Natürlich muß man berücksichtigen, daß was Papst Franziskus noch als Kardinal Bergoglio verfaßt hat und geschäftstüchtig raschest als "Offener Geist und gläubiges Herz" in Buchform vorgelegt wurde, als Exerzitientextsammlung für Priester dienen sollte. Aber das macht die Sache nicht einfacher, wenn auch da und dort transparenter. Im Ganzen bleibt freilich dieselbe Ratlosigkeit, ja eigentümliche Verwirrung, die sich von allem Anfang an mit diesem Papst verband. Verwirrung, in die es auch münden wird, wenn der Verfasser dieser Zeilen Recht behält. Dieser Eindruck hat sich nach der Lektüre noch mehr erhärtet.
Auch der Verfasser wollte und will natürlich nicht zurückstehen, als Zeichen des "guten Willens", in dem er das Buch zu lesen versuchte, das Gute herauszugreifen, das zu finden er ja sehr bereit war. Und tatsächlich, "an sich" sagt Papst Franziskus nichts Falsches, irgendwie auch viel Richtiges. Sehr Richtiges manchmal sogar. Für sich betrachtet. Aber ... nur FÜR SICH betrachtet. Kaum stellt man es in einen Zusammenhang und alles, was etwas bedeutet kann nur so gesehen werden, ergeben sich ganz andere Schlüsse.
Und der Verfasser dieser Zeilen schwankt sogar nach wie vor, im guten Willen, in der Beurteilung der Frage, ob nicht dieser Papst genau DASSELBE fordert, das sich selbst auf diesen Seiten immer wieder findet: Das Kreuz als Weg, auch der Priester, Rückbesinnung auf das blutvolle Leben, weg von der erstarrten Institutionalisierung und Kleinbürgerlichkeit, die alles Geistliche und Geistige schon nahezu restlos erstickt hat.
Dennoch bleibt ein seltsames Beigefühl, das einen auf keiner Seite verläßt. Das es zu artikulieren gilt! Und das Fatale an diesem Beigefühl ist, daß es diese selbe Gefühlslage anzeigt, die jemanden befällt, der sich in einer schizoiden Lage, in einem schizoiden Umfeld befindet. In einem Umfeld, das der Verfasser dieser Zeilen im Rahmen seiner diözesanen Tätigkeit ausgiebigst, und keineswegs positiv, erfahren hat.
Weil das NOMINELLE der Aussagen zwar unangreifbar und richtig ist, in diesem Fall also theologisch unangreifbar ist, aber etwas einem sagt, daß es der Wirklichkeit, eben dieser blutvollen Wirklichkeit nicht entspricht. Wahrheit ist nicht nur mehr als "richtig", es ist etwas anderes.
Solche schizoiden Situationen hat nahezu jeder Mensch erlebt - jemand lächelt einem ins Gesicht, argumentiert mit Richtigem und Gutem, und TUT einem doch Böses an. Besonders als Kind (in existentieller Abhängigkeit) ein furchtbares Erleben. Und fortan WEISZ der Mensch, daß dieses Verhalten BÖSE ist, ohne es aber greifen, artikulieren zu können, ohne gleichzeitig zu wissen, daß man von der Umgebung für seine Reaktion ausgestoßen, verurteilt werden wird. Wer nicht die Kraft findet, sich völlig vom verbalen, normativen, expliziten Wertgefüge der Umgebung herauszulösen, um richtig zu handeln, das Geschehen als böse und falsch zu bewerten, diese "Irrationalität" also hinzunehmen und zu ertragen, der wird darin untergehen. Aber gerade das ist ja der eigentliche und schwerste Kampf gegen die Lüge.
Lügt also Bergoglio? Die Antwort möge sich der Leser selbst geben, der Verfasser dieser Zeilen wagt das vorerst nicht in den Mund zu nehmen. Der beobachtet nur weiter ... einen Papst, der vom Kreuz spricht, das der Priester zu tragen habe, mutig und ohne Rücksicht auf Konsequenzen, und dabei selbst als erste Handlung jeden Rahmen bisherigen päpstlichen Verhaltens sprengt, die Riten nahezu aufhebt, die doch SEIN Kreuz wären. Denn Kreuz hat mit Fleisch zu tun, mit Gestalt.
Denn die Frage erhebt sich ja gerade beim Priester: Wie sieht sein Kreuz eigentlich aus? Was ist das, was der Priester zu tun hat, koste es was es wolle, und sei es sein eigenes Blut? Wo ist da diese Wirklichkeit der Erlösungskraft Christi, die genau und erst darin zur Wirklichkeit kommt?
