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Montag, 28. September 2015

Erkenntnis als Synthese der Gemeinschaft

Die Begegnung, schreibt der Thomist August Brunner in "Person und Begegnung", ist Grundlage und Ausgangspunkt jeder Erkenntnis, niemals Sache eines isolierten Einzelnen. Und noch weniger eine logische Folgerung. Menschliches Sein hat dagegen immer gemeinschaftlichen Charakter, ist ein Mitsein, und das macht sich auch in allen weiteren Erkenntnissen geltend. 

Die Erkenntnis wirklicher Seiender beruht also nicht, wie oft und falsch vorausgesetzt wird, auf einer einzigen Erkenntnis eines einsamen Menschen, sondern auf einer Zusammenschau, einer undurchdringbar komplexen Synthese vieler Einzelerkenntnisse, die zum geringsten Teil (!) aus eigener Erfahrung stammen, sondern von der Mitteilung von anderen herrühren. Und sie wird mit der Sprache übernommen. Der es dann ja ein Leben lang nach-zudenken gilt.

Weil aber jeder Mensch in seinem Psychischen in einer weitgehend "nicht mitteilbaren", nicht geteilten Je-Meinigkeit steckt, die nur ihm also eignet, besteht bei jedem Menschen eine gewisse Abgeschlossenheit. Alles, was er erkennt, zeigt somit eine gewisse Färbung. 

Nun wird aber in der Begegnung mit dem Mitmenschen immer ein gewisser "Hintergrund" mitgedacht. Und dieser Hintergrund ergibt sich aus dem Eigenen, das für das allen, auch dem Begegnenden Zubehörige gesehen wird. Es ist das, was ihn zum Menschen macht, als Person begreifbar macht, so, wie ich mich als Person erfahre. Jede Teilerkenntnis bezieht sich auf diesen Hintergrund, den ich beim anderen automatisch mitdenke, denn jeder Mensch ist immer ein Ganzes, eine Einheit. Er wird aber nur deutlich, wenn er sich durch Teilerkenntnisse über den anderen quasi auffüllt, konkret wird.

Einheit unter Menschen entsteht also durch den ihnen je gemeinsamen Boden einer ihnen gleichen Überlieferung. Und diese Überlieferung muß zwangsläufig in Institutionen (zu denen auch die Sprache ja gehört) Ausdruck finden, weil sie nur von dort her wirken kann. (Der Mensch ist nicht wahlweise, er ist prinzipiell Kulturwesen.) Wenn diese nicht gleich war oder ist, wenn die Institutionen unterschiedlich sind, entstehen im Erkennen unausweichlich Mißverständnisse. Das ist keineswegs eine "bewußte" Angelegenheit, sondern vollzieht sich als Mitgedachtes bzw. im Mitgedachten. Das sich in der Einordnung des Teilhaften am anderen ausdrückt. Denn das läßt sich nur verstehen, wenn es in ein Ganzes eingeordnet wird; erst so erschließt sich seine Bedeutung und sein Wert.

Zwar sind diese Unterschiede - wie sie sich in den Unterschieden unterschiedlicher Kulturkreise, ja Landschaftseinheiten zeigen - prinzipiell überwindbar. Aber sie sind es nur durch eine allmähliche Abgleichung der im Sprechen, im Gespräch, in der Begegnung nach und nach synchronisierten, also auf den (wie gesagt: immer nur zu einem Teil bewußten) Gesamthorizont abgestimmten Teilerfahrungen und -bedingungen.

Damit wird auch klar, daß ein "Erlernen der Sprache" als Vollzug einer Einung niemals ausreicht. Denn was es zu synchronisieren gälte wäre die jeweilige Muttersprache. Ein Mensch ohne Muttersprache wäre zu einer solchen Einung damit gar nicht in der Lage, denn ihm fehlt überhaupt das Selbstwerden, von dem aus er einende Erkenntnis gewinnen könnte. (Wer also Menschen fremder Zunge in einem Land Bürger werden läßt, hat sich gleichzeitig dazu entschlossen, deren Sprache zur offiziellen Mit-Sprache zumindest für ihre Belange zu erheben.)

