Es gehört zu den wohl gepflegten Übungen der Wächter der Demokratie, auf die faire Durchführung von Wahlen in Ländern "mit Nachholbedarf im demokratischen Gebahren" zu achten. Dann geistern Aufschreie durch die Gegend, weil in einem Dorf im hinteren Kasachstan Stimmen gefälscht, deren Abgabe behindert oder was auch immer worden sei.
Wer im Glashaus sitzt, sollte aber nicht mit Steinen werfen. Denn wenn die Demokratie hierzulande eine seltsame Form von Vertrauen genießt - nämlich sehr wenig - dann hat das seine konkreten Gründe in Seltsamkeiten, die sich hier bei uns abspielen. Nicht vereinzelt, sondern als Gepflogenheit.
Über eine davon (und es ist nur eine aus zahlreichen) berichtet die Kronen Zeitung. Der Sprecher des "Team Stronach" schreit auf, weil er entdeckt habe, daß es bei den jeweiligen Großparteien üblich sei, Nichtwähler am Wahltag "zu motivieren". Das heißt: abzuholen, zu besuchen, gar herbeizuschaffen. Die Krone nennt das "Wahlschlepper".
Das verstößt gegen zwei Gesetze, und wird als Offizialdelikt nach dem Strafgesetzbuch bemessen. Das eine ist die Nichtwahrung der Verschwiegenheitspflicht durch die Wahlbeisitzer, das andere der Druck, der auf andere Personen ausgeübt wird, zu wählen. So wenig man dagegen sagen könnte, daß der eine den anderen anspricht, ob er auch - und wen - und wie wähle. Und es ist gewiß auch nicht verboten, aus Nächstenliebe die alte Frau Gnacking von nebenan, ja, die mit ihren Gichtbeinen, anzubieten, sie im Auto zur Wahl mitzunehmen. Aber dieses rein zwischenmenschlich Selbstverständliche hat eben Grenzen.
Das Seltsamste ist dabei nur, daß erst jetzt darüber berichtet wird, daß diese Grenzen nicht immer gewahrt wurden. Denn jeder wußte das - es ist immer schon so üblich gewesen. Schon vor 25 Jahren etwa war der Verfasser dieser Zeilen als Wahlbeisitzer einer Partei bestellt, der er sich damals nahe fühlte, und mußte natürlich auch eine entsprechende Erklärung unterschreiben, sich auf Verschwiegenheit etc. zu verpflichten.
Nun ist es so, daß in kleinen Wahlsprengeln nicht jede der bundes- bzw. landesweit kandidierenden Parteien auch Vertreter stellen kann. Und wenn dann manchmal nicht mehr zu jeder Stunde. Jeder muß einmal zu dringlicheren Geschäften fort, und nicht immer verfügt er über einen Vertreter. Also war es auch an jenem Ort, zu jener Zeit. Bis schließlich für einige Stunden ausschließlich Vertreter der auch dem Verfasser dieser Zeilen damals zusprechenden Partei im Lokal das Geschehen überwachten. Überwachen sollten.
Denn nicht nur war bei anderen Beisitzern die laufende Informationsweitergabe an offenbar mobile Einheiten selbstverständlich, sachlich untermauert von fortlaufend geführten Strichlisten, wer noch "zu motivieren" sei, sondern mit einem male tauchte auch jemand auf, begleitet von einer Reihe von Parteifunktionären, der für seinen Vater wählen wollte, dessen Wahlkarte in der Hand.
Der Verfasser dieser Zeilen verweigerte die Stimmannahme.
Was heftige Proteste auslöste, samt Vorwürfen, er handele nicht loyal, außerdem wisse er doch, welcher Gesinnung der Vater des Wählenden sei. Ja, man sprach ihm überhaupt die rechte Gesinnung ab. Ein heftiger Streit entbrannte, in dem besagter Sohn einen recht kläglichen Eindruck machte. Sich so gar nicht wohl in seiner Haut fühlte, und unausgesetzt in verzweifeltem Tone ausstieß, daß er seinen Motivateuren doch gleich gesagt habe, daß das nicht gehe. Was aber im Lärm der Debatte unterging.
Der geneigte Leser darf sich die Frage selbst beantworten, wieviele "Freunde" aus dieser Gesinnungsgemeinschaft dem Verfasser dieser Zeilen damals noch blieben, und ob er jemals wieder zu einer offiziellen Funktion eingeladen wurde. Aber das mochte auch damit zu tun haben, daß er kurz nach diesem Ereignis das Parteibuch zurücksandte.
Er hat übrigens auch keine Spesen verrechnet. Vielleicht war das sein einziger Fehler bei der Sache. Auch ein Fall für die OECD? Ach, man kennt sie ja, die Pappenheimer, mit ihrer Demokratie.
Sie meinen, geneigter Leser, daß diese einzelnen Stimmen, um die es sich vielleicht jeweils handelt, keine Rolle spielen? Auf Gemeinderatsebene geht es oft wenige Einzelstimmen. Und gerade in den letzten Jahren gab es mehrere Fälle, wo sich landes- und bundespolitisch Entscheidungen um Mandate, ja Kanzleranspruch, oder um die Vertretung in Parlamenten, um unglaublich wenige Stimmen entschieden.
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