Teil 2) Versuch einer zusammenfassenden Erläuterung
Gerade WEIL jeder Mensch (und sein Sein) in der Wahrheit gründet, hat er einerseits die Pflicht zum subjektiven Gewissen, anderseits die noch strengere Pflicht, dieses Gewissen an der ewigen Wahrheit zu formen, nach dieser auszurichten, es "zu bilden". Subjektives Gewissen kann also niemals (prinzipiell; von möglichen Sonderfällen unverschuldeter Gewissensblindheit abgesehen, die aber nur das Maß der Schuld betreffen, nicht die objektiv falsch, sündige Tat "taufen", deren reale Folgen in jedem Fall dieselben bleiben) zum Ergebnis kommen, daß eine in sich schlechte (weil der Wahrheit widersprechende) Tat geboten sei.
Auch
kann eine objektiv schlechte (falsche) Tat nicht im Zuge einer Abwägung
gegen eine noch schwerere Tat gewählt und für gut geheißen werden. Zwar
ist es, wie Seifert ebenfalls in diesem Interview sagt, ein Gut, wenn
ein Drogensüchtiger, der im Ehebruch lebt, sich von der Drogensucht
befreit, und das kann auch anerkannt werden. Aber immer noch steckt er
objektiv in einer schweren Sünde und steht deshalb außerhalb der
Gemeinschaft mit Gott (und damit prinzipiell fern der Gnade). Erst wenn
er auch noch diese objektive Verfehlung bereinigt, hat er die
Gemeinschaft (als Eingliederung in die objektive Ordnung Gottes)
wiederhergestellt. (Indem er sich also trennt, oder zumindest keusch
lebt, und dazu dann auch noch beichtet, denn aus der Todsünde oder
schweren Sünde kann sich der Mensch nicht mehr selbst in die
Gnadengemeinschaft in Gott hineinheben wie in der läßlichen Sünde, hier
braucht es also die objektive Tat Gottes durch den Priester in der
Beichte.)
Schon
gar nicht darf man Gewissen einfach mit subjektiver Befindlichkeit
gleichsetzen. Gewissen hat nur Sinn, wo es auf objektiven Wertmaßstäben
beruht, und die sind prinzipiell von außen vorgegeben. Einmal durch
Menschen. Und hier kann es tatsächlich vorkommen, daß die Allgemeinheit,
die Autorität etc. dem Einzelnen eine Gewissenslage, also ein Gewußtes
übergibt, das objektiv irrig und falsch ist).
Das
kann aber nicht vorkommen, wenn es um den zweiten Teil des Gewissens
geht, der auf der Natur der Dinge bzw. der Welt selbst Bezug nehmen muß,
die ja selbst auf der objektiven Ordnung der Wahrheit beruhen (und nur
insoweit überhaupt sind) und damit in der Sachlichkeit (die deshalb ein
sittlicher Akt ist) gewissensbildend sind. Gewissen kann also niemals
außerhalb der Wahrheit und dem subjektiven Bemühen, sich danach
auszustrecken (was deshalb ein sittlicher Akt ist) gesehen werden. Diese
Natur ist in jedem Menschen objektiv vorhanden und insofern ist das
objektive Gewissen in jeden Menschen eingesenkt. Darauf bezieht sich
obiger Hinweis von Professor Seifert, wo er deshalb sogar den Heiden Cicero
zitiert, der darum weiß. Gottes Gesetz ist also allen Dingen als ihre
Natur, als ihre Verfaßtheit eingeschrieben!
Wo
ein subjektiver Gewissensentscheid außerhalb der Wahrheit oder zu ihr
in Widerspruch steht, muß er im Irrtum sein. Zumalen es auch keine
Vernunft oder Vernünftigkeit außerhalb der Wahrheit gibt. Von dort her
muß sich also der Mensch auch - gesetzt den Fall daß sie in Widerspruch
stehen - gegen die im ersten Teil des Gewissens genannten Bedingungen
wehren. Das subjektive Gewissen ist also immer in der objektiven Ordnung
gegründet, selbst wenn es scheinbar widerspricht, und es ist dieser
objektiven Ordnung NACHgereiht, also unter sie gestellt und nach dieser
Ordnung zu bilden.
Wäre
das alles nicht so, wäre jedes Martyrium umsonst und sinnlos (gewesen),
eine nette Fleißaufgabe, aber nicht mehr. Denn dann hätten sich alle
Märtyrer eigentlich "geirrt". Weil es aber so ist, ist letztlich sogar
jeder Mensch gegebenenfalls zum Martyrium aufgerufen.
Dies
spricht auch klar gegen die sogenannte "graduelle Gutheit" (siehe als
Aussage u. a. von Kardinal Schönborn) als Begründung für einen objektiven
Gnadenstand. (Siehe das obige Beispiel des drogensüchtigen Ehebrechers.)
Weil die falsche, schlechte Tat als Verstoß gegen die objektive Ordnung
immer außerhalb der Ordnung und damit Vorsehung Gottes stellt, ist es
auch niemals gerechtfertigt, ein objektiv schlechtes Mittel zu wählen,
um ein objektives Gut zu erreichen. Dieses wird immer dann unerreichbar
bleiben.
Noch
ein Punkt sei kurz erwähnt, auf den Seifert in den anderen Teilen des
Interviews eingeht: Und er betrifft die Aussage die in Amoris Laetitia
durchschimmert, daß Gottes Gebot für einen Menschen objektiv nicht
lebbar wäre. Das kann es nicht geben! Gott fordert nie etwas, das
objektiv nicht erfüllbar ist. Das würde zu seinem Wissen bzw. der
Vorsehung in unvereinbarem Widerspruch stehen. Etwas kann schwer sein,
gewiß, sehr schwer, gewiß, aber umso mehr muß der Mensch auf die Gnade
bauen, wenn seine leibliche Verfaßtheit etwa in einem falschen Habitus,
einer falschen Gewohnheit oder zivilisatorischem Druck sich "wehrt".
*161117*