Oder reduziert sich Priestertum auf das Zeigen freundlicher Gesichter, zum Zeichen, daß er die Liebe Christi repräsentiert? Ist aber nicht die Gestalt - die Schöpfung - genau der Ort, an dem Liebe sichtbar, erfahrbar und konkret wird? Ja, die Liebe liegt "dazwischen", aber kann (und will!) sie "für sich" sein, ohne Gestalt? Zeigt sich im Wesen der Erlösung nicht genau diese Gebundenheit ans Historische, an die Gestalt?
Oder liegt es nur in der Ermahnung der anderen, wenn sie Schlechtes tun? Auch, ja, gewiß, da und dort, wo es angebracht ist.
Aber was ist das genuine priesterliche Tun, seine Wirklichkeit als Kleriker, an dem er zu bluten hat? Ganz gewiß, ja, indem er aufhört, an seine Karriere zu denken, keine Frage, das stimmt dem Wort nach schon. Der Karrierismus hat der Kirche unübersehbaren Schaden zugefügt, und tut es noch, in dem sie als Institution eben eine tote Fassade wurde, ein Schreckensinstrument, und so haben sie viele viele auch erlebt, und erleben sie noch. Wo der Priester zum machtgeilen Herrscher wird, der sich auf die vordersten Plätze stellt, und verlangt, daß ihn alle ehrerbietig grüßen. Die ihre Gebetsquasten groß, ihre Riemen breit machen, und den Leuten Lasten auflegen, die sie nicht tragen können. Aber macht das Bergoglio wirklich anders? Macht nicht er ... genau das? Nur - anders?
Der Verfasser dieser Zeilen verlangt auch und sogar seit vielen Jahren, aus erlebter Erfahrung, daß die Kirche ihre finanzielle Absicherung aufgeben muß, wie sie zum Beispiel durch Steuersysteme seit 250 Jahren zu einer Verbeamtung des Geistlichen geführt hat, als Todesstoß jeder existentiellen Verkündigung. "Nehmt der Kirche endlich das Geld weg" hat er deshalb zuzeiten gefordert, und tut es noch. Erst in der existentiellen Auslieferung läßt sich überhaupt die Wirklichkeit Gottes erfahren, der Rest ist Theologismus und Moralismus, totes Gerede, toter Ritus.
Aber wo ist der Ausweg für die Priester selber? Wo ist ihre Wirklichkeit, die sie ans Kreuz schlägt? In der Verkündigung des Wortes, gewiß, ja. Das unverbrüchlich Wahre zu sagen verlangt schon "Eier in der Hose", und die Bereitschaft, den Kopf hinzuhalten und angespuckt zu werden.
Und sie sollen arbeiten, sollen durchaus ihr Geld selbst verdienen. Wobei man sie natürlich dazu auch in die Lage versetzen muß, diese zweite Seite der oben angeführten Forderung nach Armut darf nicht übersehen werden. Auf dieser Zweibeinigkeit ist ja die Kirche in Anfang und Aufbau unserer Kultur gestanden, das hat ihr diese Meriten erworben, die ihr abzusprechen nur Dummheit und Unkenntnis vermag. Kein Kloster, das nicht durch eigenes Wirtschaften sich selbst erhalten mußte, kein Pfarrer, der nicht durch eine Kleinwirtschaft sein Brot erwarb, oder es sich erbettelte.
Der an sich als Fortschritt zu wertende Umstand, daß sich der Priester mehr und mehr von diesen Lasten befreien konnte, durch die Gebebereitschaft der Menschen, der Gläubigen, durch ihre Dienstbereitschaft, ist in direktem Zusammenhang mit dem immer reicheren Ausbau der Frömmigkeitsformen zu sehen. Dem Reichtum der Liturgie im Barock etwa, der regelrecht überbordenden Frömmigkeit in Wallfahrten und Andachten durch die Gläubigen, dem Andrang zu den Gottesdiensten, dem gewaltigen Aufbau der Kunstschätze in Kirchen und Andachtsstätten, dem Andrang zu den Beichtstühlen, der unermüdlichen Arbeit in den Schulen, in der Ausbildung und in der Erziehung, im Reichtum der Kirchenmusik ... das alles sind wahrlich priesterliche Aufgaben, konkret, Orte der Mittlertätigkeit mit dem lebendigen Gott, mühsam und schwierig oft, und oft umsonst, weil Zerstörung alles zunichte machte. Viel gäbe es dazu zu sagen, der Leser möge es fortführen.
