Tat zur falschen Zeit ergibt eine falsche Tat.

Damit war seinerzeit kein Anlaß mehr, die Webseite aufrechtzuhalten. Und deshalb wurden Seiten solch temporären Charakters beim Wiederzugängigmachen dieses Blog nicht mehr ins Netz gestellt, und werden solche, so neue auftauchen, auch weiterhin von Zeit zu Zeit wieder heruntergenommen. Sie waren und sind temporär, hatten ihre Zeit, und damit war die Angelegenheit erledigt.

Damit der Blick aufs Wesentliche nicht getrübt, und über allen aktuellen Aufregungen wieder aufgenommen wird. Denn Diskretion und Intimität ist eine Grundbedingung des Lebens eines Organismus.

Wer aber erwartet, es würden Wesenseinschnitte geschehen, die menschliches Fehlen für alle Zeiten unmöglich machen sollten - der tötet die Kuh, um zu vermeiden, daß sie noch einmal die Primeln abfrißt.

Dinge, zumal Verfehlungen, müssen wieder vergessen werden können. Es sollten deshalb auch in der Kirche manche Themen wieder verschwinden. Sie interessieren nur noch jene, die eigentlich etwas anderes, und zumeist eine Wesensdeformation wünschen.

Umgekehrt hilft man jenen, die unter diesen Verfehlungen zu leiden hatten, nicht, indem man sie selbst auf dieser Ebene beläßt.* Auch ihnen muß dieses Periphere, das in den Vordergrund drückte, wieder absinken, sie selbst auf die Ebene der Wesensbeziehungen zurückfinden können. Man findet sich nicht im Leben, wenn man den Nächsten nur unter dem Blick seiner möglichen Fehlbarkeit betrachtet. Barmherzigkeit und Vergessen müssen von jedem eingeübt, das Vorläufige und Brüchige des Lebens zu einem realistischen Urteil integriert werden, sonst ist Lebensentfaltung unmöglich.




*Nennen wir es beim Namen: Es geht (auch) um den sogenannten "kirchlichen Mißbrauch". Der kein zu duldender Zustand war, keine Frage, und in dem die Kirche vielfach falsch, ja skandalös reagiert hat. Aber als Thema der Öffentlichkeit sollte es einmal ein Ende haben - es "interessiert" nicht mehr, mit Recht. Und vor allem vergesse man doch nicht, daß die Bewertung des Mißbrauchs durch die zeitgenössische Psychologie (und das Moralempfinden der Gegenwart) vielfach den Zusammenhängen innerhalb einer Persönlichkeit, der Rolle die sie spielen, vielfach überhaupt nicht gerecht wird. Bis zum Umstand, daß in der Kritik an solchen Verfehlungen durch Kleriker (etc.) häufig nicht mehr zu sehen ist als die symbolische Auspeitschung eigener Neigung zur oder Angst vor Schwäche. Man hilft auch den Opfern nicht, indem man so tut, als wären sie nur dadurch definiert. Das sind sie nicht, so wie niemand nur durch Leiden definiert ist. Gerade die sogenannte Psychotherapie hebt diese Dinge oft auf Bedeutungsebenen, auf die sie nicht gehören.

Wird vergangenes erlittenes Leid neu bzw. später objektiv bewußt, belädt diese neue Ebene des Verstehens der Gegenwart ja auch mit neuer Verantwortung, der es nun gerecht zu werden gilt. Kein vergangenes Leid kann von der Verantwortung entheben, die Freiheit des Geistes zu erreichen.




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