Teil 2) Kleine Philosophie des Sports
Sport,
damit auch Fußball, funktioniert nur durch identifikation. Der Verein,
auch repräsentiert durch die Charaktere der Spieler, wird zu einem
puppenartigen Teil des Ego, den man in den Wind des Wettbewerbs steckt.
Das Schicksal ist ungewiß - Sieg oder Niederlage werden zum
Selbsterlebnis. Ohne Zuseher ist Sport sinnlos. Ihn zur
Körperertüchtigung umzudeuten, ihm also einen Zweck zuordnen zu wollen,
lächerlich. Die Schäden des Leistungssports für seine Ausübenden sind
bekannt und gewaltig. Wer 20 Jahre Leistungssport betreibt, ist meist
ein körperliches Wrack, muß fortan mit beträchtlichen Folgen legen.
Sofern er nicht überhaupt durch Unfall oder Verletzung eine Behinderung zu tragen hat.
Wer
bei einem Fußballspiel zusieht, muß deshalb leiden wollen, und können.
Das macht ihn in seinem anthropologischen Wert viel interessanter, als
oft abwertend gemeint wird. Und nicht zufällig sind oft größte Künstler
und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingefleischte Fußball-
bzw. Sportanhänger. Deshalb sind auch die größeren Unterschiede in der
Bewertung des Sports in seiner Publikumsauswirkung innerhalb von
Sportarten zu suchen. Sportarten wie Fußball haben sehr viel Ähnlichkeit
mit Theateraufführungen, ihre aktualistische Komponente, das
Verschwimmen von Bühne und Zuschauerraum, das Durchbrechen des
Bühnenraums, der vierten Wand also, gehört deutlich mehr zu ihrem
Wesen.
Wobei oft übersehen wird, daß auch für die Bühne
der Zuschauer konstituierend ist - nichts tötet eine Vorstellung so
gezielt, wie ein Publikum, das nur "neutral" zusehen will. Auch das
Spiel auf der Bühne ist ein "Spiel für", hat essentiell dialogischen
Charakter, ist immer ein "wir". Kein Autor, der nicht in Wahrheit einen
Dialog mit dem Leser führt, wenn er schreibt, kein Sänger, der nicht
"für" seine Zuhörer singt und im Vortrag selbst in einem aktuellen
Geschehen steht, das in diesem Moment entsteht. Auch die "hohe Kunst"
also ist immer ein aktuelles Geschehen, und damit ist die Verbindung zur
Sportaufführung viel enger, als oft gemeint wird.
Was
den Sport aber unterscheidet ist, daß der Lenker des Geschehens nicht
ein Mensch ist, sondern die immer aktuelle, nie vorauswißbare
Wirklichkeit selbst. Das macht ihn somit auf eine Weise zu einem
religiösen Erlebnis, die staunen macht. Und zwar nicht simpel als
"Ersatzreligion", sondern tatsächlich zu einem Element des Religiösen
als anthropologische Dimension selbst. Vielfach wird Sport sogar schon
zum einzigen Ort religiösen Erfahrens.
Und ist eine
einzigartige Metapher für die Welt selbst. Herr über das Geschehen am
Spielfeld ist nicht der Mensch. Und ist auch nicht das Geld. Der Mensch
kann nur tun, was er zu tun in der Lage ist. Aber das Ergebnis, der Sieg
oder die Niederlage oder das Unentschieden, die Zuweisung eines Platzes
in der Ordnung der Welt also, ist nicht bestimmbar. Der Zuseher wie der
Akteur muß also eine enorme Bereitschaft zum Sterben mitbringen. Tut er
das nicht, randaliert er zum Beispiel, wenn das Ergebnis nicht seinen
Wünschen (nach Sieg, nach Heros) entspricht, so zeigt das bereits eine
gefährliche Schieflage an, die aber einem der zerstörerischesten
Grundzüge unserer Zeit entspricht - dem Charakter der Schmerzvermeidung,
dem Rationalismus der Weltplanung und -beherrschung.
