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Freitag, 1. März 2013

Linien der Kontinuität (2)

 2. Teil) Eine Kehrtwendung - und eine Korrektur der beiden Vatikanischen Konzile



Aber noch etwas, und noch einmal der Hinweis auf die Regierungszeit Kaiser Friedrich II., des Staufer: zwangsläufig hat eine solche Entwicklung, in der faktische Person mit Amt in eins fällt, auch einen Zentralismus zur Folge, der ebenfalls in der Kirche zunehmend zu beobachten war. Denn es wird das persönliche Element eindeutig überbewertet. Hier muß man manchen Kritikern also zustimmen, so problematisch manche ihrer anderen Haltungen (Ungehorsam) und Sichtweisen sein mögen, in denen sie sich allzu deutlich als faktische Kinder ihrer Zeit, aber auch in erstaunlicher Kontinuität mit erwähnten Entwicklungen in der Kirche (!) seit dem 1. Vatikanischen Konzil selber zeigen. Die Kirche hat ihre Feinde also selbst gezeugt.

Und deshalb hat Joseph Ratzinger mit seinem Rücktritt, in dem er erklärt, daß seine Natur die spezielle Gnade des Papstamtes nicht mehr tragen kann, seine vielleicht klarste und kräftigste Aussage als Theologe, Philosoph und Papst getätigt. Die den Nerv der Zeit traf, wie nichts sonst aus seiner Amtszeit, die schon aufgrund des Alters des 2005 Erwählten nur als Zwischenpontifikat zu verstehen war.

Ja vielleicht sogar noch viel mehr - ob er es bewußt so sah, oder nicht. Denn ob er es so beabsichtigte oder nicht, so hat er damit einen historischen Schritt gesetzt, indem er eine über hundertjährige Entwicklung, die bei weiten Bevölkerungskreisen zu einer längst unzulässigen Verklärung des Papstes führte, zu einem Ende brachte. Mit einem Schlag hat er eine Nüchternheit aufscheinen lassen, die nur gut sein KANN. Mit einem Akt hat er das Papstamt auf sein ihm zugehöriges realistisches Maß gestutzt, und  - hoffentlich - vielerorts Ernüchterung bewirkt.

Der weiß, daß er nicht mehr in der Lage ist, den realen Anforderungen seines Amtes zu genügen. Das im Amt des Regierens, des Ordnens, des Kampfes der Autorität als Dienst an der Einheit besteht, der sich nicht mit frommen Formeln erledigt. Da braucht es konkrete Manneskraft. Denn es geht um das Amt, nicht um seine Person. Der deshalb bescheiden zurücktritt, weil er es real nicht mehr ausfüllen kann. Weil er offenbar noch Respekt vor der Würde hat, die er zu repräsentieren hat.

Wenn es heißt, daß sein Rücktritt historisch problematische Folgewirkungen haben könnte, indem nämlich das Papstamt "entsakralisiert" wird, so ist das in dieser Hinsicht absolut wünschenswert. Indem die Kirche selbst nicht auf das faktische Vorhandensein ihrer Glieder eingeschränkt wird, sondern über allem ihre wahre, noch ungewirklichte Gestalt, der nie verstummende Anspruch neu gesehen wird.

Oder war das Papstamt sakraler mitgeteilt, wenn ein Kranker durch den Petersdom geschleift wurde? War es sakraler aufgefaßt - hier ist von Fakten die Rede, die es nur zu sehen gilt! - wenn Jugendliche in Massen auf Flugfeldern "Benedetto" skandierten, oder kamerabewaffnete Touristen nach einer Papstmesse im Petersdom klatschten, oder per Twitter "I love You!" hören ließen? War das sakrales Papstamt, wenn polnische Bischöfe ihre Macht demonstrierten, und selbst unter Drohungen, ihre Landeskirche würde sonst Schaden nehmen, eine Seligsprechung durchdrückten? War das sakrales Papstamt, wenn der Papst regelrecht zum Messias verklärt (und das heißt: daß die Sichtweise zahlloser Menschen beeinfußt wurde!) wurde, weil ein solches Trugbild angeblich (auch das hört man in diesen Tagen) wesentliche Säule des Ansehens der polnischen Kirche sei?

