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Sonntag, 3. März 2013

Einheit der Natur

"Überblicken wir die Ergebnisse unserer bisherigen Untersuchungen (biologisch-chemisch-physikalischer Prozesse, Anm.) so zeigt sich uns
  1. eine harmonische Hinordnung des Anorganischen auf die Bedürfnisse des Organischen und
  2. eine dreifache gemeinschaftsdienliche Stoffwechseleinheit, die sowohl Kohlenstoff und Stickstoff als Baustoffe und Betriebsstoffe wie die Fermente und Hormone als Regulationsstoffe umfaßt.
Grundlegend in dieser Hinordnung des Anorganischen auf die Bedürfnisse des Organischen ist die Neigung des Kohlenstoffatoms zu Verkettungen unendlich mannigfaltiger Art. Dadurch ist die Möglichkeit zur Bildung der ungeheuren Mannigfaltigkeit von Körpern gegeben, die mehr oder weniger leicht ineinander übergehen und die Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit in den physiologischen Bedingungen des Lebens garantieren."

So schreibt Hans André in "Einheit der Natur", wo er zeigt, daß wissenschaftlich erfaßbare Prozesse auf der Erde in unendlicher Komplexität und Ineinanderfügung zwei Ziele anstreben: die Ausfaltung jeweiliger Formmöglichkeiten (als historischer Prozeß) aller einzelnen Glieder, und das Wahren eines jeweiligen Ganzen, das letztendlich im Ganzen des Kosmos gründet, wie in diesen einmündet. Und in hierarchischer Gliederung einander dienen: das einfachere dem Komplexeren. Mit dem Gesamtzielt: dem  Menschen, in dem alle Prozesse vorhanden sind. Thomas von Aquin schreibt deshalb völlig zurecht, daß alle anorganische Natur, ja die Natur insgesamt in ihrem Streben, letztlich nur einem dient: der Vermehrung menschlicher Seelen.

Kein Vorgang in der Natur kann schlichtweg abstrahiert und für sich genommen werden, und in der Natur beobachtbare Prozesse sind ohne ihr Insgesamt, auf das hin sie ausgerichtet sind, nicht verstehbar, und auch nicht wirklich beschreibbar. Was sich schon alleine darin zeigt, daß kein chemischer Prozeß vollständig reversibel ist, zumindest nicht in lebendigen Organismen. Chemische Prozesse können nicht aus sich, sondern nur im Rahmen ihrer Einordnung in ein Insgesamt zum Verstehen der Natur (eines Organismus, einer Wesenheit, eines Lebensraumes damit gleichermaßen) beitragen. Eigentlich heißt das ja: ein Verstehen belegen.
Alle organismischen Systeme und Einheiten der Erde stehen in einem Bestreben, sich stabil zu halten, alle Prozesse sind streng teleologisch, von einem Ziel her bestimmt (nicht: teleonomisch*). Und sie umfassen sämtliche anorganischen wie organischen Elemente, die sich immer in einem Zueinander verhalten. Keine Störung eines Gleichgewichts ist dazu in der Lage, das Insgesamt zu vernichten. Vielmehr löst es Gegenreaktionen vielfältigster und komplexester Art aus, die letztendlich ein (nie erreichtes, immer nur als Ziel vorhandenes) ursprüngliches Gleichgewicht herstellen. "Das Leben," schreibt er, "hat alle Möglichkeiten des irdischen Seins in seinen Dienst gestellt."

Unsere Aufgabe als Mensch kann es deshalb nie sein, abstrakte "Gesamtzustände" (direkt) herstellen zu wollen. Das übersteigt wesensnotwendig unsere Möglichkeiten. Unsere Aufgabe kann lediglich sein, im Einzelnen, in der direkten Alltäglichkeit und Begegnung, Wesensgemäßheiten vielfältigster Art zu entsprechen.

Das Insgesamt der Welt ist uns in seinen Funktionsabläufen aber verborgen, nur aus einem Sinn erfaßbar. Zugleich muß man aus dem Beobachten der Natur in all ihren Stufen wissenschaftlich betrachtet davon ausgehen, daß die Erde ein menschliches Tun unendlich übersteigendes Gesamtsystem ist, in welchem gar keine Prozesse möglich sind, die außerhalb der Gesamtharmonie bzw. des Strebens nach einer solchen stehen können.

Zu glauben, der Mensch wäre also tatsächlich in der Lage, die Erde aus ihrem "Sinnganzen" zu reißen, Gott quasi "aus der Hand zu schlagen", uns "außerhalb des Schöpfungssinnes" zu stellen, ist groteske Selbstüberschätzung, ja Wahn. Wahn ist es deshalb auch zu meinen, man könnte oder müßte durch Korrekturmaßnahmen am Mechanismus diesen Sinn wieder herstellen.

Der Sinn menschlichen Lebens liegt ausschließlich in ihm, im Einzelnen selbst begründet. Ethisches Leben ist deshalb immer subjektive Lebensgestaltung und -aufgabe. Wo immer deshalb Gesamtregulierungen diese subjektive, jeden Moment neue, nie vorhersehbare, aktualistische Aufgabe, die aus der Wechselbeziehung mit seiner unmittelbaren Umgebung erwächst, außer Kraft setzen wollen, führen sie zwangsläufig zur Verwirrung. Aber selbst diese kann nicht das Insgesamt der Schöpfung zerstören. Aber es kann viel Leid verursachen, und zur (immer subjektiven, und nur darum geht es!) Verfehlung des jeweiligen Lebenssinns verführen, wenn nicht gar zwingen.

