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Mittwoch, 22. März 2017

Beethoven hätte auch geweint

Michael Klonovsky meint, daß man bei dieser Furtwängler-Interpretation von Beethovens Neunter vom 20./22. März 1942 nur andächtig betend durchweinen dürfe. Nun - wir haben es ausprobiert. Es stimmt. So etwas Bewegendes aus einem oft sogar schon totgeliebt-abgeschmalzten Meisterwerk zu machen, ist einzigartig. Ja, erst so interpretiert kann man diese Symphonie doch überhaupt erst verstehen. Auf eine ganz neue Weise nämlich, die nur aus einer bestimmten Entscheidung der Frage ihre Erkenntnisweite erhalten kann, wie Beethoven überhaupt zu interpretieren sei. Derartig wuchtig bewegend - März 1942! - haben Sie, geneigter Leser, die Neunte gewiß noch nie gehört. Auf den Tag genau 75 Jahre nach dem auf Tonband aufgenommenen Ereignis - Furtwängler dirigiert die Berliner Philharmoniker.

Und wenn Sie beim dritten Satz immer noch nicht niederbrechen und weinen, geneigter Leser, fast bangensvoll ist das gesagt, dann ... dann ... sind Sie doch kein Mensch? Das hat mit subjektivem Geschmack nichts zu tun, das ist die Begegnung eines immer gleichen Menschen mit einem ewigen Topos, der jede Zeit aufhebt, den Furtwängler da sichtbar machte. Der von sich sagte, er habe "zeitlebens nur als Komponist dirigiert". Der Künstler muß immer neuschaffen!

Furtwängler holt diese gewaltige Vergegenwärtigung, dieses historische Gewand aus denselben Noten, nach denen sich tausende Andere gerichtet haben, nur aus dem Spiel mit den Rhythmen und Tempi. Das was ausgesagt wird - und immer ein "in die Zeit hinein" ausgesagt ist - steht nicht in den Notenblättern, obwohl keine einzige Note dort geändert wurde. Plötzlich entschwindet alles Idealistische, das man so oft um Beethoven brämt, und zurück bleibt ein einziger Schrei nach Gott, und ein ebenso großer Schrei von Gott her, der im Vierten Satz - nur der Übergang vom Dritten schon! - mit Gigantenfaust einbricht und im durchringenden Licht endlich Trost bringt, Trost inmitten der Tragödie, die das Menschsein ist. Plötzlich dann Stille, unendlich lang, und da - beide eins, beide in einem Miteinander, Mensch und Gott. Freude, edler Götterfunke, bricht Rudolf Watzke ein (den der VdZ nur als großartigen Interpreten in Wagner-Tonaufnahmen kannte) - Erlösung! Und die Erde formiert sich.

Man hat Furtwängler vorgeworfen, daß er unter Hitler das Volk von der Dramatik der Zeit "abgelenkt", ja getröstet habe. Ja, was soll denn das Ewige, die Erlösung, die Kunst bitte schön sonst sein!? Was immer sich Menschen ausdenken - es gibt eine reale, nein, eine REALERE andere Welt. Das Schöne, das Wahre, das Gute, es steht über aller Geschichte.









*301216*