Wenn es so ist, dann hat Papst Benedikt vulgo Dr. mult. Joseph Ratzinger eine historische Heilstat vollbracht, die zu wagen wirklich Mut zum Kreuz beweist, weil Mut zur Wirklichkeit bedeutet: die Schleier und Nebel der Täuschung aufzureißen, Licht hereinzulassen, weil den nötigen Realismus, den auch das Papstamt, den aber gerade die Kirche mehr als dringend benötigt. Durch einen vorgenebelten Papst mit virtueller Aura kann niemals Kirche lebendig werden. Glaube, Gott, Gnade ist zutiefst real! Da braucht es keine Gruppendynamik, keine künstlichen Sakralitätsschleier. Macht lieber die Liturgie wieder zu dem, was sie eigentlich ist, befreit sie endlich vom Subjektivitätsschlamm. Und vergeßt nicht die schiefköpfig-fromm lächelnden Kommunionhelferinnen, die meinen, es käme auf ihre Gefühlsausbrüche an, wenn sie den realen Gott zur Speise geben.

Daß Benedikt's Rücktritt historisch quasi beispiellos ist, nämlich durch seine absolute Freiwilligkeit, und daß dieses Beispiel fortwirken könnte, hat aber doch ganz sicher auch seinen Grund darin, daß die Medizin heute Lebensalter wahrscheinlich macht, die vor 100 oder gar 500 und mehr Jahren undenkbar waren. Es wäre gut gewesen, hätten das schon manche Vorgänger mehr mit erwogen, daß ein 85jähriger vielleicht nicht mehr die Kraft hat, zu tun, was ein Papst, und nur darum geht es, zu tun hätte. Der mehr sein muß als ein abstraktes Symbol, das Parkinsonkranken zeigt, daß sie mit ihrem Leiden nicht alleine sind. Von einem Kranken diesen Dienst zu verlangen, den Papstdienst, ist im übrigen nichts anderes als lieblos.

Damit aber wäre seine Entscheidung wirklich wegweisend, und viel deutlicher, als viele wahrhaben wollen: Denn Benedikt XVI. zerreißt damit (ob bewußt oder nicht) auch diesen unsäglich verqueren Schleier des Papismus, der - und mit welcher Paßgenauigkeit zur Zeit des Internet, der Ortslosigkeit, und damit der Unwirklichkeit - so unermeßlichen Schaden angerichtet hat. Der ganz sicher kein Weg der Neuevangelisierung - im Jahr des Glaubens! von diesem Papst ausgerufen! - ist. Wo die Kirche zum Eventverein entwürdigt, der Papst zur faktischen Identifikationsfigur der Vermassung, zum "Star" abgehalftert wurde. Den es zuletzt sogar noch auf Twitter kostenlos zu beziehen gab.**

Auch das übrigens: Zentralismus der schlimmsten Art. Wozu braucht es überhaupt noch eine Ortskirche? Na geht eh ein, überall, raunte ein griesgrämiger Rapottensteiner unlängst. Vielleicht mit Grund? Mit klaren Ursachen? Mittlerweile scheinen sich ohnehin die meisten Bischöfe die Päpste zum Vorbild genommen zu haben, ihre eigenen Diözesanstrukturen verkommen zu lassen, um sie durch "zentrale Bewirtschaftung" zu ersetzen. Während sie vom Kreuz jammern das darin läge, daß die Kirche aus der Öffentlichkeit verdrängt wird. Verdrängt wird? Sich selbst, durch Zentralismus nämlich, verdünnisiert. Und Zentralismus überall, in allen Diözesen, auf allen Ebenen, führt zum Erlöschen der Zwischenstrukturen. Er erhöht dabei nicht das Untere, er erniedrigt das Obere, als das "Nächstliegende".