Dabei ist Zeit ein unerläßlicher Faktor. Denn jede dieser Abgleichungen muß nach und nach im jeweiligen Lebensvollzug verfleischlicht werden. Daraus ergibt sich gleichermaßen, daß speziell religiöse Unterschiede zu einer Unver-Einbarkeit von Menschen führen können, wenn nicht eine gewisse Synchronisierung auch dieser so tiefgreifenden, existentiellen Lebensgründe passiert. Und auch das wird in jedem Fall viel viel Zeit - Generationen! - brauchen, weil es nur in allmählichem natürlichem Vertrauen gründen kann. Während beim "Übernehmen einer (Nicht-Mutter-)Sprache" alles das fehlt, was überhaupt den Hintergrund für Erkenntnis des anderen liefern könnte, und sich schon rein aus physiologisch-psychischem Andrang damit unbeantwortet findet.²

Es nützte also auch herzlich wenig, "allgemeine Gesprächsrunden"* anzusetzen und zu meinen, nach ein paar Treffen sei das überwunden. Das mag vielleicht sogar in gewissen intellektuellen oder abstrakten Bereichen (wie in der Mathematik, oder durch gewisse Methodik in der Naturwissenschaft) der Fall sein.

Nur in Allmählichkeit läßt sich also jene Durchdringung der je im Fleischlichen, im Psychischen manifestierten Weltposition erreichen, die eine immer weitergehende Vergeistigung der Begegnung von Menschen ALS PERSONEN als Ziel hat. Eine geistig-seelische Haltung, die dieses Ziel ausschließt, kann deshalb niemals akzeptiert werden. Es wäre ein Widerspruch eines Staates bzw. Landes in sich und würde das Recht zersetzen. (Übrigens ist das im Materialismus auch bei uns bereits passiert.)

Um solcherart stattzufinden, braucht es in jedem Fall also eigentlich Generationen, weil ein Erwachsener ja auf einem Boden steht, den er kaum einmal noch abzulegen vermag.** Nicht einmal, wenn er "sich bekehrt" (um es an einem konkreten Beispiel zu illustrieren.) Mehr als die Einigung auf ein gewisses pragmatisches Nebeneinander, das ein allmähliches Einen langfristig zumindest nicht verhindert, ist hier gar nicht möglich, will man nicht sogar eine Abwendung vom Einungswillen provozieren.³

Daraus läßt sich auf die unausbleiblichen Folgen schließen die erwachsen, wenn eine Umgebung in Pluralismus bzw. Heterodoxie zerfällt. Denn so wird für immer mehr Menschen ein Selbstsein schwer, wenn nicht unmöglich, weil es der Selbstverständlichkeit des Alltags fehlt. (Übrigens ist Amerika ein hervorragendes Beispiel, das genau das belegt: In seinem Zerfall in zahllose kleinere oder kleine Gemeinschaften.) Erst so kann man den Satz verstehen, der da vom "Fremdwerden im eigenen Land" spricht. Die Menschen haben deshalb ein Recht (!) darauf, sich "unter seinesgleichen" in einer gewissen Geschlossenheit und Quantität zusammenzufinden. Weil ein Selbstwerden nur unter Anerkennung des anderen bzw DURCH ihn stattfinden kann.

