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Dienstag, 13. August 2013

Im Bette einer Weltanschauung

Nun wäre es verfehlt zu meinen, der dialektische Materialismus (Marxismus) wäre eine in sich völlig stringente Theorie, die sich aus sich heraus begründen könnte. Das tut er nicht. Er hat eben Postulate. Und er hat seine impliziten Annahmen, wie die Welt ist. Eben: teleonimisch, material(istisch)-physikalistisch aufgebaut.

Hegel wir Marx gemeinsam ist die Tatsache, daß der Dinghaftigkeit der Welt kein Eigensein zukommt. Dieses wird erst durch den Menschen, der sich zu den Dingen dialektisch verhält. Während in Hegel aber noch der Geist das alle Wirklichkeit schaffende ist, das im Menschen, in der dialektischen Erkenntnis, das Gesicht des Wirklichkeitsschaffenden ist, während sich bei Hegel alles zur Konstruktionstat des Menschen (der als gottmenschlich gedacht irgendwann und mit dialektischer Notwendigkeit zur Universalvernunft, dem sich selbst erkennenden und alles schaffenden Allgeist wird), lehnt Marx dieses idealistische Seite ab. Für ihn erschöpft sich alle Dingwirklichkeit in den Dingen selbst, und in ihrer praktischen Gegenständlichkeit den Menschen betreffend. Der sich in der Arbeit ihrer bemächtigt, wobei die Welt für ihn nur ist, was sie real in ihren Bezügen auf ihn ist. 

Auf den ersten Blick also gibt Marx den Dingen ihr Eigensein zurück. Aber er tut es nicht wirklich, nicht metaphysisch: Denn solange sie ein Eigensein hätten, wären und sind sie dem Menschen feindlich. Durch die menschliche Arbeit und Bearbeitung aber werden sie zur Wirklichkeit selbst, zur einen Wirklichkeit, von der der Mensch ebenso dinghafter Teil ist wie das bearbeitete, angeeignete Ding, sodaß die Welt zu einem menschenhaften Antlitz wird, der Heimat, Einheit, nach der sich jeder Mensch sehnt.

Das geht nur, wenn er den Dingen eben keine eigene ontologische Selbstheit zuspricht. Sie haben dem Menschen nichts zu sagen, sie stellen ihm nur (funktional) die Aufgabe der Aneignung.

Damit ist der Marxismus klare Frucht der rationalistischen Aufklärung, liegt im geistigen Strom jener Zeit, der seine breiten Bette erst heute so richtig gefunden hat. Die meint, die Welt wäre mit der Ratio endgültig und universal zu begreifen. Begreifen als Wissen, wie sie funktioniert, wie man sie manipulieren kann. Wir erinnern uns an Blog-Einträge der letzten Wochen, wo der grundlegende Wandel des Wissensbegriffs seit der Renaissance dargelegt wurde: Wissen ist nur das Wissen um das experimentell Nachvollzieh- und Wiederholbare, die Handhabung auf einen menschlichen Zweck hin also, nicht das "Verstehen" des Wesens der Dinge, das ohne persönlichen Akt undenkbar ist.

In der heutigen Diskussion über Teleologie und Teleonomie - letztere wird geminiglich als "richtig" gesehen - zeigt sich genau das. WAS die Dinge sind sind nachträglich rein menschlich geschaffene Begriffe. Es gibt kein Eigenwesen der Dinge. Sie "sind" nur, was wir daraus machen, darin sehen (wollen). Ein Widerspruch in sich, den hier auszuführen den Rahmen sprengen würde (denn, kurz und vereinfachend gesagt, ohne dinglich-begriffliches "Vor-Sein" würde sich überhaupt nie etwas wie eine Tatsache und Kausalität und damit "verstehen" bilden; das Wissen, wie etwas funktioniert, verschiebt lediglich die "Was-"Frage immer weiter nach hinten).

