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Mittwoch, 27. Dezember 2017

Ein beschenkender Theater-Nachmittag

Diesmal die Verfilmung eines Stücks von William Shakespeare - "Der Kaufmann von Venedig". Man hat dem Stück manchmal auch Antisemitismus vorgeworfen. Aber darum geht es nicht, in Shylock einen Juden zum Geldverleiher darzustellen, entsprach nur den faktischen Gegebenheiten. So wie das Stück einen tiefen Einblick in die Gesellschaft bietet, der auch heute um nichts weniger aktuell ist. Shakespeare zeigt auch die Tragik des Juden, der aus der normalen Gesellschaft ausgestoßen und verachtet ist.

Also werfen sich viele Fragen auf. Shylock sieht in der Position als Kreditgeber zu Macht gekommen, denn das schlecht ausgehende Geschäftsglück seines Kreditnehmers spielt ihm in die Hände, endlich ist die Gelegenheit gekommen, sich für so viel erhaltene Verachtung und Demütigung zu rächen. Das ist das eigentliche menschliche Thema, um das es geht: Das Verhalten eines immer Gedemütigten, der in eine Lage kommt, in der er den Demütigern plötzlich überlegen ist. Shakespeare hebt also das Allgemeine ans Licht, dem die Figuren nur Staffage bieten, weil es alle betrifft, alle sein könnten.

Dieser Allgemeinheit, in der sich Shakespeare zu einem der größten Dichter des Abendlandes weist, ist auch dieses Stück voll. Und deshalb immer ein praller Genuß. Der Brite, von dem die heutige Forschung mit Gewißheit annimmt, daß er ein Katholik (unter lauter Protestanten) war, hebt in seinem Schreiben alle Menschen in das objektive Sachliche, ins Ontologische. Aus seinen Figuren spricht deshalb immer Ewiges. Und erweist Shakespeare zu einem unglaublichen Menschenkenner, aber auch Kenner des Lebens, der Zeitumstände, der Gesellschaft. Shakespeare zeigt nicht den Schein, er zeigt durch seine absolute Aussage, was in Wahrheit alle und alles bewegt.

Wie weit dahinter (oder: davor) muß das heutige Drama oft ansetzen. Es muß sich erst damit befassen, den Schein in Klarheit aufzulösen, um zum eigentlichen Bewegenden vordringen zu können. Im heutigen Theaterstück geht es meist vor allem darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen - um es auf die wahre Spitze zu treiben - um Shakespeare überhaupt verstehen zu können.

Im Stück geht es nämlich auch darum, die Gesetzmäßigkeit des Kapitalismus aufzuzeigen, der auf Schuld und Kredit - Zinsen - beruht. Das Unfruchtbare - Geld - also fruchtbar macht, das Fruchtbare - die Menschlichkeit - aber unfruchtbar. Hier nützt der Leiher die Notlage eines Menschen aus, lebt nur daraus - denn unter Freunden borgt man sich aus Liebe, und verlangt keine Zinsen. Unter Christen leiht man sich unter Beteiligung am Risiko, und daraus folgender Gewinnbeteiligung, wenn es um ein Geschäft geht. Aber nicht unter vom Schicksal unabhängigen Zinsen, bei denen das gesamte Risiko beim Kreditnehmer liegt. Niemals aber nützt man die Notlage des anderen aus. Geld unter Christen zu verleihen somit fällt unter das Gebot der Nächstenliebe. Wucher war immer eine Todsünde.
Dort baut der Geldverleih, wie er in der Neuzeit aufkam, noch dazu auf Gesetzen auf, die das unabdingbare, keine Menschenwürde berücksichtigende Eigentumsrecht garantiert, unter allen Umständen. Denn mit der Renaissance und der europäischen kapitalistischen Wende wurde der Privatvertrag in jedem Fall als gesetztes Recht angesehen. Diese Eigentumsrechte waren die Folge der Reformation, die als einzigartiger Raubzug am Kirchengut angesehen werden muß. Und wie in England sogar erst viel später eine notdürftige theologische Begründung nachliefert, die in Deutschland aber eiskalt ausgenützt wurde. Venedig war (wie Florenz) ein bereits dem Kapitalismus gemäß verfaßter Staat.

