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Montag, 25. März 2013

Der eigenen Logik zum Opfer gefallen

Es ist die Crux von Despoten, daß sie letztlich ihrem eigenen System zum Opfer fallen. Es ist von Stalin bekannt, und auch Chavez, der ein heruntergewirtschaftetes Venezuela hinterläßt, ist ähnlich einzustufen: Die Bewertung von Kritik mit Gefährdung des nationalen Gesamtwohls führt zu einer allmählichen Ausschaltung von Realität aus den Entscheidungskriterien. Auch ein Chavez hat mit dieser Begründung die Pressefreiheit ausgeschaltet. Was groteskerweise eine sehr nachvollziehbare Logik hat.

Ein hervorragendes Studienobjekt des fehlenden Wirklichkeitsbezugs moderner Herrscherfiguren liefert auch Hitler. Gerhardt Boldt, Ordonnanzoffizier, schildert präzise die Stimmung und Realität in der obersten Führungsetage in den letzten Monaten des Dritten Reiches. 

Vor allem die Ferne zur Wirklichkeit, so Boldt, sei dabei eine der auffälligsten Erscheinungen bei und um Hitler gewesen. Für Hitler selbst war Krieg nie mehr als ein Spiel von Fähnchen und Marken auf Landkarten. Hartnäckig verweigerte er selbst das Ansehen von Filmen, die ihm einen Eindruck von der Lage an den Fronten geben könnten. Das einzige mal, wo Hitler überhaupt registriert hatte, wie zerstört Deutschland bereits war, war, als er notgedrungen seinen Befehlsstand von Ostpreußen nach Berlin verlegte. Als der Zug in Berlin ankam, mußte Hitler in ein Auto umsteigen. Dabei sah er die Ruinen, und war geschockt. So schlimm hatte er es sich nicht vorgestellt, dort in Ostpreußen, in seinem Befehlsstand, umgeben von gepflegten Wiesen und Vogelgezwitscher. Hitler hat nicht ein einziges mal die Front besucht, oder in Berlin seinen Bunker auch nur für eine halbe Stunde verlassen, um sich ein eigenes Bild zu machen.

Seine gesamte Umgebung war ja schon über Jahre nur noch darauf eingestellt, und darin eingespielt, ihn in seinem Wahn zu belassen. Blender und charakterlose Gierhälse, wie Bormann, Fegelein, Sauer (den Hitler in seinem Testament zum Nachfolger Speers ernannte) oder Koch, umgaben ihn immer ausschließlicher, und hatten bis zuletzt Zugang zu ihm. Wer immer ihn mit Realismus konfrontierte mußte damit rechnen, degradiert oder gar als Verräter inhaftiert zu werden. Was dazu führte, daß man ihn kaum noch realistisch informierte. Für einen Teil seiner Umgebung, und gerade um seine nächste, ging es ohnehin nur um Intrigen, um Einfluß und Macht zu gewinnen. Ihr Interesse an der Realität war recht eingeschränkt. Die 8 Meter dicke Betondecke seines Bunkers war also sehr symbolisch zu sehen - Hitler wollte mit der Wirklichkeit endgültig nichts mehr zu tun haben. 

Wenn man ihm von der Front berichtete, so verpackte man es zunehmend und geschickt in Einzelgeschichten - hier habe eine Kompanie aufopferungsvoll einen ganzen Frontabschnitt verteidigt, dort zwei Soldaten in den Ardennen drei Amerikaner gefangengenommen, etc. Um dann so nebenbei zu berichten, daß zwei oder fünf Divisionen hier oder dort aufgerieben, oder zurückgenommen wurden. So häuften sich auch die Fehler immer systematischer, und in die chaotische Lage hinein folgten immer dramatischere Fehlentscheidungen. 

