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Sonntag, 23. Juni 2013

Heiligstes nicht profaniert

Die Entwicklungsgeschichte der Vedas zeigt, wie sehr Heilige Inhalte in jedem Fall an den realen Vollzug der an ihnen im Lesen und Hören Teilhabenden geknüpft, ja gebunden war. Der Gläubige im Ritus, im Kultus, der Priester und Weitergeführte in persönlicher Reinheit und Höhe, wie auch der Dichter und der Adelige, der Krieger.

Daraus erst ist die Entwicklung von "esoterischen Gesellschaften" verstehbar, denn nur in bestimmter Haltung konnten die Schriften überhaupt verstanden werden. Alles andere wäre pure Entweihung gewesen, Profanierung - und auf profaner Ebene sind sie einfach nicht verstehbar.

Die aus den Vedas entwickelten Schriften waren deshalb bald Angelegenheit von Geheimgesellschaften, zu denen sich die Priester banden, als Hüter des Heiligen auf Erden. Die Aranyakas etwa durften nicht in normaler Gesellschaft und Umgebung gelesen werden - man mußte sich zu ihrer Lektüre in eine Hütte im Wald zurückziehen. Der Begriff bedeutet entsprechend "Waldbücher".

Und die Upanishaden, metaphysische Destillate, die sich mit der Zeit entwickelten, waren überhaupt nur noch einem auserwählten Kreis an Personen zugängig. In diese Einstufung stimmt auch Plato ein, der dasselbe vom metaphysischen Wissen - dem Wissen vom unergründlichen Sinn des Seins oder dem Guten - sagt. Diese "höheren" Bereiche der Religion haben sich also vom alltäglichen religiösen Vollzug der Menschen, des "Volkes", mehr und mehr abgetrennt, um sie nicht der Profanierung auszuliefern, wobei sie dem Profanen ohnehin gar nicht (von innen her) zugängig waren.*

Nur wer ganz vom Alltäglichen abgelöst ist, kann an ihrer Höhe teilhaben, kann sie verstehen. Ihre Weisheit wird aber dem Volk nicht vorenthalten, sondern findet sich in den Riten und Vollzügen nur auf anderer Ebene der Darstellung wie Teilhabe wieder. Darin liegt zugleich die Begründung für den Umstand, daß nur gebildete Stände, Stände die dem profanen Alltag enthoben sind, auch der Adel, die Edlen, die Sänger und Dichter in dieses Wissen aufgrund ihrer persönlichen Tauglichkeit (das heißt ja Bildung) hineingehoben werden konnten. Buddha war nicht zufällig ein Fürst. Wer in den Alltag verstrickt ist, dem fehlt das Grundsätzliche einer personalen Scheidung, das ihm erst Zugang ermöglichen würde.**

Eine Religion, die deshalb ihre autoritative Stellung dem Volk gegenüber verliert oder aufgibt, kann gar nicht anders als inhaltlich ausdünnen. Ist ihre Tiefe dem Urteilsvermögen des "einfachen Gläubigen" anheimgestellt, verlieren die Riten ihre Verbindlichkeit, Ihre Vorgegebenheit, Ihre Definiertheit alleine aus dem tieferen Wissen der Priester heraus, gehen ohne Zweifel ihre tiefsten Gründe verloren. Aber damit löst sich die Religion von innen heraus auf, denn sie verliert ihre metaphysische Begründung.




*Das läßt alleine den Wahnsinn ermessen den es bedeutete, die Bibel per billigem Massendruck in die Hände der Menschen zu schleudern, und ihnen die Interpretation zu überlassen. Das läßt aber auch ermessen was es bedeutet, Heilige Inhalte durch Priester über Internet und social media zu verbreiten. Es bedeutet nicht deren Verbreitung, sondern deren Zerstörung. Mit enormer demoralisierender Wirkung: Denn die Menschen wissen, daß ihr Wissen nicht "alles" ist. Wenn sie aber um kein Arkanum mehr wissen, um keinen "Heiligen Schrein", der das was Ihnen verstehbar ist mit alles übersteigender Tiefe nährt - wo soll dann die Wahrheit einer Religion liegen? In ihrem eigenen Horizont, der sie doch nach "mehr" zu suchen antreibt? Ein profanierte Religion, die ihre Riten disponibel macht, kann gar nicht anders als jede Glaubwürdigkeit zu verlieren. Mit Recht. Das ist kein nettes Versteckspiel - es ist Wirklichkeit des Religiösen als Lebenselement. Wer also glaubt, religiöse Institutionen "transparent" machen zu können - der löst sie gleichzeitig auf. Denn das Eigentliche ist immer unsichtbar. Es steckt nicht in den Dingen - es umhüllt sie. Nichts aber ist "nur es selbst", alles ist transzendentale Hülle.

**Künstlertum definiert sich nicht aus dem faktischen "Tun", aus der Verhangenheit im Kunstbetrieb, sondern aus einer persönlichen Entscheidung, am Gestaltspiel der Welt nicht teilzuhaben. Erst damit ist ihm das Heiligste, der Atem der Welt, zugängig, aus dem heraus er tätig wird. Sein Werk ist dann der Ritus, die Liturgie, durch die das Auditorium an den göttlichen Ideen teilhat, aus denen, empfunden weil bewegt, wahrgenommen, es selbst wiederum sein Leben - aus dem in diesem Sinn geläuterten, aufs Reinste neu eingestimmte Gefühl heraus - weiter durchgestaltet.



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