Hegel wie Marx rekurrieren darauf. Aber für Marx bleibt alles praktisch, geerdet. Die Philosophie, sagt er einmal, hat nur die Welt interpretiert. Aber das ist nutz- und sinnlos. Es kommt darauf an, sie zu verändern. 

Sodaß der Marxismus und sein Materialismus durchaus wie ein nüchterner Realismus wirkt. Aber ihm haben die Dinge kein Eigensein mehr, keinen ontologischen Selbststand, kein Sein im Dasein. Der Mensch ist es, der allem ein Sein gibt, er ist es, der die Welt des Seienden schafft, und nur er. Die Fremdheit der Dinge ist Marx nur eine Feindlichkeit des noch nicht "Angeeigneten", durch menschlichen Entwurfe Verändertes, und damit zu ihm selbst Gewordenes.

Die Gegenstände haben als ihre Grundlage also nicht ein Seinsbild, damit ein Wesen, sodaß ihre faktische Gestalt eine Geschichte ihrer Selbstwerdung ist.  Sie sind, was der Mensch daraus macht. Was er nicht "brauchen" kann, hat keine Daseinsberechtigung.

Eben weil das Weltbild sich bereits so zugespitzt hat, daß die Welt nur noch als Zueinander von Interessen und Zwecken gesehen wird. Was keinen Zweck im Kampf ums Überleben hat, so lehrt es auch der längst aufkommende Darwinismus, geht unter.*



*Wer heute auch und gerade in sich als intellektuell verstehenden Medien Berichte über "wissenschaftliche Erkenntnisse" liest, wird regelrecht überschwemmt mit oft grotesken, ja lächerlichen "Erklärungen", in denen vorgesetzt wird, "was" dies oder jenes sei. Indem sich jemand Hirngespinste ausdenkt, was seine Funktion im Daseinskampf der Evolution sei. So jüngst, wo jemand erklärt, daß das Küssen aus dem alten Beschnupperritual der Afteröffnungen stamme. Oder ein anderer erklärt, daß der Mensch überhaupt eine Fehlkonstruktion sei, weil das menschliche Baby anders als im Tierreich so lange nicht in der Lage sei, selbständig zu existieren, der Mensch so vieles lernen müsse, was ihn anfällig und gefährdet mache. Die Welt also nicht als bergendes Sein, die Aufeinanderangewiesenheit nicht als Quelle der Einheit, Vorgänge deren Sinn also nachzugehen weil zu erfüllen ist, sondern als feindliche, irrationale Aufgabe zur willkürlichen Beherrschung. Der Mensch ist es, der allem Sinn GIBT, sonst hat es keinen. Trat bei Hegel dem Menschen seine gottmenschliche Natur noch im Erkennen theoretisch gegenüber, weil er in allem nur sich selbst sieht, so ist sie bei Marx gegenständlich, und nur gegenständlich.

Man übersehe dabei auch nicht die herrschende Lehre des Sensualismus (auch dieser wurde an dieser Stelle bereits mehrfach angesprochen), also die Art, wie menschliches Bewußtsein von der "Naturwissenschaft" (Psychologie) gesehen wird, wie sie seit Locke und Hume bis heute die Psychologie beherrscht: Als bloße, zur Sinneserregung parallele Spiegelung sinnlicher Eindrücke, in denen das Gehirn in mechanistischen Prozessen seinen aus dem Überlebenstrieb gesteuerten Kommentar abliefert. Daraus folgt zwangsläufig die Lehre der realen Einheit von Gegenstand und menschlichem Bewußtsein, die sich bei Hegel wie Marx so direkt wiederfindet. Menschlicher Geist wird bis zum heutigen Tag weithin als "Epiphänomen" gesehen, als Selbsttäuschung über die Natur mechanistischer Prozesse. Der Marxismus ist also ganz tief ein eine noch umfassendere Weltanschauung eingebettet, die eine metaphysische Vorentscheidung ist.





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