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Samstag, 11. Juni 2011

Was wollen sie eigentlich?

Da passiert etwas Seltsames, in Europa: schon in Island hat sich die Bevölkerung geweigert, zu tun, was die Regierung beschlossen hat - sie will die Schulden nicht bezahlen, die der Staat, das Parlament zu bezahlen sich anderen Ländern gegenüber verpflichtet hat.

Das gleiche Procedere zeigt sich in Griechenlands Demonstrationen: Die FAZ berichtet von einer weitverbreitete Stimmung unter den Demonstarnten in Athen, wonach sich die Menschen - in völliger Unabhängigkeit von offiziellen politischen Strukturen wie Parteien, Gewerkschaften etc., die kommen alle nicht mehr vor - unschuldig an dem Desaster fühlen, und sich weigern, für die Schulden, die "die Regierung" ihnen eingebrockt hat, auch (durch Steuern und Abgaben) zu bezahlen. Vorher war ihnen alles recht - die Abstützung des Rentensystems auf Finanztransaktionen (Staatsanleihen) zum Beispiel. Heute emporen sie sich, weil diese Gelder in Gefahr sind und verloren sein könnten. Plötzlich zeigt sich, auf wieviel Aberglaube das Leben der Bürger aufgebaut war.

Für eine Demokratie ein bemerkenswerter Vorgang. Denn immerhin bezieht sich in einer Demokratie auf das Volk als Souverän, und seine Legitimität ist nur damit begründbar, daß sie vom Volk gewählt wurden, und den Auftrag erhielten, zu tun, was sie taten. Nun sagt ihnen aber dieses selbe Volk, das sie gewählt hat: Nein, ihr habt nicht in unserem Auftrag gehandelt! Oder: Nein, ihr habt nicht zu unserem Wohl gehandelt!

Dieselbe Stimmung macht sich ja u. a. in Österreich breit, liest man Zeitungen.  Die Kommentare der Leser in den Online-Ausgaben sind beredtes Zeugnis davon, wie sich die Menschen von der Regierung distanzieren.

Nur: was wollen die Menschen denn dann? Seit Jahren melden sich ja an allen Orten und Schausplätzen Proteste und wird demonstriert - aber überall, von Wien (Studenten) über Deutschland (wobei dort die Anliegen noch am konkretesten waren), über Afrika und Arabien und Spanien und Griechenland ... aber überall das gleiche Bild: WAS WOLLEN DIE MENSCHEN?! Warum stürzen sie Regierungen und Systeme?! Niemand weiß es. Es gibt nirgendwo Alternativkonzepte. Die Menschen scheinen sich überall nur der Konsequenzen ihres bisherigen Lebens entledigen zu wollen. Und das stellt alle diese Bewegungen nicht in eine Reihe mit Revolutionen und Hungerrevolten, sondern entlarvt sie als banalen Trotz durch jahrzehntelange Suhl- und Sozialstaats-Politik verwöhnte Kinder. Diese Proteste sind also nur die andere Seite des Finanzcrashs der letzten Jahre. Der ein Crash der weltweiten Sozialstaats-Politik war. Die Proteste auch in Athen wirken wie Proteste gegen die Realität, die Traumblasen zerplatzen läßt.

"Erfrischend“ nannte ein Athener Zeitungskommentator die neuen Proteste, die endlich einmal nicht von Partikularinteressen getrieben seien – schränkte dann aber ein: „Was heute eine starke politische Aussage sein mag, wird morgen in die Bedeutungslosigkeit entschwinden, wenn es nicht von Substanz getragen wird.“ Auf Kochtöpfe zu klopfen und höhnische Gesten in Richtung des Parlamentsgebäudes zu machen, werde sich schnell überleben, wenn die Demonstranten keine Möglichkeit finden, ihre Unzufriedenheit „in politisches Kapital“ zu verwandeln.

