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Dienstag, 15. September 2015

Man kann es auch übertreiben - (K)Eine Verteidigung (3)

 Teil 3) Wenn sich Praxis in Dogmatik wandelt - 
Was viele offenbar gar nicht sehen




Was aber gerne übersehen wird ist der Umstand, daß ein langes Verfahren einen massiven Einschnitt in das Leben der von dieser Tragik (denn das ist der einer Annullierung zugrundeliegende Tatbestand - einige Zeit zumindest waren ja beide bona fide, bzw. putativ, also irgendwie zumindest unter der Annahme der Gültigkeit) betroffenen Menschen bedeutet. Unter Umständen ist das Leben beider für viele Jahre blockiert, ein Neuanfang, der auch eine gewisse psychosoziale Sanierung - auch für die Kinder - bedeuten könnte, wird verhindert. Dazu kommt die komplexe Frage der Schuld, die auch große Auswirkungen auf das Umfeld der Betroffenen (auch der Kinder selbst im Verhältnis den Eltern gegenüber) bedeuten.

Dauern die Verfahren lange, wie bisher fünf, acht, zehn, fünfzehn Jahre, ist für beide Betroffenen jedes Urteil unmöglich geworden. Die reale Trennung bestand, die beiden haben sich unvereinbar auseinandergelebt, und nun stellt sich heraus, daß sie nicht neu anfangen können - weil die Ehe nun doch gültig erklärt wird, oder weil sie ungültig war. Aber beide sind viele Jahre älter geworden. Das kann gravierende Auswirkungen auf das Schicksal der Betreffenden haben - "nur", weil das Verfahren so lange dauerte!  

Sogar eine rein zwischenmenschliche Aufarbeitung - ob  der Schuld, oder von jener Täuschung, die beide zu falschen Annahmen brachte - ist blockiert, hat das schon jemand bedacht? Wovon sollen die beiden denn ausgehen? Von Ungültigkeit? Von "subjektivem Gewissen"?

Und was soll man von den rein praktischen Auswirkungen einer Trennung (bzw. Scheidung und anschließendem Annullierungsverfahren; Scheidung gilt übrigens als Beweis, eine Annullierung einer zivilrechtlich noch aufrechten Ehe wird bislang gar nicht geprüft) erzählen? In der meist einer der beiden - das Mann - vor der für ein Drittel (!) unlösbaren Aufgabe steht, nun ZWEI Haushalte sowie Unterhalt für die Frau und Alimente finanzieren zu müssen, vom gesetzlichen Anspannungszwang bis weit unter jede Existenzmöglichkeit gedrückt, meist jeden Vermögens bar, etc. etc. etc., der aber keine neue Existenz aufrichten kann,k weil alles vorläufig bleiben muß? Und was mit einer allfällig neuen Partnerin? Welchem anständigen Mädel sind fünfzehn Jahre Ungewißheit zuzumuten, das dann womöglich schon rein physisch gar nicht mehr in der Lage ist, eine Familie zu gründen, weil sie über der langen Annullierungsdauer im Warten auf ihren Bräutigam das Klimakterium überschritt?

Dann müssen eben alle das Martyrium tragen? Herrschaften - das sollte jeder für sich entscheiden dürfen. Sonst wird es recht rasch nach jenem Pharisäergeschmack, in der die sich breite Gebetsriemen aufschnallen, und anderen unmöglich zu tragende Lasten auflegen. Da drückt niemand auf die Tränendrüse. Sondern das sind ganz reale Tatsachen. Oder will man so manche Betroffenen dazu bringen, daß ihnen das nicht und nicht einlangende Kirchenurteil schließlich egal wird?

Aber was noch viel grundlegender so gut wie alle Kritiker dieser Reform bzw. der Annullierungsverfahren übersehen ist, daß sich die gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen in den letzten hundert, zweihundert Jahren dramatisch geändert haben. Das hat größte Auswirkungen auf die naturrechtliche Situation der faktisch geschlossenen Ehen (sofern sie überhaupt heute noch geschlossen werden; 50 % der in Partnerschaften lebenden jungen Menschen heiraten heute nicht einmal mehr. Warum wohl? Weil sei das Sakrament nicht verstehen? Oder - die Natur der Ehe und der Kultur überhaupt, die eigentlich selbstverständlich sein müßte, verdunstet ist?) 

Der Hauptmangel heute ist heute nicht das fehlende Bewußtsein um die Unauflöslichkeit der Ehe. So reden gerne Leute, die im Grunde von Ehe nichts verstanden haben. Denn zuviel Bewußtheit kann sogar der Neurose und Simulation gefährlich nahe geraten, und wird es sogar manchmal - grotesk, aber ... ein Nichtigkeitsgrund.