Sie haben eben eines: Konkretion. Richtige Konkretheit.
Aber auch: Sie HATTEN diese Konkretion. Denn gerade diese konkrete Arbeit wurde und wird zunehmend zurückgedrängt. Heute sind die Kirchen gebaut - und sie sind leer. Priester haben kaum noch eine konkrete Rolle in der Öffentlichkeit. Kein Gemeinderat zieht sie selbstverständlich als Berater bei, und der Religionsunterricht wird von zahllosen Laien durchgeführt, selten und noch seltener von Priestern. Katechese darüber hinaus findet kaum noch statt, das Kirchenblatt der Gemeinde liegt in den Händen des Pfarrgemeinderats oder der Pastoralassistentin.
Sonntags- oder Festmessen mit Weihrauch und Chor, wie sie der Verfasser dieser Zeilen noch fast wöchentlich in seiner Kindheit in den 1960er Jahren erlebte (bei sieben Sonntagsmessen mit prall gefüllter Kirche damals - gegen drei, trotz bei der Renovierung auf die Hälfte reduzierter Bestuhlung dennoch schütter besucht, heute, in derselben Pfarre, in derselben Kirche) Chöre gibt es immer seltener, und sie singen auch immer seltener, oder werden sich selbst überlassen, allesamt aber leiden unter Nachwuchs und könnten fast immer mit dem Chor der Altpensionäre zum Frommen Kuckuck verwechselt werden.
Buß- und Betgemeinschaften, gar Orden, die unter der geistlichen Leitung des Pfarrers oder seines Kaplans standen, sind kaum noch vorhanden. Der Pfarrhof, den der Autor als ständig schwirren Bienenstock voll Jugend und Leben erlebte, wo eine Jugendgruppe der anderen die Tür zu einem der zahlreichen Räume in die Hand drückte, wirkt heute wie das immer ruhige Amtsgebäude der Gesellschaft für die Erforschung des Walnießelfroschs. Pfarrbibliotheken sind lächerliche Nostalgieräume. Völlig vergessen ist dabei sogar die ursprüngliche Nähe von Priestertum und Dichtung. Wie viele Priester waren auch Dichter, große oder kleine, und zwar gerade im Verhältnis zur Größe der Umgebung. Ihre Aufgabe ist ja immer das Suchen des Allgemeinen im Einzelnen. Ohne Priester gäbe es nicht einmal Theater. Der Schritt und Rhythmus der Liturgie ist es, der die Menschen, die in ihrer Erkenntnis in der Bewegung ansetzen, in das Leben hineinstellt, diese zu einer Gestalt werden läßt.
Wer, bitte schön, braucht heute aber noch Pfarren? Die Anlässe lassen sich an einer Hand aufzählen. Sie haben dieselben Sehnsüchte und Wünsche, als metaphysische Wünsche aus ihrem Wesen heraus dunkel gefühlt. Aber wer erfüllt sie? Wo ist der Gottesdienst, der die himmlische Ordnung "spielt", deren Spannung und Bewegung Quellpunkt der Spannung und Bewegung des Alltags ist?*
Und das Komische: Je weniger konkrete Aufgaben die Priester finden und fanden, desto häufiger waren Dinge zu hören wie "Arbeitszeitregelungen", als wäre das Lesen einer Messe dem Verfertigen von Doppelmuffen an Flanschmaschinen dasselbe. Burnout als Priestersyndrom titelte dereinst einmal eine Zeitschrift. Solche Dinge schienen im selben Maß zuzunehmen, als die Kleriker aus allen Aufgaben herausfielen. (Wir wollen ausdrücklich so manche Landpfarre, auf der es alles solches immer noch gibt, ausnehmen.) Wobei: wer erkennt den Pfarrer noch? Seit den 1970er Jahren war der Kaplan oft sogar der, der den zivilsten Pulli und das schnittigste Auto sein Eigen nannte und die wildeste Plattensammlung hatte.
Auch der Verfasser wollte und will natürlich nicht zurückstehen, als Zeichen des "guten Willens", in dem er das Buch zu lesen versuchte, das Gute herauszugreifen, das zu finden er ja sehr bereit war. Und tatsächlich, "an sich" sagt Papst Franziskus nichts Falsches, irgendwie auch viel Richtiges. Sehr Richtiges manchmal sogar. Für sich betrachtet. Aber ... nur FÜR SICH betrachtet. Kaum stellt man es in einen Zusammenhang und alles, was etwas bedeutet kann nur so gesehen werden, ergeben sich ganz andere Schlüsse.