Vielleicht hören die Leut, ernüchtert, gezwungen zum Realismus auch in der Betrachtung des (nächsten) Papstes, nun endlich auf, pausenlos über den Vatikan zu diskutieren, anstatt in ihrer Pfarre das Kreuz zu schultern, von dem sie so gerne hätten, daß es jemand anderer für sie beiseiteschafft. Der Papst, zum Beispiel. Während man das Feld allen möglichen Umtrieben überläßt - WIR, wir haben ja unsere virtuelle Kirche, rechtgläubig und superfromm, per iPod

Es ist krank, wenn der Gesundheitszustand des Papstes die Leute mehr interessiert, als der ihres Pfarrers. Wenn die Leute in Internetforen und Sondertreffen über Zölibat und Enzykliken diskutieren, anstatt ihrem Pfarrer das zu sein, was seiner Stellung entspricht und jede Zölibatsdiskussion obsolet macht: Braut. Was aber auch ihr einziger Ansatz wäre, am Heil teilzuhaben, das die Kirche sehr real ist.
Das Urteil der Geschichte über den mit heutigem Tag gewesenen Papst kennt auch diesmal noch niemand. Das wird die Zeit sprechen. Nicht wir, die wir so flott geworden sind mit Meinungen, mit "groß" und "heilig", die wir nur noch Vokabular abgleichen, nicht einmal mehr sprechen können. Und aus deren Mund eine Forderung nach "santo subito" wie das Bewerten einer guten Fernseh- und Internet-Show klingt. Denn: woher sollen wir, in dieser Distanz, einen Menschen wie einen Papst überhaupt wirklich einschätzen? Aus seiner Fernsehwirkung? Aus der Virtualität, in die wir tauchen?

Betrachtet der Verfasser dieser Zeilen aber, was der Kirche heute nottäte, sieht er woran sie wo elendig würgt, sieht er diesen Sopranaturalismus, diese Virtualität, die sich als '"pastoraler Weg" wie ein Aussatz überallhin ausgebreitet hat, dann kann er nicht anders als tatsächlich ... diesen Rücktritt als vom Heiligen Geist inspiriert zu sehen. Gerade in seiner Ernüchterung. Und daß Joseph Ratzinger, gewesener Papst, nicht genau überlegt, daß er keineswegs simuliert hätte, daß er in seinem Urteil über seine Kraft also einfach und schlicht ernstzunehmen ist, daß er aber auch in seinem Urteil, wie er es in seinen Schriften und Äußerungen so zahlreich dokumentiert hat, sehr fest und inspiriert ist - davon geht der Verfasser dieser Zeilen aus.

Man steigt nicht vom Kreuz herunter, meinte Dziwisz. Das ist richtig. Aber das Kreuz des Papstamtes ist nicht der sabbernde Mund eines von vielen Parkinsonkranken, sondern braucht die Kraft der schwertführenden, ordnenden Hand eines Fürsten, das hat sich gerade am Vorpontifikat erwiesen. Und die Liebe zum Papst ist nicht eine (auch hier: virtuelle) Liebe zu einem Schwerkranken weit weg, sondern es heißt jenes Amt zu akzeptieren, dessen jeweiliger Innehaber leitet, führt, ermuntert und ermahnt. Und das ist der Pfarrer ums Eck, dem ich einfach weil ich dort räumlich bin angehöre. Der mir jene Andockstelle an die Wirklichkeit der Kirche ist, letztendlich mit dem Papst als Haupt.*** Auf daß die Glieder des einen Leibes in ihren je eigenen konkreten Aufgaben, am Ort wo sie stehen, in der Aufgabe die ihnen als Amt auferlegt ist, als Kernbaumzieher, als Vater, als Chef, als Arbeiter, als Obmann des Kaninchenzüchterverbandes, erstarken und heilig werden. Und darin ist er Urbild des Königs, an dem alle ihr Maß nehmen. Der fern ist. Weil sein Amt so sakral ist, daß es jeden Alltag sprengen würde.

