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Sonntag, 11. August 2013

Geistloser Materialismus

Nun unterscheidet sich der Marxismus (der auf Hegel fußt) auf den ersten Blick in seiner Auffassung der Arbeit gar nicht wirklich von der aristotelisch-thomistichen Sichtweise und Metaphysik! Denn auch er sieht selbstverständlich in der menschlichen Arbeit, in seiner Produktion, eine Vergegenständlichung des Menschen selbst, der sich darin "selbst" gegenübertritt. Das Sein vollzieht sich ins Seiende, wird zur Welt selbst, durch Heraustreten, durch Tun. Ja, im Tun wird - so wie überhaupt in allem Dinglichen - der Geist als Ursache, als Hervorbringer erkennbar, er stellt sich darin dar. 

Aber für Marx ist dies alles ein rein materialistisches, weltimmanentes Geschehen. Insofern gibt es gar keinen Geist, Marx lehnt auch jede Metaphysik ab, und Religion ist ihm die allererste Selbstentfremdung des Menschen. Alles bleibt dinglich. Was der Einzelne selbst denkt ist im Grunde irrelevant. Alles bleibt innerhalb der Gegenstandswelt und Mechanistik der Welt, mehr gibt es nicht.

Während in der aristotelisch-thomistischen Sicht der Mensch sich der Gegenstandswelt im Geiste eint, so die Welt im Erkennen in den reinen Geist (Gott) zurückreicht, und so (mehr oder weniger fensterhafter, aber nie erschöpfender) Spiegel des reinen Seins (in seinem menschlichen Sein) zu werden berufen ist (ohne dies direkt "machen" zu können). Der Mensch selbst findet sich so wie alles Geschöpfliche in einer Ordnung, die er als Ordnung erfaßt, und damit als Vernunft. 

Sein Erkennen ist also in dieser Hinsicht "auch" eine Teilhabe an der "Allvernunft", darin unterscheidet sich Hegel nicht wirklich. Aber bei Hegel wird es zur Dialektik, zum notwendigen Geschehen, aus dem heraus schon der Mensch die Negation die sich in den Dingen findet (denn sie müssen, um überhaupt zu sein, aus der Allvernunft vereinzelt, herausgelöst sein) auflösen, ins Eine der Allvernunft hinein zu holen getrieben wird. Die Welt wird damit zu einer Art "Maschinerie des Selbstbegreifens des Geistes", in der menschlichen Vernunft, die dialektisch-zwangsläufig zur Höherentwicklung der Welt führt. (Gedankenwege, wie sie sich u. a. bei Teilhard de Chardin im 20. Jhd. direkt wiederfinden, also auch in die Theologie eingedrungen sind, wo sich die Welt zum "Punkt Omega", zum All-Christus entwickelt.)

Diesen "Geist" lehnt Marx ab, hier scheidet er sich von Hegel. Alles ist dialektischer Materialismus. Die Unterscheidung Mensch - Tier findet bei Marx in dem Moment statt, wo der Mensch sich seine Lebensmittel selbst produziert, sich damit (ein im Grunde metaphysisches Bild, das sogar hierin noch verführerische Ähnlichkeiten zur Gottähnlichkeit der Metaphysik zeigt) aus sich selbst im (endlichen) Dasein erhält (dessen Ohnendlichkeit durch den Artcharakter ausgedrückt wird, so wie sich im Tierreich alles durch die Art erhält). Hierin zeigt sich seine Autonomie, seine völlige Unabhängigkeit von allem (und seine Gottähnlichkeit): in der Beherrschung der Natur, im "Leben aus sich selbst".

Die aristotelisch-thomistische Ontologie freilich begründet das Selbstsein aller Dinge anders (und: sie denkt es durch, man vergesse das nicht, es ist kein simples "Nehmen wir einmal an"). Das Sein der Welt, das nur als Einzelsein der Dinge existiert, ist nur insofern sein, als zum einen die Dinge aus sich selbst sind, als Akt, und zum anderen in diesem Aktsein nur sind, indem sie wieder ins reine Sein - sterbend (Stirb und Werde ...) - zurücksinken. In dieser Pulsarik gewissermaßen existiert die Welt, als Gleichnis des reinen Seins, des trinitarischen Gottes, der in sich gleichfalls lebendiger Akt ist.

Das Erkennen des Menschen zielt also nicht auf das Abbilden der materialen Dinge selbst ab (auch wenn das passieren muß, sonst sind sie nicht erkennbar, als "Material des Verstandes" gewissermaßen), sondern auf ihren Seinsgrund, auf ihren Sinn (logos), dem wirklichen Wirklichen. Im einen einzigen ganzen Sinn läßt sich so die Einheit allen Seins (und damit die Wirklichkeit der Welt) am vollkommensten finden, um in der Vernunft, die (vereinfacht) ist was sie denkt, an der Allvernunft teilzuhaben*. Insofern aber ist das Verstehen als personaler und ganzmenschlicher Akt unersetzbar, ja Voraussetzung, aber sie zielt auf Transzendenz, ja diese ist ihr Wesen: sich selbst zu übersteigen, um so zu sein, weil Geist selbst Transzendenz ist.

