"Der Künstler ist das naive reine Auge der Menschheit, mit dem sie die Wirklichkeit betrachtet. ihre reinen Linien studierend, zeigt uns der Künstler die Wirklichkeit, und erst da beginnen wir sie zu sehen."
Es könnte verwegen erscheinen, den Künstler das Sehen lehren zu wollen, sagte er, diese "Verwegenheit wird jedoch in ihren Augen geringer sein, wenn wir unseren Vergleich des Künstlers mit dem Auge fortführen. Nie hat eine Kinderfrau oder ein Arzt ein Kind sehend gemacht. Aber die Kinderfrau muß auf die Augen ihres Zöglings achtgeben, daß kein Staub und kein Schmutz in sie eindringe, daß nichts Fremdes das Sehen verstelle und das Auge verderbe. Ihr obliegt es, die Augen zu waschen.
Was unseren Vergleich angeht, kann man sagen, weder ich noch irgendein anderer kann Sie sehend machen. Aber worum man sich kümmern kann und kümmern muß, ist, daß die künstlerische Wahrnehmung nicht durch Tendenz, falsche Ansichten und Theorien verschmutzt werde, die bewußt wie unbewußt mehr oder weniger spontan aus der Umgebung aufgenommen werden, denn Theorien liegen in der Luft, und wir atmen ihr Gift ein, häufig ohne es zu merken und zu wissen. Sie vor diesen Gefahren zu warnen, könnte meine Pflicht sein, und dies ist nicht der Wunsch, Sie etwas zu lehren, sondern Sie vor etwas zu bewahren; den Künstler philosophisch zu beschützen, ist dann vielleicht nicht mehr so verwegen."
Pawel Florenskij, bei seiner Antrittsvorlesung an der Moskauer
Akademie für Geschichte der materiellen Kultur (1921)
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