Und darin hat ein Staatsgesetz keinen Raum mehr für das eigentlich Menschliche. Nur daran aber kann sich ein Recht ausrichten! Die Juden haben den Kapitalismus in Europa nicht erfunden. Sie haben ihn nur ausgenützt. Die Gier der Christen hat sie dazu ermächtigt, ja dazu eingeladen, um ihrerseits die Juden auszunützen.

Als es die Christen zu unmenschlich treiben, ihn in einem menschlichen Schmerz noch einmal schwerstens demütigen, treiben sie den Juden Shylock, großartig in seinem menschlichen Schmerz dargestellt, als ihn seine Tochter, von Christen hämisch unterstützt, verläßt und betrügt, aufs Äußerste - er rächt sich durch Gesetzestreue. Darf man sich gegen Juden unmenschlich verhandeln? Hat er nicht auch Sinne, Augen, ein Herz, wird vom selben bewegt wie der Christ? Ist er nicht Geschöpf wie alle Menschen, die nur deshalb Menschen sein müssen, weil sie geschaffen sind? Also macht es der Jude genauso, wie die Christen an ihm handeln. Rächen sich die Christen, rächt sich auch der Jude. Shakespeare zeigt also die Ungerechtigkeit und Unchristlichkeit des Antisemitismus. Die Zinsen, der Wucher des Juden ist also (auch) eine Art Genugtuung.

Aber Shakespeare zeigt auch mehr. Er zeigt, daß alles außer dem Christentum einer natürlichen Gesetzmäßigkeit gleicht. Nur das Christentum bricht das auf, durchbricht die Logik von Ebbe und Flut, und überhöht sie in die Gesetzmäßigkeit Gottes. Erst dann wird er zum Menschen. Von einem Juden - wie von jedem Heiden - kann jedoch nichts anderes erwartet werden. Die pure Gesetzeslogik also, auf die sich Shylock beruft, ist in sich unmenschlich. Die Christen erwarten, daß Shylock von der bloßen Gesetzeslogik, Gesetzesformalität abläßt und Menschlichkeit walten läßt - obwohl man ihm gegenüber nicht menschlich war.

Shylock, tief verletzt, verzichtet sogar auf die doppelte Rückzahlsumme, die man ihm anbietet. Er "will sein Recht". Nein, er will mehr. Als man ihm Unmenschlichkeit vorwirft verlangt er, daß die Christen doch selbst auf ihre verzichten sollen. Und er verlangt, daß sie ihre gesellschaftlichen Hierarchien, ihre Ordnung "im Namen dieser Menschlichkeit", die die Ordnung übersehen sollen läßt, auf ihre Sklaven und Diener anwenden sollten. Er verlangt also "Gleichheit". Eine Forderung also, die wie Shakespeare zeigt, auf tiefer menschlicher Ungerechtigkeit ausruht, die in der Rache wurzelt. Shylock aber fällt, indem der Richter dasselbe macht: Er nimmt wie der Jude das Gesetzt wörtlich.

"Schneide Fleisch heraus, aber nur ein Tropfen Blut ist Mord. Damit stirbst Du, und Dein Gut ist konfisziert. Fleisch - ja. Nach dem Gesetz. Aber kein Blut." Shylock erhält nicht einmal mehr sein Kapital (das er zuvor ausgeschlagen hatte), sondern nur das Fleisch, die Buße, aber nicht das Blut. Shylock kommt nicht mehr aus der Bredouille, denn sein Rechtsbegehren wird nach dem Gesetz dahingehend gedeutet, daß er nach dem Leben eines Menschen trachtete. Nun konfisziert der Staat ob seiner Forderung nach dem Leben eines Menschen seine Güter. Dieses abzuwenden ist der Jude nun sogar noch gefordert, sein Leben zu erbitten. Sein Leben. Aber sein Gut wird eingezogen.

Doch der Jude will nicht, denn sein Haus beruht auf ... Geld. Gnade für sein Leben gibt es zudem laut Dogenurteil nur, wenn er sich zum Christentum bekehrt. Das Fordern nach dem absoluten Recht endet also in absoluter Demütigung.

Nach dem bloßen Gesetz des Rechts würde kein Mensch Heil erlangen. Anderseits würde ein Verstoß gegen das Recht einen Staat - Venedig - zerfallen lassen.

