Dieses Blog durchsuchen

Dienstag, 7. Juni 2011

Wie erlöst

"Das Gesetz macht ihn nicht gerecht, die Weisheit (die der Welt alleine zu entringen ist; Anm.) nicht weise. Gescheitert am Gesetz, gescheitert an der Weisheit, müßte Paulus an seinem heil endgültig verzweifeln, wenn es außerhalb der jüdischen und außerhalb der hellenistischen heilsmöglichkeit nicht eine dritte gäbe.

Diese dritte Heilsmöglichkeit abseit von der Sünde und abseit von der Torheit vor Gott liefert nun der Glaube an Tod und Auferstehung des Mittlers. Denn er bewirkt im Innern des Gläubigen vor allem zweierlei. Erstlich hebt er das Gemüt über die hoffnunglose Wechselbezüglichkeit Gesetz und Sünde hinaus, indem er das Fleisch, will heißen die Gesamtheit aller erdhaft dunklen Triebe, durch die wir zu fortgesetzter Übertretung des Gesollten angereizt werden, abtötet und damit Jahves Zorn besänftigt, ja gegenstandlos macht.

Zweitens aber teilt er dem Gemüt so viel von dem wahrhaften Geiste Gottes mit, daß es kraft dieser Teilhabe den Gott des Himmels und der Erden an und für sich zu erkennen und damit der leeren Menschenweisheit Überwinder zu werden befähigt wird. 

Wer mithin an den erwachten Heiland (der notwendig Leiden und Tod durchschritt) glaubt, wer sich im innersten Dasein mit dem Sachverhalt evangelischer Auferstehung durchdringt, der vermählt sich sozusagen dem Mittler selbst und erlangt dadurch eine bedingte Form der Vergöttlichung: jene Vergöttlichung nämlich, die wir an dieser Stelle zum ersten mal als das ausgesprochene oder unausgesprochene Ziel der menschlichen Religiosität überhaupt bezeichnen müssen.

[...] Der Gottmensch ist des Todes genesen, um hinfort in jeden, der ihn glaubt, einzuziehen als der heilige Geist, der da tötet das Fleisch, befreit vom Gesetz, erleuchtet mit der Weisheit Gottes."

Damit aber unterscheidet sich das Christentum entscheidend von allen vorhergehenden Lehren und Heilsweisen: Ob epikureisches Glück oder platonisch-aristotelischer Eudaimon oder Wohlbeschiedenheit, ob Stoa - sie alle sind eine durchaus selbst geschaffene und bewirkte Erlösung. Mit einem male aber kann man sich diese Erlösung nicht ertrotzen. Mit einem male ist sie freies Geschenk Gottes selbst. Der Glaube macht selig, wie zuvor die Weisheit selig machte. Aber jetzt ist diese Seligkeit Charisma und Gnadengabe.

"Erst diese Wechselbedingtheit von Glaube und Gnade [...] gestattet den Gedanken des Mittlertums bis in seine äußersten Grenzen fertig zu denken, weil gerade in ihr die unauflösliche Verflochtenheit zwischen Gott und Mensch völlig bemerkbar wird. [...] Niemals aus eigener Tatvollkommenheit erzielt das Fleisch die Vergemeinschaftung mit dem Geiste, und bis zu einem gewisse Grad verjenseitigt sich hier der Mittler selbst, indem er von seiner Seite aus nur dort wirklich heimisch wird, o er seine Einwohnung aus unbekannten Gründen für gut befindet, - nur der wird jeweils des Gottes, wessen des der Gott ist!"

Denn der Glaube an einen Gott, der sich menschlichem Willen beugte, sich von ihm zwingen ließe, würde den Menschen zwar entschränken, zugleich aber Gott so beschränken, daß an ihn zu glauben wertlos wäre.

Leopold Ziegler, in "Gestaltwandel der Götter"

***