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Donnerstag, 28. März 2013

Niedergang eines Standes - Adel (2)

2. Teil) Nur noch ein Zerrbild kam auf uns




Aus einer Gesellschaftsschichte, einem Stand der Edelen, der sittlichen Vorbilder, die die gesamte Gesellschaft durchformten, die unverzichtbare Zwischenglieder in der Gesamthierarchie waren, in Rechtsprechung oder Verwaltung, engstens existentiell selbst verbunden mit dem Schicksal des Landes, dem sie vorstanden, sodaß das Wohl ihrer Untertanen auch ihr eigenes war,
wurde eine Klasse, ein Rang der einfach Bevorrechteten, die ihre Rechte höchstherrlicher Willkür und Fügsamkeit, dem Zufall, der Cleverness verdankten. Mehr und mehr wurde so ihre Stellung zum Objekt des Neides, im besonderen der Bürgerschichte, wobei in Wahrheit niemand mehr wußte, wozu sie gut sein sollte.  Für sie selbst aber zum angsterfüllt zu hütenden Schatz, auf den es gar nie ein Recht gab - außer obrigkeitliche Willkür. Denn das wahre "Recht" des Adels lag stets nur in seiner Familie.

Das Ansehen schwand außerordentlich, und es schwand mit vollem Recht! Insbesonders am französischen Vorbild verdorben, wurde auch in Deutschland, etwas weniger in Österreich, der Adel zum gelangweilten funktionslosen Selbstzweck. Der nicht mehr "vom" Land lebte, das er selbst bebaute und bewohnte, sondern der es als Pfründe, als Geldquelle, als bloßes Vermögensteil aussaugte, in den meisten Fällen ohne jede persönliche Bindung - außer: Interessen - zu ihm. 

Der Adel spaltete sich längst, in den ursprünglichen und verwurzelten Landadel, der um seine Stellung betrogen wurde oder in ständiger Gefahr dazu stand, über den die Politik hinwegrauschte, oft genug mit brachialer Gewalt (im Brechen seiner Burgen), und in den bloßen Hofadel der höchstfürstlichen bzw. kaiserlichen Lakaien und Schranzen, ohne entsprechende charakterliche, sittliche Formung. Schon im Frankreich Richelieus läßt sich gut studieren, wie der defunktionalisierte Adel in militärische Aufgaben als Offiziere flüchtete, um wenigstens noch einen Rest des ursprünglichen Sinnes zu wahren, um überhaupt noch "für etwas gut" zu sein. Wo noch ein letzter Rest des mythischen Herkommens der Patriarchen (Adeligen) aus den Helden der Vorzeit "lebte", zumindest in der Phantasie.

Als Europa ins 19. und 20. Jhd. schritt, war diese Entwicklung bereits zu einem Endpunkt gelangt. Mit einer Aristokratie, die nur noch ein Schatten ihrer selbst war, leer und sinnlos, unwürdig und ohne jede Aufgabe, in der sich ursprünglicher und bester Landadel, wie er in Spurenelementen noch vorhanden war, mit dem aufgeblähten Hof- und Kaiseradel, der sich seit dem Mittelalter breitgemacht hatte, zu einer dekadenten Brühe vermischt hatte.

Gerade in Österreich ist aber damit vielfach in einer irrationalen Kaisernostalgie, in nebuloser Sehnsucht nach Monarchie, die viel lebendiger ist, als zugegeben wird, ein grotesk verzerrtes, oft genug regelrecht falsches und abzulehnendes Bild zum Zielpunkt der Sehnsüchte geworden. Gerade das, was oft als "Hochzeit" Österreichs gepriesen wird - in der Regentschaft Maria Theresias und Josefs II., deren Aufklärertum konsequent wie nie zuvor das Zerstörungswerk vollendete - zeigt sich bereits der pervertierte Gedanke einer ständischen, zur bloßen Rangordnung umgebogenen, vollends zentralisierten Gesellschaft, die dem Adel die letzte Funktion raubte.*

Geprägt, in den Köpfen der Menschen verankert in Jahrhunderten des Verfalls, wo schon der Gedanke des Adels durch Verleumdung und höchstherrliches Interesse verloren gegangen ist, weil seine Realität nur noch vereinzelt und in Resten rein erfahren werden konnte. Opfer des Kampfes der Zentralmacht gegen ihren gesellschaftlichen Mittelbau, der ihr im Wege war. Übrig blieb ein Adel, der in seinem Selbstgefühl, aus dieser gewußten Leere heraus, die Selbstbehauptung und Überheblichkeit der Angst (!) nach außen kehrte, das ihn vom Volk trennte, anstatt ihn zu verbinden. Gerade in den Kanzleibeamten und Hofschranzen lebt eindrucksvoll ein "Standes-"bewußtsein, das nur als bedauernswerte Neurose einzuschätzen ist, weil er sich in Wahrheit nie aus anderen Ständen wegbewegt, sich deshalb von ihnen in einem stets nur künstlichen Selbsterheben bloßen Ranges gefährdet weiß.

