Teil 2) Beziehungen müssen gesetzt werden,
sie entstehen nicht zufällig
Die Beziehung wird zur
kurzsichtigen Kalkulation. Denn der Nicht-Höfliche beweist, daß ihm
nicht der Geist Anhaltepunkt ist, sondern sein faktischer So-Zustand.
Aber alles, was wird, wird nur aus Geist. Verläßlichkeit kann sich damit gar nicht mehr einstellen.
Während das Halten
in Unbestimmtheit, das dies in Wahrheit ist, und das ist ja auch die
Grundhaltung, sichtbarstes Zeichen der Mutlosigkeit zur freien menschlichen Tat, die dahinter steht, als Haltung der Zeit, die
Gestaltungsmöglichkeit von Beziehungen und Kommunikation überhaupt
auflöst. Jeder Akt könnte dann alles sein, und nichts. Und man selbst
bleibt immer posthoc uminterpretierbar. Vermeintlich, nachdem man
gesehen hat, was herauskommt. In Wahrheit sieht man gar nichts, weil nur
das Setzen eines geistigen Aktes, eine Art Versprechen das man einander
ist, durch diese formalen und formalisierten Beziehungen, solchen
überhaupt erst möglich macht und entstehen läßt.*
Gleichzeitig
wird Höflichkeit immer öfter mißdeutet, aus derselben Logik. Aus Mangel
an dieser Sachlichkeit, die Dinge als formales Spiel betrachtet, die
einfach das Zueinander befriedet weil in Zaum hält, sodaß in gewissem
und jeweils sachlich definiertem oder definierbarem Rahmen von jedem
gewisse Verläßlichkeiten anzunehmen zulässig ist, wird sie von anderen
zu persönlich gedeutet. Die Frau, der man die Türe offenhält, der man
freundlich zulächelt, nimmt dies zunehmend als Akt einer persönlichen
Nähe, die nie gewollt oder gegeben war. Sodaß es im entstehenden
Mißverständnis oft gar schwer wird, diese Sachlichkeit wieder
herzustellen - und höflich zu bleiben.
Deshalb
versiegen im Mangel an Höflichkeit auch alle Beziehungen. Denn sie
bleiben auf der Ebene der momenthaften Befindlichkeit, und damit nicht
in die Sachlichkeit transzendiert. Damit verlieren sie ihre
Dauerhaftigkeit. Nicht mehr die Beziehungen sind es dann, die prägen und
gestalten, sondern die momenthaften Launen und Stimmungen, die damit
mehr und mehr ausdünnen und sich verlieren. Sie bleiben in der Luft,
stellen keine Substanz dar, auf der ein Leben und Verhalten aufzubauen
wäre, und damit den Grund für eine Persönlichkeit überhaupt geben. Man
nimmt damit jeder Beziehung ihre Regenerationsfähigkeit, wenn der Moment
der Euphorie, der gefühlsmäßigen Aufgebauschtheit, vorüber ist, im
Zustimmenden wie im Ablehnenden.
Regeln
einfach einzuhalten, weil sie Regeln sind, weil sie das Zueinander in
einer gewissen schwebenden, neutralen Ordnung halten, damit den anderen
als gleichberechtigten Partner des öffentlichen Verkehrs, weil als Teil
des Kosmos zu sehen - Briefe zu beantworten als Pflicht zu sehen,
gewisse Fest- und Feiertage auch des anderen als "Anlaß" zu sehen, auf
den wenigstens in einem formalen Mindestakt einzugehen ist, etc. - kommt
längst aus dem Gebrauch. Die Beziehungen zu anderen Menschen geraten
damit nach und nach allesamt und beständig in eine "Abbruchsmentalität",
schweben jeden Augenblick über dem Abgrund des Nichts.
*Das
ist der große Trugschluß, der auch etwa der "Ehe auf Probe", als bloßes
Zusammenleben praktiziert, das erweisen soll, ob eine Ehe auch
funktionieren würde, zugrundeliegt. Denn die Ehe, als Prototyp einer
formalen, der Geistnatur des Menschen entsprechenden Ordnung der Erde,
kann überhaupt erst "erprobt" werden, wenn sie realisiert ist, in allen
ihren Außenbeziehungen und damit Ansprüchen.