Geht heim, sagt uns Joseph Ratzinger, ich bin zu müde, zu alt, zu schwach. Kreuz tragen heißt, mit Verstand jenes Gewicht zu tragen, das dieses Kreuz hat. Zu viel aber wäre zu tun, zu viel Widerstand zu brechen, zu viel zu ordnen. Ein Amt zu tragen - und das heißt: einen Namen, einen Anspruch auszufüllen -  braucht eben reale Kraft. Dann kann auch sein spezielles Charisma wirksam werden. Braucht also Ernsthaftigkeit. Das wird nun ein Nächster übernehmen. Auch Jesus hat Simon sein Kreuz übergeben.

Hören wir dem Papst einmal wenigstens zu. Und glauben wir endlich.

Wer denn Papst werden solle, frug den Verfasser dieser Zeilen unlängst ein Leser. Wer, antwortete der? Es sei ihm gleichgültig. Er habe hier vor Ort, in Ungarn, eine Kirche in einer Normalität, die er für kaum noch möglich gehalten habe. Kein Priester mit Mätzchen, Sonntagsgottesdienste in denen gesagt wird, was es zu sagen gibt, und ein Volk, das kein großes Tamtam macht, weil es das Kirchenjahr selbstverständlich mitlebt. Wenn das ein Hinweis sein sollte, dann kann es nur einer werden - ein nüchterner Ungar. Die haben Realismus offenbar gelernt.

In Wahrheit aber müßte man antworten: Na ein Römer, ein Italiener, wer sonst? Als Bischof von Rom? Dann wäre die Linie der Kontinuität, des Realismus gewahrt, die seit 1870 so gefährlich entglitten, die Benedikt XVI. aber wieder aufgegriffen hat. Und das spricht wirklich für einen "großen Papst", als einen Joseph Ratzinger, der Größe hat.****

Und wissen Sie was, geneigter Leser? Wissen Sie, was das Ärgerlichste daran ist? Daß wir doch tatsächlich davon ausgehen müssen, daß uns das auch irgendwie bekümmern könnte. Womit sich der Kreis dieses Artikels schließt.






**War da nicht etwas, hier auf diesem Blog? Mit "Papst, Twitter und Ende"? Nur so als Anstoß ... es gibt keine Zufälle. Denn es ist ganz gewiß auch das eine hohe Anforderung, die enorme geistige wie physische Kraft - im Schwimmen gegen WELCHEN STROM! - benötigt, die heutige Kommunikationslandschaft auf ihre überaus problematischen Implikationen hin zu durchschauen und auch darin ein Leitbild zu geben.

***Wenn der geneigte Leser sich seriös mit der Frage des Verhältnisses von Kirche und Amtsträger, im besonderen mit der Frage der Indefektibilität der Kirche auseinandersetzen möchte, so sei ihm das Buch von R. Knittel, "Die unvergängliche Geschichtsdauer der Kirche in ihrer ekklesiologischen Entfaltung" empfohlen. 

****Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß natürlich die praktischen Implikationen eines solchen Papstrücktritts - gerade im Zeitalter der Medien - beträchtliche Verwirrung stiften können. Der Mensch ist ein Sinnenwesen - was nun? Gibt es nun zwei Päpste, beide in weißem Ornat? Weshalb zu hoffen ist, daß man von einem Joseph Ratzinger em. Pont. max., nie mehr mehr hört als von jedem Kapuzinermönch, der hinter hohen Mauern und in dunkler Kutte sein Tagewerk vollbringt, bis ihn der Herr in aller Stille abberuft. Leider ist anderes zu befürchten. Zum einen werden die Frommen (s.o.) dafür sorgen, zum anderen die Medien in ihrer Konstitution der Langeweile.





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