So in der Ardennenoffensive im Spätherbst 44, so im haarsträubenden Plan von Ungarn her die Ostfront zu stabilisieren und ebenfalls ganze Armeen zu verheizen, und so in der allen Militärs mit Sachverstand unverständlichen Weigerung, die Kurland-Armeen - 500.000 Soldaten mit intakter Ausrüstung, die bis Kriegsende im Baltikum isoliert aber intakt blieben* - über die See abzustransportieren und gegen die sowjetischen, weit überlegenen Kräfte wieder zum Einsatz zu bringen. Weil sich die Wirklichkeit nicht seinen Phantasien fügte, in denen sich Hitler noch mehr denn je als das große Feldherrengenie inmitten lauter Kleingeistiger Stümper begriff, die ihre Kraft in lächerlichen Details vergeudeten, mußte jedesmal, wenn sich die Dinge denn doch nicht so entwickelten, wie er es gedacht hatte, also: immer, jemand anderer Schuld sein. Während er selbst sich in jedes Detail einmischte, und mehr denn je Verwirrung schuf.

Das Kompetenzwirrwarr in Deutschland stand ja stets in bemerkenswertem Widerspruch zur landläufigen Meinung über die Organisationskraft "der Deutschen". Die "Straffheit" und der Gehorsam waren aber nur deshalb so ausgeprägte Forderungen, weil anders das Chaos von Anfang an offensichtlich gewesen wäre.**

Selbst Himmler war (aus welchen weiteren Motiven auch immer) spätestens seit Jänner 1945 in Gespräche mit Generälen, die bei ihm Unterstützung gesucht hatten, involviert, Hitler und sein Umfeld lahmzulegen, um zu retten, was noch zu retten war, vor allem aber gegen den Osten zu konzentrieren, denn daß der Krieg militärstrategisch bereits 1942 verloren war, war den klügeren, realitätsnäheren Köpfen klar.

Viel lieber entwarf Hitler mit Bleistift und Papier neue Orden und Auszeichnungen, eine seiner Lieblingsbeschäftigungen (von Beginn seiner Laufbahn in der NSDAP an), und hielt mit deren Herstellern Konferenzen ab. Oder "plante" viele Stunden lang sein neues Berlin, nach dem Endsieg. Oder träumte sich in seine "Werwolf-"Idee, die die Wende bringen sollte. Sein Leben und Denken war völlig virtuell geworden, selbst sein Lebensrhythmus hatte sich von jedem Tagesablauf und Rhythmus der Welt abgekoppelt. Sodaß er willkürlich Lagebesprechungen - von denen jeder Außenstehende wußte, daß sie verschwendete Zeit waren - mitten in der Nacht ansetzte, zu denen nicht anzutanzen lebensgefährlich werden konnte. Seine Zerrüttung wurde immer offensichtlicher, seine Entschlußkraft, mit der er früher verblüfft hatte, war in den letzten Tagen endgültig entschwunden, Befehle wurden pausenlos korrigiert, bis sie in völliger Verwirrung endeten.*** Hitler weigerte sich, Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, wie die Tatsache, daß die zur Legende aufgebauschte Wenk-Armee nur noch einige wenige einsatzfähige Divisionen zur Verfügung hatte, also nie in der Lage gewesen wäre, Berlin zu entsetzen. Als gegen seinen Befehl doch das einstige Liebkind SS-General Steiner im Entsatzversuch die Reste der 9. Armee von der Oder weg gegen Berlin führte (und scheiterte), murmelte er: "Ich habe es ja gesagt, daß das mit Steiner nichts wird."





*Die Sowjetunion hatte eine ähnliche Taktik dabei betrieben, wie Hitler zu Anfang des Angriffs im Juni 1941: In raschen Vorstößen wurden einzelne Feindarmeen lediglich isoliert, aber nicht direkt bekämpft. Dies sollte zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Im Falle der gesamten Nordfront hatte sich das ab 1944 fatal ausgewirkt. Denn mit dem sowjetischen Zentralvorstoß in der Ukraine bedeutete das, daß die Kräfte im Norden weiterhin gebunden blieben, der Mitte aber damit entscheidend fehlten.

**Denken heißt: ordnen.

***Boltz berichtet von einem Fall, in dem im März 45 endlich 22 moderne Jagdpanzer ins Rheinland geschickt werden sollten. Weil aber die Luftüberlegenheit der Alliierten so drückend war, war das ein Vorhaben für Tage. Während dieser Hitler ständig seine Anweisungen änderte, bis niemand mehr wußte,  wo sich diese 22 fabriksneuen Panzer befanden. Sie fielen den Alliierten schließlich kampflos in die Hände. 






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