Interessanter Nebenaspekt: Wie in vielen seiner Stücke kommt die entscheidende Wende zum Guten - von einer Frau (in Männerkleidern). Auch in der Rolle der Frau war Shakespeare katholisch, weil Realist. Der Katholik ist eben treu dem Sein, denkt scharf und unnachgiebig. Aber er ist milde den Menschen gegenüber. Der Protestant hingegen, schreibt Chesterton, ist unklar im Denken, aber scharf und moralistisch im Urteil dem Handeln der Menschen gegenüber.

Großartig - unter so vielen großartigen Stellen -  der Moment, wo der marokkanische Fürst zwischen den Kästchen aus Blei, Silber und Gold wählt. Hier rollt sich vor dem Weisspruch, mit dem der Vater der Tochter, um die es geht, denn wer das richtige Kästchen wählt, wählt auch die schöne Tochter zur Frau, das Verhältnis des Menschen zu Welt und Wert auf die Probe stellt und offenbart. Auf ungemein kluge Weise wird hier der eigentliche Charakter des (wählenden) Menschen bloßgelegt. Denn der Mensch denkt - und versteht - wie das Herz ist. Im Angesicht der eigentlichen Thematik des Stücks ist das somit die Schlüsselstelle. In der so nebenbei Shakespeare auch die Wirtschaftsstruktur seiner Zeit mit ihren Kurzsichtigkeiten aufdeckt. Damit irren die Menschen im Urteil darüber, was ihnen Glück bringt.

Ganz subtil nur - und mit mancher Hintergrundkenntnis, deshalb sei dieser kleine Nebenzug des Stücks hier erwähnt - die Verspottung der Engländer als Zeitkritik, die Shakespeare hier untergebracht hat. In der Charakterisierung des Engländers als um die Tochter Werbenden. Denn er zeigt den im Grunde rückgratlosen Mann, der überall in der Welt herumreist, seinen Geschmack stiehlt und somit geschmacklos bleibt, überall um Anerkennung buhlt indem er mit der englischen Macht (militärisch wie finanziell) um sich wirft, und im Grunde lächerlich ist.

Herrlich auch, wie er den französischen Edelmann in seinem Charakter (Frankreich war damals am Weg zur glänzendsten europäischen Großmacht. der aber doch die Fäulnis in der Tasche steckte) in seiner Eitelkeit verspottet. Wo dem Licht die Motte nachgeht. 100 Jahre nach der Stückentstehung kam es zur französischen Revolution.

Nur der wirklich Liebende versteht. Nur der wirklich Liebende erkennt. Und wählt das richtige Kästchen. Nicht Gold, nicht Silber, sondern das, woraus sich alles machen läßt, aber menschliche Reife verlangt: Blei. (Das damals noch als Urmaterial gewissermaßen, als Grundlage unter anderem für Gold gesehen wurde. Und folgt man so mancher Naturphilosophie, so ist es das auch. Der alte Glaube, daß aus Blei Gold zu machen sei, hat eine tiefe naturphilosophische Spekulation zum Grunde. Aber es verlangt Arbeit und sittliche Klugheit.) Gold und Schmuck und Silber täuscht hingegen alle Welt. Vor diesen fällt jede Tugend in den Dreck. Warum Blei, das doch mehr droht als verspricht? "Umso leichter, wer am schwersten trägt." Der Weise, der Tugendhafte erhält sein Glück. Nur der kann die Tochter glücklich machen.

Welche Rolle des Symbols bei Shakespeare. Er ist einer derjenigen, ja, das meint der VdZ wirklich, an denen das Abendland wieder genesen könnte. Und umgekehrt. Nur ein Abendländer kann Shakespeare verstehen. Dazu noch ein Aspekt - die Bedeutung des Ringes. Als bewegte das Symbol das Sein selbst ... oder: bewegt es das Sein nicht doch?

Lasse der Leser sich so vieles an Shakespeares Poesie in dieser Weihnachtsoktav buchstäblich als Leckerbissen, bei ein paar Keksen, bei einem guten Weine, auf der Zunge zergehen!

Hier nun die fernsehgerecht inszenierte Aufführung unter der Regie von Otto Schenk. Mit Fritz Kortner als Shylock. In weiteren Rollen Boy Gobert, Peter Vogel, Heinz Petters, Sabine Sinjens und Gertraud Jesserer. Achtung! Ab 2:30 Stunden beginnt ein anderer (Trick-)film!







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