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Donnerstag, 14. März 2013

Sprechen aus Gehorsam

Die Sprache, schreibt Wilhelm von Humboldt einmal, ist nicht eigentlich Mittel, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr: die vorher unbekannte zu entdecken.

Völlig verkannt wird, schreibt dazu Eugen Rosenstock-Huessy, daß die Sprache aus dem Imperativischen kommt. Nur, weil das Kind mit dem Imperativ - dem DU - konfrontiert wird, lernt es überhaupt Sprechen, beginnt sich im Ich selbst, unter subjektiver Anstrengung, zu sammeln. Nur insoweit wird Sprache auch Führer in die Welt, und wird zum Denken.  Alles ernste Sprechen selbst ist deshalb immer übersinnlich, nämlich sinnerhaltend, sinnüberliefernd, sinnverheißend, sinnerfüllend.

Das Denken in Schulbegriffen freilich ist ein nachträglich in den Einzelnen hineingenommenes Sprechen. Der Kult der Muttersprache hängt hintergründig zusammen mit der Herabwürdigung der Sprache zu einem bloßen "Mittel". Denn keineswegs kommt das Sprechen vom Denken. Vielmehr hängen beide unmittelbar und untrennbar zusammen. Namen, Begriffe sind jene Beschwörungsformeln, in denen das Angesprochene zu sich kommt.

Alles Sprechen hat deshalb das Schwätzen vor sich, und das Nachdenken hinter sich. Denken wir nach, wird früheres Sprechen nachgerechnet. Schwätzen ist deshalb Spielübung, und Denken endloser Treppenwitz. Alles Lernen ist Vorbereitung, alles Denken Nachbereitung der Lagen, in denen laut und öffentlich gesprochen werden muß. Die öffentliche Sprache hat deshalb den Vorrang vor der Kindersprache, vor der Denkersprache und vor der Muttersprache. An der allgemeinen Wahrheit hat die einzelne Sprache nur teil, wenn sie als Sprache von einzelnen Partnern eines gemeinsamen Gesprächs verstanden wird.*

Nicht die Spielwirklichkeit geht der ernsten Wirklichkeit voraus, sondern umgekehrt: das Spiel imitiert den Ernst. Das Lallen der Kinder ist deshalb nicht "natürlich", es ist schlicht ... "vorgeschichtlich", "sinnlos", vorbereitendes Spiel, nicht mehr. Kein Lallen verpflichtet zu jener Gegenseitigkeit, die das Sprechen setzt bzw. der es als geschichtsschaffende Tat beizutreten gilt. (Insofern ist auch das Sprechen in der Schule, neben dem in der Familie, noch Spielsprache.)

Die Muttersprachen sind die Sprachkapitalien der Völker bei ihrem Gespräch über Automobile, Atombomben, die Dreieinigkeit, die Wirtschaftsformen und den Frieden. Aber diese Bankguthaben sind wertlos außerhalb eines übergreifenden Zahlungsverkehrs.

Jedes Formlose geht im Ursprung auf ein Geformtes zurück. Deshalb, so Rosenstock-Huessy, ist es ein schwerer Irrtum zu meinen, Sprache würde aus dem Kind quasi von selbst hervorsteigen. Vielmehr gehen die Nomina, die Namen dem Sprechen voraus, und hier in der Hochform: "Vater" war vor "Papa", und das "Sie" vor dem "Du". Jeder Mensch erfährt das auch selbst so. Es kann deshalb Sprachen ohne Pro-Nomina geben, aber nie ohne Nomina. Gesprochen wird erst, wenn etwas geheißen werden kann. Alle Namen aber sind Amtstitel.





*Deshalb hat Sprechen und Wahr-Sprechen immer mit gehorsamem Nachgehen zu tun. Wer nicht gehorsam sein kann, kann nicht sprechen.




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