Fehlt dies, so ist der Ausweg, sich Anerkennung über Sachwerte zu besorgen, nur mehr logisch. Denn über Macht, Geld und verbriefte Leistung wrd diese Anerkennung zum scheinbar unraubbaren Besitz. (Weshalb der Schutz des Eigentums in den USA so extrem hohen Stellenwert genießt.) Das muß fast zwangsläufig folgen, weil aus dem bisher Gesagten auch hervorgeht, daß der Mensch den anderen und seine Anerkennung nicht nur braucht, sondern auf die Anerkennung als Person für sein Selbstsein ANGEWIESEN ist. Und hier finden wir den eigentlichen Kitt einer Gesellschaft: Dieses Angewiesensein, das natürlich auch Ablehnung als Mögichkeit einschließt, kann nur frei passieren. Damit ist es die ungeschuldete Liebe, die eine Gesellschaft zusammenhält - oder nicht. Im nicht erzwingbaren Geben genauso wie im nur (wenn man so will: aus Gnade) zu empfangenden Nehmen. Hier liegen Pflicht zur Liebe wie zur Dankbarkeit, die in einer geeinten Gesellschaft (auch institutionalisiert) alle einander schulden. Und genau deshalb nicht heißen kann, daß es einen Zwang geben kann, wahllos und ungemessen Außenstehende einzulassen. Ja, das Recht hat die Aufgabe, den Einzelnen im Selbstsein wie Besitz (als Außenring des Selbstseins) vor der Übermacht des Fremden zu schützen.

Damit wird auch sehr vieles an gegenwärtigen Erscheinungen speziell unter jungen Generationen in unseren Ländern begreifbar bzw. als Symptom erkennbar. Mit dem stärksten Merkmal: Dem durch Auseinanderreißen von Form und Inhalt abwertbaren, damit entfernbaren Wert des selbstverständlichen Erbes, der Tradition. Und das Verlagern auf vergegenständlichende, verdinglichbare Anerkennung. Denn hier gibt es nur noch Moralismen, und die deren Macht begründende wie aufrechthaltende Rolle der Medien. Während die Verdinglichung seiner selbst (um Anerkennung zu besitzen, vom anderen, ja vom Sein überhaupt unabhängig zu machen) bis hin zu Körpermerkmalen und Eßmoden geht (die eigentlich -störungen, weil willkürlich-moralisierte Festsetzungen sind.)

Ein gezieltes Zerstreuen der Einzelnen, ein Durchmischen gewissermaßen, führt - das wird nun gewiß im illustrieren sollenden Rückgriff auf die Praxis verstehbarer - nicht zu einer rascheren Einigung, sondern zu einer Verhinderung einer solchen Einigung. Und nimmt damit einem Land seine entscheidenden Kräfte, und macht es von innen her zerfallen. Einung wird nur noch als pragmatischer, nur im Außen bleibender Akt des Willens möglich, um wenigstens äußere Widersprüche gewaltsam zu glätten.






²Es nimmt deshalb keineswegs wunder, daß die Rufe nach undifferenzierter und ungelenkter Zuwanderung defacto immer aus Kreisen von Menschen kommen, die nicht mehr verwurzelt sind, oder diese Wurzeln (namentlich: die Mutter) hassen (und meist aber sogar das Gegenteil behaupten; es verrät also eine umgelenkte Ersatzhandlung). Ja, sie sind ein Kriterium, nach dem diese erkannt werden. Kein Wunder also auch, daß ein Migrationakind wie der Bergoglio-Papst dazu aufruft. Und die ihm dabei gleichtun, verraten sich ebenfalls. 

*Man denke an Zuwanderer aus anderen Kultur- und gar Religionskreisen.

**Das zeigt sich sogar innerhalb christlicher Konfessionen, man denke an konvertierte Protestanten, die so gut wie immer viele Jahre, manchmal ein Leben lang, und auch in deren Nachkommen, auch wenn sie das nicht selbst bemerken, einen tiefen Unterschied im selbstverständlichen Verstehen des Katholischen zeigen, der über rein intellektuelles Verstehen oder formale Vollzüge weit hinausgeht.

³Äußerst aufschlußreich ist dazu die Geschichte der Juden in Deutschland. Denn diese standen zu Beginn des 20. Jhds., nach Jahrhunderten als Parallelgesellschaft, vor einer regelrechten Kippe zur vollständigen Assimilation, standen davor, wirklich in Deutschland aufzugehen. Erhebungen zu Beginn der 1930er Jahre belegen das. Man möge daraus seine vielfältigeren Schlüsse ziehen.





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