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Sonntag, 19. Juni 2011

Fluch der Illusion

A. Dürer, Vier Apostel
Es wird gerne so getan, schreibt Florenski, als sei die (Zentral-)Perspektive die Wiederholung der natürlichen Art zu sehen. Als wäre jede Abweichung davon ein Verstoß gegen das eigentlich menschliche Erfassen, und eine Entstellung der Realität.

Aber das stimmt nicht, und zwar bei weitem nicht, und er widerlegt es schlüssig und mit vielen Beispielen: die Perspektive hat 500 Jahre gebraucht, um uns zu dieser Art der illusionistischen Aufnahme von Abbildungen zu erziehen - und sie hat es immer noch nicht geschafft. Sie ist auch nicht die natürlichste Art des Sehens, bei weitem nicht, jedes Kind und jede Kinderzeichnung beweisen es. Sie hat uns aber gelehrt, eine Illusion von der Welt als Bild zu akzeptieren.

Giotto; Bestätigung der Regel des Hl. Franz
Nach wie vor aber muß jeder Künstler mühsamst lernen, mit ihr umzugehen - dabei kann man sie rein mechanisch herstellen, Dürer hat in seiner Werkstatt regelrechte Apparate konstruiert, die jedem seiner Lehrlinge erlaubt haben, einen Gegenstand "natürlich" (Anführungsstriche!) abzubilden. Dabei war die Perspektive eine Technik der Illusion, bewußt, nicht mehr und nicht weniger, und kam aus dem Bühnenbau. Giotto, der sie erstmals in die Kunst einführte - zuvor wäre niemandem eingefallen, sie als Abbild zu sehen, oder sie in der Kunst zu verwenden - war eben auch Bühnendekorateur.

Im entscheidenden Moment aber setzt sich bei jedem wirklichen Künstler eine von aller Perspektive losgelöste Art des Malens durch. Und selbst Dürer hat sich immer wieder davon befreit. Das Bild in der Perspektive legt dem Betrachter nahe, sich einer gewissen Illusion zu bedienen, um die Welt wahrzunehmen - das macht die Einführung der Perspektive (die es ja immer gab, aber die nie zur Abbildung der Welt in der Kunst verendet wurde, die ja eine Präsenz des Dargestellten ist) zu einer regelrechten Katastrophe der Weltwahrnehmung.

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