Hier wäre große Ernüchterung, vor allem aber klare Differenzierung am Platz. Wer über eine Erneuerung der Gesellschaft, unserer Kultur nachdenken will, muß vor allem darüber nachdenken, woher jene Eliten kommen sollen, die über den proletarisierten Massen, die nahezu sämtliche Schichten und Klassierungen heute darstellen, eine funktionierende gesellschaftliche Hierarchie aufbauen könnten. Aus dem, was sich - heimlich oder offen tradiert - als Adel darstellt, kommen sie jedenfalls nicht so einfach. Denn was sich als Adel darstellt bzw. darstellte, ist bzw. war nur noch ein Zerrbild des wahren Adels**. 

In dem seine ursprüngliche Aufgabe nur noch als schwacher Faden, als Erinnerung gar durchscheint. Die ältesten, der Ursprungskraft des Adels am nächsten stehenden Adelsgeschlechter und -familien sind mit dem Mittelalter fast restlos ausgestorben, und wurden durch den Adel, der bereits seiner ersten Umdefinition entsprang, ersetzt. Und selbst von diesen Nachfolgegeschlechtern, die noch mit den Besitztümern und Ländern der ältesten, ursprünglichsten Adelsfamilien her die uralten Pflichten und Rechten übernommen hatten, sind mit dem 18. Jhd. auffallend viele zumindest in ihren Hauptstämmen erloschen. Eine persönliche Erneuerung im tiefsten Sinne - weil eben Familien und -verbände nach dem Vollbringen ihres Wirkens erlöschen - gab es seit dem Mittelalter nicht mehr. Der seither hinzukommende Adel folgt bereits einer sinnwidrigen, verzerrten Idee.

Wenn, dann kann Adel aber nur aus Quellen kommen, in denen die wahre Geschichte des Volkes, dem sie als Gesellschaft eingefügt sind, gegenwärtig, und tragfähig, also sittlich lebendig und im Volk, im Boden verwurzelt ist. Dazu genügt Kaisernostalgie also sicher nicht. Und ganz sicher nicht das Wollen, zentralistische Deformation, ja Perversion der Reichsidee durchzusetzen.





*Man beachte alleine die maria-theresianische "Rechtsreform", die als staatsmännische Großtat zu sehen bereits anzeigt, welche Stunde für das Abendland, dessen Grundgedanke der organismische Föderalismus ist, geschlagen hat. In ihr hat die Kaiserin (sic! aus dynastischen Interessen wurde sogar diese Unmöglichkeit eines grundpatriarchalen Gedankens installiert, damit der monarchische Gedanke an sich sinnentleert!) die letzten Reste von Partikularismus mit eisernem Besen im Dienste des Zentralismus entsorgt. Gerade in Österreich wird vielfach mit nostalgischer Verklärung umgeben, was längst pure Dekadenz war, das Ende einleitete, anstatt im besten Sinn zu "reformieren". Selbst wenn man Maria Theresia zugute halten muß, daß sie vieles in Notwehr angesichts erdrückender - mit Preußen und Frankreich, aber selbst Rußland über Iwan den Schrecklichen und Peter den Großen in der Zentralisierung weit fortgeschrittener - Feinde tat, also "nachzog", indem sie Österreich ähnlich schlagfertig machte, was ihr bis zum 3. Schlesischen Krieg definitiv gelungen war. Aber der Preis war enorm.

**All das ist an der Epoche Friedrich II. des Staufers wunderbar erkennbar, wurde dort direkt eingeleitet, im Zentralstaat Friedrichs. Als einer Schlüsselepoche, die direkt in die Renaissance und in den endgültigen geistig-sittlichen Niedergang des Abendlandes führte. Es ist kein Wunder, daß Verehrer Friedrich II., der auf seine Weise ganz gewiß imponierend war, Verehrer eines abstrakt-objektivierten Beamtenstaates sind, die sich an Gedanken hoher nationaler Macht berauschen - wie von einem zentralen, großen Deutschland träumten, das sie ja auch durchsetzten - in dem zudem Adel nur Dekor ist.




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