Eine scheinbar unlösbare, in keiner Literatur aufzufindende Frage war dem Verfasser dieser Zeilen aus einer Beobachtung erwachsen, und er hat an ihr fünfzehn, zwanzig Jahre gekaut: Warum nämlich im Übergang von der Romanik zur Gotik, die zu diesem Zeitpunkt völlig außer Frage stehende, verbindliche OSTUNG der Kirchen - die Inkarnation Gottes in der Eucharistie wurde mit dem Aufstehen des Lichts (in Analogie) gleichgesetzt, die Hostie bei der Wandlung nach Osten (siehe unteranderem die Studien von Klaus Gamber) levitiert (ähem ... gehoben), wenn also überhaupt je von einem Volksaltar gesprochen werden kann, dann nur in Zusammenhang mit dem Stand der Sonne entsprechend gestaltete Kirche - um etwa zwölf bis fünfzehn Grad nach links gedreht wurde.
Immer wieder fand er diese Tatsache bei Kirchenbauten vor, und der Leser möge es überprüfen - es ist tatsächlich in dieser Bauperiode eine Drehung der Kirchen um diese Gradzahl zu beobachten. Und wer auf den Stephansplatz in Wien geht, und dort im Pflaster die Konturen der dem jetzigen gotischen Dom vorausgehenden Kirche eingezeichnet findet, wird es ganz deutlich erkennen.
Ein an sich luzider, in sich aber verrückter Mann hat es ihm (da hatte er schon jahrelang darüber nachgedacht) einmal in spontaner Siegespose so erklärt: Es habe zu tun mit der Erkenntnis, daß die optische Wahrnahme der Sonne durch die Brechung des Lichts im Horizont eine Verschiebung gegen den "wahren" Stand der Sonne bewirke.
Das hatte etwas, zweifellos, aber es erklärte nichts wirklich. Die Unruhe wurde nicht wirklich beseitigt. Wenn es auch der Lösung der Frage schon sehr nahe kommt. Die der Verfasser nunmehr in Händen zu haben meint.
Und sie ist einfach, sehr einfach - so einfach. Und sie dürfte stimmen. Sie hat nämlich ganz simpel ... mit der Erfindung des Kompaß' zu tun.
Dessen Einführung, dessen beginnender Gebrauch fällt exakt in diese Bauzeit-Periode des 11. bis 13. Jahrhunderts. Jener Zeit, in der diese fundamentale Revolution des europäischen Geistes und Lebens stattfand, die in der Renaissance dann ihre Blüte fand. Eine Revolution löste diese Technik ja in Bereichen aus, wo das Auge hilflos war, um den Ort zu bestimmen: Auf See und vor allem im Bergbau. Für das 13. Jahrhundert ist die Verwendung des Kompaß im Bergbau in Mitteleuropa nachgewiesen.
Tatsache war damit, daß die Ostung der Gotteshäuser in dieser Zeit von der faktischen Beobachtung des Sonnenaufgangs in die Messung per Kompaß wanderte.
Mit der Gotik umso mehr, als die Bautechnik sich in damals in die (tagesferne, beobachtungsferne) Mathematik und Spekulation verlegte. Gotische Gotteshäuser sind ja ein Wunder an Logistik der Arbeitsteilung und der Mathematik, waren eine Revolution am Bau, der vom simplen "schau-und-mach" zum mutigen "plane-konstruiere-organisiere" wurde. Erstmals vertraute man der Mathematik mehr als dem bloßen menschlichen Gefühl und der Tradition und damit stieg der Wagemut, die Welt zu gestalten. In der Architektur hieß das: Weg von der plumpen Sicherheit-Scheibenstatik, hin zur komplexen, weil errechenbaren Punkt-Last-Abtragung. Die Phasen der Gotik lassen sich exakt an der Zunahme der Fragilität und Gewagtheit der Konstruktion ablesen.
Tatsache war damit, daß die Ostung der Gotteshäuser in dieser Zeit von der faktischen Beobachtung des Sonnenaufgangs in die Messung per Kompaß wanderte.
Mit der Gotik umso mehr, als die Bautechnik sich in damals in die (tagesferne, beobachtungsferne) Mathematik und Spekulation verlegte. Gotische Gotteshäuser sind ja ein Wunder an Logistik der Arbeitsteilung und der Mathematik, waren eine Revolution am Bau, der vom simplen "schau-und-mach" zum mutigen "plane-konstruiere-organisiere" wurde. Erstmals vertraute man der Mathematik mehr als dem bloßen menschlichen Gefühl und der Tradition und damit stieg der Wagemut, die Welt zu gestalten. In der Architektur hieß das: Weg von der plumpen Sicherheit-Scheibenstatik, hin zur komplexen, weil errechenbaren Punkt-Last-Abtragung. Die Phasen der Gotik lassen sich exakt an der Zunahme der Fragilität und Gewagtheit der Konstruktion ablesen.
Und das hieß auch: Weg vom Hinsehen, wo denn die Sonne aufgehe - und hin zu einem am Plan bezeichneten Osten, per Kompaß beziehungsweise Magnetnadelmessung zu ermitteln.
Das war's!
Das Interessante freilich ist nun etwas ganz anderes: Denn hier blitzt eine Charakteristik der Zeit selbst auf. Das Sichtbare, das menschlich Erlebte, wurde "entwertet", durch ein "Objektives" ersetzt. Die Orientierung und damit Ordnung der Erde wechselte - vom Kosmischen weg, hin zum Weltimmanenten.
Was IST nämlich nun die Wirkweise, die Inkarnation Gottes? Das, was wirkt, oder das, was ... "ist", weil nur ist, was wirkt, und alles wirkt aufeinander durch Erkenntnis? (Oh, der Leser möge doch die vielen luziden Passagen in Whitehead's "Process and Reality" studieren, die wie eine Neufassung platonisch-aristotelischer Kosmologie und Metaphysik gelesen werden können!) Geht die Sonne im kompaß-erosteten Osten auf, oder ist Osten dort, wo die Sonne - optisch - aufgeht? Wirken die Dinge aufeinander außerhalb ihrer Wahrnehmung?
Oder ist die Kompaßwelt einfach ... eine erfundene, neue, wissenschaftliche Koordinatenwelt?
Der Verfasser dieser Zeilen wird versuchen, diese These in seinen nächsten Reisen zu erhärten.
Der Verfasser dieser Zeilen wird versuchen, diese These in seinen nächsten Reisen zu erhärten.
*130613*