Sie waren wie die Heuschrecken gekommen, um sich in Detroit niederzulassen. 200.000 Einwohner hatte Detroit zu Beginn des 20. Jhds., dann kam Ford und baute seine "Lizzy T". Noch heute haben Ford, Chrysler und selbst VW ihre US-Zentralen in Detroit. Mit allen Begleiterscheinungen einer Boomtown, wie extreme Kriminalitätsrate, sichtbarstes Zeichen eines Geistes, der nur versucht so viel wie möglich herauszuholen. Detroit als Aushängeschild des american dream - zwei Autos, Haus am Stadtrand, lächelnde Erfolgsamerikaner - erzählt zugleich die Wahrheit darüber. 1,8 Mio Einwohner hatte die Stadt am Michigansee noch im Jahre 1970. Aber niemand, wie sich jetzt herausstellt, will dort in Wahrheit leben. So richtig leben. Niemand liebte den Ort, der ihn nährte. Sie kamen lediglich, um ein funktionales Leben aufrechtzuhalten, in Konsum und Einkommen, um abzukassieren. Ohne Bezug zum Boden, ohne Bezug zum Land. Die Stadt war ein künstliches Produkt aus Funktionalität, die aber noch lange keine Stadt macht. Sobald die Funktion versagte, die Autoindustrie in den USA einbrach und weniger Arbeiter beschäftigte, zogen die Einwohner weiter.
Heute hat Detroit noch 700.000 Einwohner. Weggezogen sind vor allem die Weißen, nur noch im Norden der Stadt befinden sich Viertel mit dafür fast 100 % weißer Bevölkerung. 82 % der heutigen Bewohner aber sind nicht weiß, und sie bewohnen vor allem das Zentrum.
Darunter sind auch größere Zuwanderergruppen aus Kleinasien, so die 113.000 Aramäer/Assyrer (Chaldäer), die vor religiöser Verfolgung in ihren Heimatländern flohen.
Die Stadt steht vor der Pleite. Die über 6 Mrd. Dollar Verpflichtungen für Pensionen und Sozialleistungen der Stadtbediensteten mitgerechnet, hat die Stadt 15 Mrd. Dollar Schulden. Und keine Wirtschaft, die das noch erarbeiten könnte. 35 % der Gebäude stehen leer, die Infrastruktur in weiten Teilen der Stadt ist nicht mehr bezahlbar, sämtliche Neuansiedlungsprojekte für junge Menschen waren nie mehr als großmäulig herausgestellte Vorzeigeprojekte angeblichen Kreativsinns, der aber kaum mehr war als Sinn fürs Morbide. Sie sind nicht einmal erwähnenswert in der Gesamtauswirkung im Sinne einer "belebten Stadt". Aus eigener Kraft bildet sich kein tragfähiges wirtschaftliches Leben mehr. Die Stadt wird, wenn nichts passiert, im Juni d. J. zahlungsunfähig sein, und hat Gläubigerschutz beantragt.
Es gab in der Antike ein unausgesprochenes Gesetz. Daß Mitbürger im eigentlichen Sinn nur werden konnte, der sich nicht nur mit Grund und Boden und damit dem Schicksal der Stadt selbst verschweißte, sondern auch daß sich ein Mitbürger mit allen Rechten daran bemaß, daß er in der Lage war, nach Einbrüchen und Katastrophen, nach Krisen, die Stadt neu zu gründen. Dieselbe Stadt. So waren auch die Kolonien zu verstehen, die das Mittelmeer kennzeichneten, die sich sämtlich auf eine Herkunftsstadt bezogen, und wirklich deren Söhne und Töchter waren. Wuchs nämlich eine Stadt über das Maß der Überschaubarkeit hinaus, drohte diese Verwurzelung im Ganzen zu entfliehen, wurde manchmal sogar per Los ein Teil der Bevölkerung bestimmt, auszuwandern, eine Tochterstadt zu gründen. Kein Einzelner durfte "systemrelevant" werden, es mußte eine bestimmte gewachsene Harmonie der Gewichte erhalten bleiben, die die Stadt zu einem lebendigen Organismus - Ungleicher - machte. So wurden Bürger herangezogen, die auch bei Zerstörung durch einen Feind, aus den Trümmern, wieder das aufbauten und erneuerten, was bereits zuvor dagewesen war. Diese Regenerationskraft war der Überlebensgarant menschlicher Ansiedlung, und der Arbeitsteiligkeit der Stadt.
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