Im Marxismus findet sich also auch die paradigmatische und rationalistische Wende des Wissensbegriffes als Fundament, wie er in der Renaissance stattfand. Wissen wird zum "machen können", alles darüber hinaus, das Wesen der Dinge, wird uninteressant, weil rational nicht produzierbar. Für ihn ist nichts, was nicht im Bewußtsein ist, als eigentlicher Ort menschlichen Seins. Und Bewußtsein ist für Marx Sprache, Gedanke. Weil aber im Bewußtsein nichts Ungegenständliches sein kann, ist die Möglichkeit von Sprache und Denken materialistisch begrenzt. Transzendenz ist Illusion. Das Sein bleibt Materie und Mechanismus, der Mensch Teil des Weltganzen (nach Hegel: als Geschehen des Unendlichen), aber er wird im dialektischen Erkennen in der Intentionalität zur Form der Materie, er wird in seiner Arbeit also Geschichte, ja nur Arbeit wird Geschichte. Objekt, Produkt und Mensch sind nicht mehr getrennt, sie sind eins, und zwar indem die Welt Mensch wird - WENN er sich selbst zum Sinn und Zweck der Natur setzt, die so zu sich selbst wird, der Mensch in der Arbeit die Dinglichkeiten zu sich selbst produziert.** "Die Natur abstrakt genommen," schreibt Marx einmal, "ist für den Menschen nichts." Das heißt: die Natur außerhalb der menschlichen Zwecksetzung hat gar nicht zu sein, der Mensch muß Mitte und Kern aller gegenständlichen Gegebenheiten sein.

Und damit wird der Marxismus zu einer Fundamentalontologie, das das gesamte Verhältnis des Menschen zum Sein, zur Welt verändert und auf den Kopf stellt. Dessen Tragweite gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Selbst knappe und zutreffende Zusammenfassungen wie "Gott wird durch den Menschen ersetzt" reichen nicht.

Nehmen wir als Indiz wenn wir beobachten, daß wir heute einem Weltgefühl begegnen, das den Menschen tatsächlich bereits als Ursache und Urheber sämtlicher Weltvorgänge betrachtet, die ihren Wert nicht mehr "in sich" haben, sondern nur noch Ausfluß menschlichen Tuns sind (bzw. sein sollen). Wenn wir etwa glauben, alles hinge von uns ab, und wir könnten uns selbst sogar willkürlich gestalten.

Weil sich der Mensch als Sein alles Seienden sieht, das jedes vorgefundene Sein nach seiner Willkür im Tun zu übersteigen, zu verändern habe, damit er zu sich selbst wird.***

Und damit genau das Gegenteil dessen tut, was er ... tun sollte. Weil sonst genau die Einheit zerfällt, die er nur in jenem reinen Sein hat, das alles umfängt, und aus dem alles Seiende in einem zeitlosen und ohnendlichen Akt der Liebe zur geschaffenen Welt der Dauer ersteigt.



*Ohne sie sein zu können! Denn das Sein der Welt ist nur als Teilhabe am reinen Sein überhaupt Sein, es kann es sich nicht selbst geben, und verdankt sich auch nicht erstursächlich: es ist geschöpflich. Nichts was ist (als Seiendes Sein hat) ist aus sich selbst entstanden - und das ist im Grunde eine Lehre der Empirie: kein Ding der Welt ist "aus sich" in diese Welt gekommen. Das ist deshalb die Kernfrage des Materialismus par excellence. Und hier hat die Naturwissenschaft der Gegenwart physikalisch-materialistische Konzepten des 19. Jhds. verwirklicht, denn die Atomphysik des 20. Jhds. erkennt diese Bedingtheit der Materie bereits, der Materiebegriff löst sich in ihr bereits auf, kann also naturwissenschaftlich gesehen gar nicht Erstursache sein.

**Man kann die Fülle der metaphysischen Topoi, die sich im Marxismus wiederfinden, kaum abgrenzen, die eine so verführerische Ähnlichkeit - bei diametraler Entgegensetzung! - mit der aristotelisch-thomistischen Metaphysik herstellen, sodaß sich bei enorm vielem sagen läßt: "Das ist nicht ganz falsch, wenn nicht sogar sehr richtig". Aber nur so kann man die geschichtswirksame Macht des Marxismus begreifen, den mit dem "Fall der Mauer" als "erledigt" zu betrachten ein katastrophaler Fehler ist. Denn dieses naiv-dämliche Schlagwort läßt übersehen, in welchem Ausmaß der Marxismus das Denken der Gegenwart bereits beherrscht - und zwar: unerkannt, weil als historische Geistesströmung, als historisch so nachvollziehbar und "organisch" gewachsene Entwicklung längst Fundament der Weltsicht der heutigen Menschen. Man unterschätzt ihn völlig, wenn man meint, er sei mit der historischen Episode der kommunistischen Staaten abgetan.

***Das reicht bis hinein in die plan- und sinnlosen "Demokratie-Bewegungen", die derzeit weltweit Rebellionen auf ihre Fahnen geheftet haben, wo alles so werden soll, wie es die Menschen sich vorstellen, und vernunftloses Chaos folgt. Weil Ordnung als "machbar" empfunden wird, anstatt vorgefundenes, eingeschriebenes Zueinander allen vorgängigen Seins.




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