Und der Verfasser dieser Zeilen schwankt sogar nach wie vor, im guten Willen, in der Beurteilung der Frage, ob nicht dieser Papst genau DASSELBE fordert, das sich selbst auf diesen Seiten immer wieder findet: Das Kreuz als Weg, auch der Priester, Rückbesinnung auf das blutvolle Leben, weg von der erstarrten Institutionalisierung und Kleinbürgerlichkeit, die alles Geistliche und Geistige schon nahezu restlos erstickt hat.
Dennoch bleibt ein seltsames Beigefühl, das einen auf keiner Seite verläßt. Das es zu artikulieren gilt! Und das Fatale an diesem Beigefühl ist, daß es diese selbe Gefühlslage anzeigt, die jemanden befällt, der sich in einer schizoiden Lage, in einem schizoiden Umfeld befindet. In einem Umfeld, das der Verfasser dieser Zeilen im Rahmen seiner diözesanen Tätigkeit ausgiebigst, und keineswegs positiv, erfahren hat.
Weil das NOMINELLE der Aussagen zwar unangreifbar und richtig ist, in diesem Fall also theologisch unangreifbar ist, aber etwas einem sagt, daß es der Wirklichkeit, eben dieser blutvollen Wirklichkeit nicht entspricht. Wahrheit ist nicht nur mehr als "richtig", es ist etwas anderes.
Solche schizoiden Situationen hat nahezu jeder Mensch erlebt - jemand lächelt einem ins Gesicht, argumentiert mit Richtigem und Gutem, und TUT einem doch Böses an. Besonders als Kind (in existentieller Abhängigkeit) ein furchtbares Erleben. Und fortan WEISZ der Mensch, daß dieses Verhalten BÖSE ist, ohne es aber greifen, artikulieren zu können, ohne gleichzeitig zu wissen, daß man von der Umgebung für seine Reaktion ausgestoßen, verurteilt werden wird. Wer nicht die Kraft findet, sich völlig vom verbalen, normativen, expliziten Wertgefüge der Umgebung herauszulösen, um richtig zu handeln, das Geschehen als böse und falsch zu bewerten, diese "Irrationalität" also hinzunehmen und zu ertragen, der wird darin untergehen. Aber gerade das ist ja der eigentliche und schwerste Kampf gegen die Lüge.
Lügt also Bergoglio? Die Antwort möge sich der Leser selbst geben, der Verfasser dieser Zeilen wagt das vorerst nicht in den Mund zu nehmen. Der beobachtet nur weiter ... einen Papst, der vom Kreuz spricht, das der Priester zu tragen habe, mutig und ohne Rücksicht auf Konsequenzen, und dabei selbst als erste Handlung jeden Rahmen bisherigen päpstlichen Verhaltens sprengt, die Riten nahezu aufhebt, die doch SEIN Kreuz wären. Denn Kreuz hat mit Fleisch zu tun, mit Gestalt.
Denn die Frage erhebt sich ja gerade beim Priester: Wie sieht sein Kreuz eigentlich aus? Was ist das, was der Priester zu tun hat, koste es was es wolle, und sei es sein eigenes Blut? Wo ist da diese Wirklichkeit der Erlösungskraft Christi, die genau und erst darin zur Wirklichkeit kommt?
Oder reduziert sich Priestertum auf das Zeigen freundlicher Gesichter, zum Zeichen, daß er die Liebe Christi repräsentiert? Ist aber nicht die Gestalt - die Schöpfung - genau der Ort, an dem Liebe sichtbar, erfahrbar und konkret wird? Ja, die Liebe liegt "dazwischen", aber kann (und will!) sie "für sich" sein, ohne Gestalt? Zeigt sich im Wesen der Erlösung nicht genau diese Gebundenheit ans Historische, an die Gestalt?
Oder liegt es nur in der Ermahnung der anderen, wenn sie Schlechtes tun? Auch, ja, gewiß, da und dort, wo es angebracht ist.