Kein Mensch darf zum Zweck entwürdigt werden. Nie hat der Mensch die Aufgabe, "die Welt zu retten", und deshalb seine eigentliche ethische Aufgabe "auszusetzen". Immer nur hat er die Aufgabe, sich selbst (und die ihm als Verantwortung anheimgegebenen Dinge und Menschen) zum Heil, zur Vollausfaltung zu führen, beizutrage, daß alle und alles den ihm aufgegebenen Lebenssinn zu erfüllen vermag.
Verantwortung für ein Gesamtsystem, für einen Organismus, ist untrennbar und undelegierbar an die subjektive hierarchische Stufe eines Einzelnen gebunden. Ihm obliegt es, subsidiär die harmonische, gute Entwicklung der Teile des Ganzen zuzulassen, zu ermöglichen, zumindest nicht zu behindern. Systeme, die in diesem Sinn falsch (als: unnatürlich) sind, bewirken aber nicht, daß "alles" zugrunde geht, sondern daß ihre Lebensdauer historisch begrenzt ist.
Weil nichts auf Dauer der Natur der Dinge entgegen Bestand haben kann. Das zeigt sich in jedem noch so kleinen organischen System genauso, wie in der großen Weltpolitik. Gleichzeitig kann kein noch so falsches Gesamtsystem wirkliches Hindernis sein, den subjektiven Lebenssinn zu verunmöglichen. Er muß sich nur andere Weisen der Selbstauszeugung suchen, und darin kann allerdings ein System seine Glieder überfordern.

Weil aber nur bleiben kann, was Anteil am Sein hat - INDEM es ist, nicht DURCH sein Sein, das also diesen Anteil auch ablehnen könnte - ist der Sieg dieser Seinstreue - als Selbstsein, noch einmal - immer schon gewiß. Denn jeder Irrtum ist Selbstverfehlung als Verfehlung der Lebensentfaltung, und damit historisch notwendig Zerfall.
Es ist pure Phantasie - über die Motive die zu ihrer Auszeugung führen zu sprechen ist deshalb viel zielführender, als über "wissenschaftliche Details" - zu meinen, der Mensch könnte Entwicklungen in Gang setzen, die zur Auslöschung des menschlichen Lebens führen, auf daß die Erde dann (vielleicht beherrscht von den Ratten, oder Ameisen) weiterbestünde, nur ohne Menschen. Es ist deshalb auch pure Phantasie (und insofern völlig im Gleichschritt der geistigen Erscheinungen unserer Zeit) zu meinen, wir könnten Klimawandel auslösen, die das bewirkten, oder, umgekehrt, verhindern.

Wir haben immer nur eine Aufgabe: das Wesen der Dinge zu erkennen, die uns umgeben, und ihnen als wir selbst - im oft kleinsten Maßstab - zu antworten.** Dann handeln wir auch ethisch, dann handeln wir verantwortungsbewußt. Wir haben ganz sicher nicht die Aufgabe, uns um das Eis des Nordpols zu kümmern. Wir haben aber die Aufgabe, die Schönheit und Größe der Welt in unserem engsten Umkreis zu bewahren, zur weiteren Entfaltung zu bringen, und zu achten. Böse ist nicht der, der darin oft schwierig zu erkennende Kompromisse der Zulassung finden muß, um das geringere Übel zu wählen, weil die höheren, ihn zwingenden Lebensumstände es so verlangen. Böse handelt der, der meint, um eines Höheren willen Schlechtes gezielt tun zu dürfen und Landstriche zu verwüsten, um ... 
... ja, warum eigentlich? Um "die ganze Natur" zu retten? So ein Verhalten kann nur im Chaos menschlicher Lebensumstände enden.



*Schon erkenntnistheoretisch ist Teleonomie - Ziele werden lediglich als Ergebnisse zufälliger Prozesse als solche benannt - zur Beschreibung von Natur ein Zirkelschluß und sinnlos. Denn Erkennen ist ohne vorausgehende Wesenserfassung unmöglich, bliebe inhaltslos.
**Wer sich nur oberflächlich mit Einzelprojekten befaßt, die im 19. Jahrhundert zuhauf auftraten, und eine völlige und historisch noch nie dagewesene Umgestaltung unserer Lebensumstände begannen, stößt sehr bald auf viele viele Warner, die genau jene Zerrüttung vorhersagten und zu verhindern suchten, die wir heute vor Augen haben. Aber der Wahn, in den so viele gefallen waren, setzte sich mit teuflischer Kraft durch, nur in seltenen Ausnahmen konnten sich die Warner durchsetzen.

Und werden oft genug noch heute belächelt. Wie bei der Verhinderung der Abholzung des Wienerwalds. Oder wie in den vielen Fällen, wo Bürger eines Ortes keine Bahnanbindung wollten, weil sie die Zerstörung ihrer Lebensweise - völlig zu Recht - nicht wollten. Die Nachfahren dieser selben Bürger laufen übrigens heute, um eine Autobahnanbindung zu erreichen ...


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