Teil 3) Sich als Gott erfahren
Kantorowicz
nimmt wohl mit Recht an, daß Friedrich in seinen pointierten
Auffassungen
maßgeblich von seinen Erlebnissen bei seinem Kreuzzug, vor allem von der
Freundschaft
mit dem ägyptischen Sultan Al-Kamil geprägt war. Denn genau das erlebte
er dort,
die gottähnliche Stellung und Machtfülle des Regenten. Aber nicht
weniger müssen den sehr jungen Friedrich die Ereignisse geprägt haben,
die seine Regentschaft selbst wie das Mirakel göttlicher Fügung
zustandekommen ließen.
Mehrmals
haben scheinbar winzige Zufälle die Weichen
zu seinen Gunsten gestellt: Verspätung des real gewählten und
mächtigeren Kaisers Otto IV., des
Welfen, um eine Stunde in Basel; die verlorene Schlacht bei Bouvines
1214, die das Schicksal des gesamten Abendlandes maßgeblich bestimmen
sollte, an der Friedrich selbst gar nicht teilnahm, usw. Friedrich als
legitimer, aber ausgebooteter, machtloser Kaiseranwärter, mußte das in
seiner psychischen Lage fast zwangsläufig als Signum seiner Gottsendung
empfinden bzw. hochdeuten.** Daß Gott mit ihm war, ja daß er Werkzeug
Gottes war - er damit persönlich zur Vorsehung für die Menschheit
wurde.***
Klarer
weltimmanenter Materialismus, den Friedrich nicht zuletzt aus seiner
Befassung mit der arabischen Kultur (und deren Aristoteles-Rezeption)
bezog. Ein geordneter Staat war das verwirklichte Paradies. Er wirkte
damit maßgebend für die Staatsentwicklungen am ganzen Kontinent. Diese
Weichenstellungen des frühen 13. Jhds. hat auf jene Geleise gelenkt, die
zu den Problemen der Gegenwart geführt haben, in denen sich diese
Grundfragen ausdrücken.
*Ist uns das nicht bekannt? Friedrich ging selbstverständlich davon aus, daß ER im Besitz dieses ausreichenden Wissens, ausreichender Vernunft war, kraft seines Wissens, seiner Bildung, seiner Bereitschaft zur Bildung. Und vor allem aus seiner besonderen Inspiration - kraft seiner Stellung, als Herr der Menschen. Welcher ein Mensch sein mußte. Zu diesem Glauben an die besondere Stellung in der Unmittelbarkeit vor Gott siehe nachfolgende Bemerkungen.
**Solche Konstellationen sind aus sehr vielen Herrscherviten bekannt. Georg Misch zeigt in seiner "Geschichte der Autobiographie", welche Bedeutung göttliche Zeichen, wunderbare Fügungen, Omina für die Legitimitäts- und damit Machtfrage von Herrschern - und gerade von Ursupatoren! - hatten. Nicht zuletzt ... die Zufälle, die zur Machtergreifung Hitlers führten, sowie die seltsamen Zusammenfälle in seiner Zeit bis 1938, die Joachim C. Fest sicher mit Recht in ihrer Bedeutung dahingehend zusammenfaßt, als sie Hitler an seine göttliche Sendung wirklich glauben ließen.
Aber, geneigter Leser, ist da nicht die Frage erlaubt, woher denn wir, wie Heutige, unsere Selbsteinschätzung beziehen? Beziehen wir sie nicht auch aus den Omina unseres Lebens? Stammt nicht die Einschätzung unserer Stellung im Weltgefüge der Erfahrung einer Wirklichkeit der technischen Zivilisation, in der wir die Welt beherrschen, sie sich unterwirft, über die wir verfügen? Woher sonst sollte wohl die Einschätzung stammen, wir könnten die Welt, sämtliches Leben auf ihr, auslöschen, ihr Wohlergehen hänge von uns ab?
Genügt der Hinweis auf den Spruch aus dem Alten Testament, daß "der Eintritt in die Weisheit Gottes die Gottesfurcht" sei? Woher aber soll Gottesfurcht kommen, wenn sie gar nicht erfahren wird? Wovor soll sich der europäische Mensch fürchten, außer: vor sich selbst? Vor Blitz und Donner, Hagel und Sturm, Wind und Wetter? Die sind ja doch auch (so meint er zumindest) menschenverursacht!? Ist nicht unser ganzer Sozialstaat, unser Alltagserleben, ein einziger Versuch, jede Nicht-Beherrschbarkeit zu eliminieren, ja bis in die Pädagogik als Erlebensfaktor auszuschalten? Nicht anders hat Friedrich II. - oder Hitler, das Muttersöhnchen, übrigens! - sich erlebt: Alles zu können. Das Rad der Welt selbst zu drehen.
***Wer glaubt, es handele sich hierbei um "des Kaiser's Bart", um unwesentliche Fragen, irrt gehörig. Denn diese Fragen ziehen sich in ihrem Grund bis ins Leib-Seele-Problem der Gegenwart, und das steckt in unseren alltäglichsten Alltäglichkeiten. Ja, sie ist die Grundfrage unserer politischen Systeme! Wir haben sie ganz aktuell am Tisch liegen. Selbst die Frage um die EU wird in der Frage um Gott und sein Verhältnis zur Welt entschieden, sie ist als keine "politische" Frage zu lösen.
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