Aber was ist das genuine priesterliche Tun, seine Wirklichkeit als Kleriker, an dem er zu bluten hat? Ganz gewiß, ja, indem er aufhört, an seine Karriere zu denken, keine Frage, das stimmt dem Wort nach schon. Der Karrierismus hat der Kirche unübersehbaren Schaden zugefügt, und tut es noch, in dem sie als Institution eben eine tote Fassade wurde, ein Schreckensinstrument, und so haben sie viele viele auch erlebt, und erleben sie noch. Wo der Priester zum machtgeilen Herrscher wird, der sich auf die vordersten Plätze stellt, und verlangt, daß ihn alle ehrerbietig grüßen. Die ihre Gebetsquasten groß, ihre Riemen breit machen, und den Leuten Lasten auflegen, die sie nicht tragen können. Aber macht das Bergoglio wirklich anders? Macht nicht er ... genau das? Nur - anders?
Der Verfasser dieser Zeilen verlangt auch und sogar seit vielen Jahren, aus erlebter Erfahrung, daß die Kirche ihre finanzielle Absicherung aufgeben muß, wie sie zum Beispiel durch Steuersysteme seit 250 Jahren zu einer Verbeamtung des Geistlichen geführt hat, als Todesstoß jeder existentiellen Verkündigung. "Nehmt der Kirche endlich das Geld weg" hat er deshalb zuzeiten gefordert, und tut es noch. Erst in der existentiellen Auslieferung läßt sich überhaupt die Wirklichkeit Gottes erfahren, der Rest ist Theologismus und Moralismus, totes Gerede, toter Ritus.
Aber wo ist der Ausweg für die Priester selber? Wo ist ihre Wirklichkeit, die sie ans Kreuz schlägt? In der Verkündigung des Wortes, gewiß, ja. Das unverbrüchlich Wahre zu sagen verlangt schon "Eier in der Hose", und die Bereitschaft, den Kopf hinzuhalten und angespuckt zu werden.
Und sie sollen arbeiten, sollen durchaus ihr Geld selbst verdienen. Wobei man sie natürlich dazu auch in die Lage versetzen muß, diese zweite Seite der oben angeführten Forderung nach Armut darf nicht übersehen werden. Auf dieser Zweibeinigkeit ist ja die Kirche in Anfang und Aufbau unserer Kultur gestanden, das hat ihr diese Meriten erworben, die ihr abzusprechen nur Dummheit und Unkenntnis vermag. Kein Kloster, das nicht durch eigenes Wirtschaften sich selbst erhalten mußte, kein Pfarrer, der nicht durch eine Kleinwirtschaft sein Brot erwarb, oder es sich erbettelte.
Der an sich als Fortschritt zu wertende Umstand, daß sich der Priester mehr und mehr von diesen Lasten befreien konnte, durch die Gebebereitschaft der Menschen, der Gläubigen, durch ihre Dienstbereitschaft, ist in direktem Zusammenhang mit dem immer reicheren Ausbau der Frömmigkeitsformen zu sehen. Dem Reichtum der Liturgie im Barock etwa, der regelrecht überbordenden Frömmigkeit in Wallfahrten und Andachten durch die Gläubigen, dem Andrang zu den Gottesdiensten, dem gewaltigen Aufbau der Kunstschätze in Kirchen und Andachtsstätten, dem Andrang zu den Beichtstühlen, der unermüdlichen Arbeit in den Schulen, in der Ausbildung und in der Erziehung, im Reichtum der Kirchenmusik ... das alles sind wahrlich priesterliche Aufgaben, konkret, Orte der Mittlertätigkeit mit dem lebendigen Gott, mühsam und schwierig oft, und oft umsonst, weil Zerstörung alles zunichte machte. Viel gäbe es dazu zu sagen, der Leser möge es fortführen.
Sie haben eben eines: Konkretion. Richtige Konkretheit.
Aber auch: Sie HATTEN diese Konkretion. Denn gerade diese konkrete Arbeit wurde und wird zunehmend zurückgedrängt. Heute sind die Kirchen gebaut - und sie sind leer. Priester haben kaum noch eine konkrete Rolle in der Öffentlichkeit. Kein Gemeinderat zieht sie selbstverständlich als Berater bei, und der Religionsunterricht wird von zahllosen Laien durchgeführt, selten und noch seltener von Priestern. Katechese darüber hinaus findet kaum noch statt, das Kirchenblatt der Gemeinde liegt in den Händen des Pfarrgemeinderats oder der Pastoralassistentin.