Befragt, auch wenn man die Foren in den Medien betrachtet, kommen Forderungen wie "mehr Demokratie", oder "mehr Menschenrechte". Aber: sie leben doch in einer Demokratie? Sie fordern Demokratie, lösen aber im selben Atemzug, und genau mit dieser Forderung, das auf, was Demokratie überhaupt ausmacht, die ja erfordert, zu ertragen, was eine Regierung beschließt, die von einer Mehrheit gewählt wurde - auch wenn es einem nicht in den Kram paßt! Aber nein, hört man dann. Das ist ja keine richtige Demokratie, sagen sie dann.

Aha. Und WAS für eine Demokratie hätten sie dann gewollt? Es gibt sie nicht, die Regierungsform, die grad mal macht, was jeder einzelne will. Obwohl das Wort "Demokratie" zum Synonym für solche Träume geworden ist und weiter ausgebaut wird.

Der werte Leser möge die Polemik ertragen, mit der ich sage: Sie wollten nie Demokratie, und sie wollten auch nie egal was. Sie wollen nur im Bett bleiben, während ihnen Mama das Frühstück serviert. Aber bitte: ohne Brösel am Laken! Spanien ist berüchtigt für seine Muttersöhnchen. Ein Drittel der jungen Menschen verlassen gar nicht mehr das Elternhaus, und zwei Drittel verlassen sich traditionell auf den berühmten "Papa, der's schon richten wird!"

25, gar 40 Prozent Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen, darunter ein außerordentlich hoher Prozentsatz arbeitsloser Studienabsolventen, sodaß schon die treuherzige Anfrage aus Deutschland kam, ob da nicht der eine oder andere junge Spanier nach Germanien ausreisen wolle - dort würde man Fachkräfte händeringend suchen!? Ohne das zu kommentieren - was aber erzählt uns das über die (sozialistische) Politik der letzten Jahrzehnte in Spanien?

Es ist deshalb besonders amüsant, zu sehen, wie zuletzt auf der gesamten iberischen Halbinsel - jetzt auch in Portugal - die Sozialisten von der Macht verjagt wurden. Schon wird gedeutelt, daß es Proteste gegen die Sparpakete waren, schon ändern die österreichischen Politiker, in Panik diese Welle in Europa könnte auch sie wegreißen, ihre Strategie, und deklarieren mit erhobener Kommunistenfaust empört Sündenböcke - die Reichen, die Vermögenden, die Vielverdiener. Wir, rufen sie, wir stehen doch auf Eurer Seite, Ausgebeutete, Arme und Geknechtete!?

Nein, die Menschen protestieren nicht gegen die Sparpakete. -Sie haben immer gespürt, daß da etwas nicht stimmt, daß ihr Wohlstand auf Sand gebaut ist, auf Lüge - zu sehr war und ist das Verhalten der Menschen das von Dieben, die ja nun froh sind, endlich, endlich ihre Strafe zu erhalten. Denn damit kann der Welt wieder vertraut werden, das war ja in Wahrheit eine der schlimmsten Befürchtungen! Daß es gelingen könnte, wirklich das Sein zu betrügen! Die Krise jetzt befreit also, man unterschätze das doch nicht!

Diese Menschen protestieren nicht gegen die Gerechtigkeit, die sie nun ereilt. Sie protestieren gegen die Lüge, mit der ihnen dieselben, die sie verwöhnt haben, nun nicht helfen können, daß ihnen die Exekutoren der Realität die Decke vom Bett ziehen, und dabei hat es das Volk doch immer gewußt! Daher nährt sich die Empörung gegen die unfähigen Politiker - ein Wort, das man zuletzt so häufig hört. Daher kommt das Urteil.

Also fällt man in die Drohgebärde, mit der man die neuen und meist konservativen Regierungen an die Macht holt - macht was, richtet den Saustall, egal wie. Aber, wimmert man noch ein wenig nach, wisset: wir haben die Macht!

Oder? 


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