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Montag, 27. Juni 2011

Vage + vage = Unfreiheit

Allmählich fragt man sich, wo wir bereits leben ... Man dreht den Radio auf - Riesenbericht über den (mir bisher völlig unbekannten) französischen Modeschöpfer Galliano, der sich im Vollrausch vergessen, und unflätigst auf Juden und Kapitalisten geschimpft hatte. Ähnliches wäre ja ums Haar Lars von Trier in Cannes passiert, dieselbe Baustelle.

Min.f. Justiz B. Karl - Min. f. Inneres J. Mikl-Leitner
Am selben Tag wird von zwei aufgeräumt lächelnden Ministerinnen - Justiz und Inneres - als großer Erfolg ein Gesetzespaket vorgestellt, das in Anknüpfung an so manche frühere Entgleisung einen nächsten Schritt zur totalen Gesinnungskontrolle im Lande ermöglicht. Unter dem Titel "Terrorbekämpfung" (und wie stolz sie dreingucken!) werden die nächsten Gesetze installiert, deren rechtliche Anwendung von der momentanen Interpretation von "gut" oder "böse" abhängt. Das kann nicht reichen. Man darf keine Rechtslage schaffen, in der es nur vom "guten Willen" des jeweils Regierenden abhängt, ob er die Gesetze mißbraucht oder nicht, den Rechtsstaat auszuhebeln.

Hitler, als Hinweis, mußte kein einziges Gesetz ändern oder neu erfinden. Sein Totalitarismus, mit dem er die totale Macht im Lande an sich riß, erfolgte unter einem rechtlich verankerten Anspruch: Sicherung des Staates gegen Terrorismus.

So nebenbei - und man merkt förmlich, wie stolz sie auf ihre Arbeit sind; Frauen sind eben stets die eifrigsten Perfektionierer eines totalen Systems gewesen - wird die nun mögliche bzw. erleichterte Verknüpfbarkeit der gesammelten Daten gepriesen.

Künftig sollen die Behörden weitgehendere Befugnisse zum Verknüpfen von Ermittlungsdaten bekommen, und die Anleitung zu Begehung, Aufforderung oder "Gutheißung" eines Terrorakts sollen strafbar werden.

Die Ermächtigungsgesetze der Weimarer Republik hatten keinen anderen Inhalt. Eine schwammige Formulierung nach der anderen, und nach den letzen schwammigen Gesetzen (die die Einschränkung der Meinungsfreiheit vorbereiten) die jede "Diskriminierung" verbieten zeichnet sich bereits ab, wohin solche Gesetzgebung führen wird. Nicht "kann" oder österreichischer: "könnte". Nein. Wird.

Das Problem nämlich, auf das wir mit Riesenschritten zueilen, rascher als ich geglaubt habe, ist, daß hier Vorhaltungen erhoben werden können, deren Widerlegung auf Beweisbarkeiten angewiesen ist, die der menschlichen Wahrnehmungsevidenz nicht mehr entspricht. Engt man solche Bereiche zu stark ein, indem man die Toleranz der Bewertung auf abstrakte, kaum wirklich erschöpfend definierbare Ziele - "Freiheit" etc. - beschränkt, öffnen sich immer weitere Tore für reinsten Terror.
Aber das hat nicht nur Auswirkungen auf die direkte Rechtssprechung - auch auf das öffentliche Klima eines Staates. Weil es durch die Bekanntwerdung die individuelle Urteilsbildung erschwert weil neurotisiert.

Jedes menschliche Urteil entsteht zuerst über nichtrationale Evidenzen, über Wahrnehmung, sinnlich. Ratio, Begriffsfindung, ist erst nachträgliche Handhabbarmachung innerer Gewißheiten. Das bedeutet aber auch, daß so gut wie alle menschliche Gewißheiten lediglich graduell unausdrückbar und "beweisbar" sind. Denken, Überzeugungen auf "Beweisbarkeit" im positivistischen Sinn zu verengen bedeutet nicht die Erhöhung deren Vernünftigkeit, sondern letztlich deren beliebige Verdrängung! Denn rational läßt sich jede Überzeugung widerlegen, aber kaum eine a priori "beweisen". Menschliche Überzeugungen  - sollen sie nicht Fanatismus sein - entstehen nicht apriori rational. Sie sind schlichtweg "Erfassungen" von Wirklichkeiten.

Wer dazu vage Gesetze auf vage Gesetze aufbaut, geht mit absoluter Sicherheit einem Punkt zu, wo die Summe aus dieser Addition einen ursprünglich niemals intendierte, nie vorausgesehenen Standpunkt des Gesetzes ergibt, der aber dann unverrückbar da ist, oder geschaffen werden kann. Und der nur zulasten der Gesinnungsfreiheit der Bevölkerung gehen kann.  

Denn diese Gesetze sind - ohne wenn und aber - Gesinnungsgesetze. Sie gehen nicht nach Taten, sondern nach persönlichen Haltungen. Wenn ein Staat einmal damit beginnt fragt sich nur noch, wo er herauskommen wird. Ganz sicher nicht in der Freiheit.

Und da schließt sich der Kreis: der französische Modeschöpfer Galliani, der sich außerhalb allen Anstands benommen hat, (wobei Liebeserklärungen an den Führer  -  "I love Hitler," soll er gerufen haben - möglicherweise in andere human-pathologische Kategorien fallen, als unter Wiederbetätigung) wurde trotz einer öffentlichen Entschuldigung (er ist bekannt für seinen Alkoholkonsum) sofort aus allen Funktionen bei  Dior entfernt. Nicht nur das, wurde er aus seiner eigenen Firma hinauskomplimentiert, fragen Sie mich nicht, wie das geht. Ein Prozeß steht ihm sowieso ins Haus. Das heißt: der Mann wurde für eine gewiß blöde Entgleisung, die aber einfach nicht mehr war: eine Entgleisung, und wer ist nicht schon entgleist ... vollständig vernichtet.

Da geht es nicht darum, daß jemand die Gründung einer neuen Judenvernichtungspartei verkündet hat, und mitten aus einen einen Juden massakrierenden Anhängerscharen heraus verhaftet wurde. Nein. Hier geht es um eine simple "b'soffene G'schicht", wie man so sagt. Selbst wenn der Mann so tatsächlich denken dürfte.

Wenn wir uns aber das Menschsein so einengen, dann bleibt nicht mehr Menschlichkeit, sondern totalitäre Unmenschlichkeit übrig. Dann werden wir tatsächlich zum Lachen in den Keller gehen müssen. Dann wird alle Lebenslust im Bierernst vertrottelter Bürokraten ersticken.

Wer sich nicht mehr von sich selbst distanzieren kann und will, der führt etwas im Schilde. Also frage ich erneut: Wo leben wir bereits?! Fällt das niemandem auf?


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