Sonntags- oder Festmessen mit Weihrauch und Chor, wie sie der Verfasser dieser Zeilen noch fast wöchentlich in seiner Kindheit in den 1960er Jahren erlebte (bei sieben Sonntagsmessen mit prall gefüllter Kirche damals - gegen drei, trotz bei der Renovierung auf die Hälfte reduzierter Bestuhlung dennoch schütter besucht, heute, in derselben Pfarre, in derselben Kirche) Chöre gibt es immer seltener, und sie singen auch immer seltener, oder werden sich selbst überlassen, allesamt aber leiden unter Nachwuchs und könnten fast immer mit dem Chor der Altpensionäre zum Frommen Kuckuck verwechselt werden.
Buß- und Betgemeinschaften, gar Orden, die unter der geistlichen Leitung des Pfarrers oder seines Kaplans standen, sind kaum noch vorhanden. Der Pfarrhof, den der Autor als ständig schwirren Bienenstock voll Jugend und Leben erlebte, wo eine Jugendgruppe der anderen die Tür zu einem der zahlreichen Räume in die Hand drückte, wirkt heute wie das immer ruhige Amtsgebäude der Gesellschaft für die Erforschung des Walnießelfroschs. Pfarrbibliotheken sind lächerliche Nostalgieräume. Völlig vergessen ist dabei sogar die ursprüngliche Nähe von Priestertum und Dichtung. Wie viele Priester waren auch Dichter, große oder kleine, und zwar gerade im Verhältnis zur Größe der Umgebung. Ihre Aufgabe ist ja immer das Suchen des Allgemeinen im Einzelnen. Ohne Priester gäbe es nicht einmal Theater. Der Schritt und Rhythmus der Liturgie ist es, der die Menschen, die in ihrer Erkenntnis in der Bewegung ansetzen, in das Leben hineinstellt, diese zu einer Gestalt werden läßt.
Wer, bitte schön, braucht heute aber noch Pfarren? Die Anlässe lassen sich an einer Hand aufzählen. Sie haben dieselben Sehnsüchte und Wünsche, als metaphysische Wünsche aus ihrem Wesen heraus dunkel gefühlt. Aber wer erfüllt sie? Wo ist der Gottesdienst, der die himmlische Ordnung "spielt", deren Spannung und Bewegung Quellpunkt der Spannung und Bewegung des Alltags ist?*
Und das Komische: Je weniger konkrete Aufgaben die Priester finden und fanden, desto häufiger waren Dinge zu hören wie "Arbeitszeitregelungen", als wäre das Lesen einer Messe dem Verfertigen von Doppelmuffen an Flanschmaschinen dasselbe. Burnout als Priestersyndrom titelte dereinst einmal eine Zeitschrift. Solche Dinge schienen im selben Maß zuzunehmen, als die Kleriker aus allen Aufgaben herausfielen. (Wir wollen ausdrücklich so manche Landpfarre, auf der es alles solches immer noch gibt, ausnehmen.) Wobei: wer erkennt den Pfarrer noch? Seit den 1970er Jahren war der Kaplan oft sogar der, der den zivilsten Pulli und das schnittigste Auto sein Eigen nannte und die wildeste Plattensammlung hatte.
Teil 2 morgen) Von Früchten, Scheinfrüchten und Früchtchen
*Der Verfasser dieser Zeilen weiß um seine unendliche Dankesschuld den Erfahrungen in der heiligen Liturgie - als Kind, als Ministrant in den 1960er Jahren - gegenüber. Sie hat ihm das Grund-Daseinsgefühl gegeben, in ihr erfuhr er die alles Konkrete durchdringenden Grundspannungen der Welt, die ihre Ordnung ausmacht. Als Einfügender und Eingefügter. Nicht als Machender. Was hätte er "machen" sollen? Jede Welterkenntnis setzt in der Religion an, sie ist unsere Lehrerin. Immer. Was soll aus formlos aktualistischen Liturgien also noch an Welterkenntnis erwachsen? Die Menschen denken und glauben so, wie sie beten. Es hat viel zu sagen, wenn auch heute noch die Zentralfeiern Weihnachten und Ostern - mit den nach wie vor anstrengendsten, umfassendsten Liturgien - gut besucht sind, obwohl, explizit befragt, so daß das weltliche "Wissensgebäude" zuschlagen kann, niemand mehr an einen inkarnierten Gott und seine Auferstehung glaubt.
Teil 1) Der Ausgangspunkt
Teil 2) Von Früchten, Scheinfrüchten und Früchtchen
Teil 3) Braucht die Kirche einen frommen Papst?
Teil 4) Wahrheit ist eine Frage des Lichts, das auf etwas fällt. Zitate, und wie man sie auch deuten könnte.
Teil 5) Komm sie jetzt, die tiefe Nacht des Verstandes?
*040613*