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Mittwoch, 27. März 2013

Niedergang eines Standes - Adel (1)

Die Geschichte des Adels in Europa zu studieren heißt, die Geschichte des Zentralismus, der Zentralstaaten zu studieren. Heißt die Auflösung der europäischen Gesellschaften seit dem Mittelalter in ihrem Umbau zu zentralfürstlichen, im Grunde flachen Gesellschaften studieren. Als Geschichte der Auflösung der eine Gesellschaft tragenden, darstellenden Organismen, die in sich selbständig und überlebensfähig waren und sein sollten, denen aber die "großen" geschichtlichen Entwicklungen ihre Daseinsgrundlage entzog.

So wurde der Adel von einer unverzichtbaren gesellschaftlichen Position und Funktion zu einem bloßen Rang degradiert, als Opfer des Kampfes der Zentralmacht, der Kaiser und größeren Landesfürsten, um Zentralisierung ihrer Macht. Die selbst wiederum (siehe Preußen, Frankreich) den noch zentraleren Machtballungen zum Opfer fielen. Nur in Spurenelementen hat sich der eigentliche Adel noch erhalten, namentlich in England, in Österreich, in Preußen, und dort stand er spätestens seit dem 16., 17. Jhd. immer wieder in elementarem Konflikt mit den großen Herrscherhäusern.

An sich ist der Adel rückführbar auf die uralte Organisation der Gesellschaften aus den Familien heraus, die sich zusammenschlossen, einen Anführer wählten, dem jene Aufgaben oblagen, die die größeren Kreise dieser Zusammenschlüsse stellten: Krieg, Außenbeziehungen, Rechtsprechung. Damit war er auf klar patriarchaler Gliederung aufgebaut, und vor allem nicht denkbar ohne Verwurzelung in das ihm zugehörige Land und seine Menschen, denen er sich bis aufs Blut zugehörig fühlte, die ihm anbefohlen waren. So muß man sich die Gliederung der Gesellschaften bis ins späte Mittelalter denken.

Deshalb ist die bürgerliche, bäuerliche Freiheit - anders als in heutigen Vor- und Fehlurteilen -  direkt mit einer starken Adelsschichte verbunden, das ist in allen europäischen Gesellschaften nachzuweisen. Einen politischen Gegensatz zwischen Liberalismus und Aristokratie zu konstruieren wäre also an sich widersinnig, auch hier liefert England* den Beweis. Mit dem Gegenbeispiel Rußland, dessen gesamter Adel nach Iwan dem Schrecklichen nur noch in der Rückbindung an den kaiserlichen Dienst bestand.**

Den ersten fundamentalen Todesstoß gab ausgerechnet das Kaisertum, nachweislich in Friedrich II., dem Staufer, dem stupor mundi, dem Staunen der Welt. Was er auslöste, brach in ganz Europa die Gesellschaften und Länder um. Fürderhin wurde der Adel zum bloßen Rang, und er war rein abhängig von der Willkür, den Interessen des Kaisers, des Landesfürsten. Oft genug unter direkter Mitwirkung von Städten, die nicht selten exakt zu diesem Zweck gegründet oder ausgestattet wurden - kaiserliche bzw. zentrale Macht gegen die Freiheit der kleinen Organismen durchzusetzen. Oft genug durch fehlende Weitsicht oder Gier nach Macht auch kleiner Fürsten, die sich so ihr eigenes Grab schaufelten.

Denn in der Zerschlagung dieses essentiellen gesellschaftlichen Mittelbaus wurde direkt in die Freiheit der Bürger und Bauern (als breitem Boden der Gesellschaft, bis ins 19. Jhd. hinein) in ihrer Hingeordnetheit auf selbstregulierende Kleineinheiten eingegriffen.

Besonders unter Karl V. wurde diese - neue! - Art der Adelserhebung, der Briefadel (anstelle des Adels der Geburt, des Herkommens aus einer historisch in einem bestimmten Landstrich verwurzelten Familie), zur Alltäglichkeit, und feierte ihre Urstände, am deutlichsten in der zentralistischen Entwicklung Frankreichs erkennbar, am zögerlichsten in England, wo sich bis heute der ursprüngliche Adelsbegriff als Vater eines bestimmten Ländchens zumindest im Ansatz erhalten hat.

Damit schlug auch die Stunde eines neuen, städtischen Bürgertums, des Geld- und Hofadels. Denn Zentralisierung bedeutet: Geld, das persönliche Bindung und Selbstgenerierung lebendfähiger Kleinorganismen ersetzen, künstlich beleben muß. Bis hinein in die Kriegsführung, die sich genau deshalb entscheidend ändert, zur Geldsache wird. Karl V. wurde bereits durch Bürger, die Fugger, zum Kaiser, die ihm das nötige Geld gaben, und später einerseits wichtigste Geldgeber der Kaiser wurden, anderseits die Industrialisierung der Wirtschaft (weltweit!) per kaiserlicher Privilegien entscheidend betrieben.

Mehr und mehr höhlte sich damit die Stellung des (alten) Adels aus, der sein Ansehen, seine Verankerung in der Bevölkerung verlor. Wenn ein Kammerdiener per kaiserlicher Willkür geadelt werden konnte, war nicht einzusehen, welche Funktion - außer willkürliche Rangspiele, wie sie im Barock so grotesk aufblühten - der Adel überhaupt noch bezeichnen sollte, über bloße Kaisernähe hinaus. Mit einer weiteren Besonderheit: War noch im Mittelalter die Erhebung in den Adelsstand mit klaren Verdiensten und Aufgaben innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie verbunden - als Grundherren in der Lehn (Leite), als Ritter im Krieg etc., als die sie größtmögliche Freiheit genossen - und deshalb nicht leicht zu erringen, war der Verlust der Adelswürde sehr leicht. Nun wendete sich das: mit einem mal war man leicht Adeliger, aber so gut wie gar nicht mehr aus dieser Würde wieder entfernbar.




2. Teil morgen) Nur noch ein Zerrbild kam auf uns




*Auch hier spielt die Epoche Friedrich II. des Stauferkaisers bereits ihre Schlüsselrolle: Als Folge der Niederlage gegen die für Friedrich (in der Auseinandersetzung um die Kaiserkrone mit dem Welfen Otto) angetretenen Franzosen bei Bouviens 1214, mußte König John 1215 in der Magna Charta die Rechte der Bürger und des Adels für alle Zeiten festschreiben. In einer noch fatal werdenden Übergewichtung, die England ab dem 17. Jhd. in dieser, aber pointierteren Gegenbewegung zum Ausgangspunkt der Zersetzung Europas aus anderer Richtung machen sollten. Als Gegenbewegung gegen diesen Zentralismus, die ihren Weg über die Niederlande fand, wesentlich eingeleitet von ... Frankreich. Das damit seinen Gegner, die Habsburger bzw. die Deutschen Fürsten, schwächen wollte. In dem derselbe Sieg bei Bouviens ja exakt die gegenteiligen Folgen, die ihren Höhepunkt in Ludwig XIV. 350 Jahre später fanden.

**Der Widerspruch Liberalismus : Aristokratie ist sozialer Natur, schreibt Wilhelm Riehl in seiner "Naturgeschichte des Deutschen Volkes", nicht politisch.



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