Das
zeigt einmal mehr den Zusammenhang zwischen dem Ort, an dem ein Verein,
ein Sportler ansässig ist, "für" den er also antritt, und dem Charakter
der Mannschaft. Wirkliche Sportfans haben sich in Freud UND Leid an
ihren Verein gebunden, und ihr eigentlicher Gewinn ist die Ernüchterung,
die dem willigen Tragen des Kreuzes entspringt. Auch Sport ist also
nicht raumlos möglich. Virtuelle Mannschaften, "Retortenvereine", waren
auch noch nie jene Vereine, die auf Dauer Erfolg haben, ja überhaupt
bestehen konnten. Und das hat nur marginal mit wirtschaftlichen Faktoren
zu tun - diese drücken das nur aus. Jene Sportanhänger, die einen Sport
nur wegen der vorgeblichen Kunst verfolgen, die die hohe Beherrschung
des Geschehens entspringt, sind zum einen selten, zum anderen lügen sie
meist, verbergen, daß sie sehr wohl Partei ergreifen.
Die
Rolle des Sports für das Selbstgefühl eines Ortes, einer Landschaft,
einer Nation gar, ist deshalb kaum zu überschätzen. Nirgendwo findet
sich das so explizit erfaßbar, wie in totalitären Systemen. Wo dieser
Aspekt sogar zum ausschlaggebenden wird. Denn gerade das totalitäre
System will seinen Platz in der Welt nicht dem Willen höherer Vorsehung
überantwortet wissen, sondern selbst bestimmen, ja es bezieht seine
Rechtfertigung gerade aus einem formulierten Anspruch auf einen solchen
Platz.
Gleichzeitig soll an dieser Stelle auf einen anderen Umstand aufmerksam gemacht werden: Daß nämlich oft die Vereine mit den treuesten Anhängern nicht selten gar nicht die Vereine sind, die in diesem Fußballkonzert der Giganten eine große Rolle spielen. Sie kommen selbst unter die Räder. Warum? Weil diese Struktur des Fußballs bereits einen Technizismus erfordert, der dieser Verwurzelung entgegensteht, sie verunmöglicht. Vereinfacht formuliert: Jene Vereine haben Vorteile, die sich um das Wesentlichste des Sports nicht mehr kümmern, sondern funktionalisiert agieren, den Anforderungen des "business" mehr und besser entsprechen. Egal in welchem kulturell-zivilisatorischen Bereich haben immer jene die kurzfristigsten Vorteile, die diesen Technizismus als erste weil am skrupellosesten umsetzten.
Das ist im wesentlichen sogar die Geschichte der meisten "Großen" der Weltgeschichte. Und es prägt auch die Geschichte des sportlichen Wettkampfs. Wer als erster eine bislang immanente, selbstverständliche Regel des Anstands, der Ethik bricht, hat kurzfristig einen Vorteil. Der Kriegsherr, der Massenheer-Wirkung statt Einzelkämpfertum eingesetzthat, der machiavellanische Politiker, der die Lüge benützt, um eines vermeintlich höheren Zieles willen. Das Aussetzen der Regeln der Gegenwart, das "kurzfristige" Aushebeln der Wirklichkeit also, im Namen einer besseren Zukunft - es ist das Wesen der politischen Utopie. Und es läßt sich auch im Sport eindeutig feststellen.
Und die Politik hat genau das verschärft, ja es gehört heute zu ihren wesentlichen Wirkungen. Weshalb ihre Einzelzielsetzungen immer ausschließlicher nichts anderes mehr sind als Versuche, "Nebenwirkungen" ihres eigenen Versagens (als Verstoß gegen das Prinzip der Politik selbst) wieder zu bereinigen. Womit sie mit derselben Gesetzmäßigkeit wie im Schneeballsystem nächste (technizistische) Fehlentwicklungen auslösen. Ein Spiel ohne Ende, in dem die Politik die Probleme, die sie zu beseitigen verspricht, lange schon selbst schafft. Sie ist damit zum Selbstläufer geworden, an anderer Stelle wurde bereits darüber gehandelt.
Fassen wir also in einem Zwischenschritt einmal zusammen - indem wir uns vor Augen stellen, daß Sport mit Vermassung gar nicht originär zu tun hat. Daß deshalb in seinem Rahmen das Phänomen Fußball weit eher unter Regeln des Kultes und des Theaters zu sehen ist.
Teil 3 morgen) Was das Zusehen mit dem Zuschauer macht -
samt einem kleinen Exkurs zum Theater
samt einem kleinen Exkurs zum Theater
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