Es geht heute in ungeheurem Ausmaß um das Fehlen der naturrechtlichen Voraussetzungen, eine Ehe einzugehen. Im Gespräch mit dem VdZ haben selbst Bischöfe, denen man beileibe nicht mangelnde Katholizität vorwerfen könnte, die Meinung geäußert, daß ein enorm hoher Prozentsatz der heutigen Ehen aus genannten Gründen gar nicht mehr gültig geschlossen wird. Auch wenn man berücksichtigt, daß die Vorbedingungen für ein Paar, die Weise, in der ihre Ehe beginnen kann, äußerst weit gespannt sein kann. (Ein Generalrezept, WANN jemand heiraten solle, und wie, und evtl. sogar warum, gibt es also gar nicht; das ist immer individuell. Soviel in Richtung der Liebesschwafler.) Ja, es wäre sogar eine dringende notwendige Erweiterung der Nichtigkeitsgründe zu fordern. Denn die Frage, wieweit der Feminismus, in den heute alle Mädchen per Totalitarismus-Pädagogik hineingetrieben werden, und der sie von sich entfernt, ist in den Augen des VdZ mit "ja" zu beantworten. In ihrer Haltung emanzipierte Frauen sind eheunfähig. Na da müßten also die Ehen erst wegen Ungültigkeit purzeln ... Dazu in ein paar Wochen mehr.

Ist es also kirchen- oder sakramentenfeindlich, sich auf diese veränderte Realität durch ebensolchen Realismus einzustellen? Historische Beispiele sucht man vergeblich, denn: Vor 500 Jahren, vor 1000 Jahren GAB es diese Frage gar nicht, weil der allgemeine Zustand der Kultur ganz andere Persönlichkeiten und Menschen hervorbrachte.

Seelisch-geistige Gründe und Defekte, ein entsprechend defiziöses, ja auflösend wirkendes Umfeld wie heute gab es damals nicht, nicht in dieser Form und in diesen Zusammenhängen. (Wobei ein Einblick in die Prozeßakte Heinrichs VIII. staunen macht - der, oder sein Berater, hat sich nämlich auch damals recht gut in diesen Fragen ausgekannt, der Sachverhalt ist eben immer gleich.) Und noch heute ist gewiß bei so manchen (etwa eher "natürlichen") Völkern die Möglichkeit zu einer ungültigen Ehe (oder ein fehlendes Bewußtsein um ihre Unauflöslichkeit) gar nicht vorhanden. Und zwar aufgrund ihrer selbstverständlichen Haltung zu ihrer eigenen Natur. Denn die Ehe ist erste Natur des Menschen, nur sie bringt ihn zu sich, nur auf ihr kann Kultur aufbauen, und ihre Stellung im kulturellen Leben ist deshalb immer ein Aufweis deren christlicher Höhe.

Entsprechend ja auch die geschichtliche Entwicklung der Ehe zu sehen, die auch bei uns noch vor dreihundert Jahren recht selten war - weil aus gesellschaftlich-sozialen Gründen gar NICHT ALLEN, ja nur wenigen sogar MÖGLICH gemacht. Noch im 16. Jhd. waren keine 50 % der hiesigen Bevölkerung verheiratet, weil es dem Rest aus sozialen Gründen untersagt war, zu heiraten. Man sollte also auch hier die Kirche ein wenig im Dorf lassen. Das Zölibat (schon gar der Laien) war vor 500 Jahren ja auch nicht gerade verbreiteter als heute. Im Gegenteil. Die Reformation läßt also herzlichst grüßen.

Und von der Kirche des Ostens soll gar nicht erst begonnen werden. Die seit je eine "zweite Ehe" kennt, wenn auch nur unter bestimmten Bedingungen und Konstellationen. Aber deren Bekenntnis zur Unauflöslichkeit der Ehe ist auch eher eine Angelegenheit für Eingeweihte. Wobei der VdZ dem Umstand, daß die Ostkirche DIE dezidiert PRIESTERLICHE KIRCHE (sogar gebunden an den Ort: dem Kirchenbau) als die eigentliche Quelle des Ehesakraments sieht. Und das ist nicht im Widerspruch zur katholischen Auffassung, sondern eine andere Betonung eines Aspekts, der AUCH in der katholischen Auffassung von Ehe eine entscheidende Bedeutung ("Öffentlichkeit") hat. (Rosenstock-Huessy spricht sogar sehr begründet von der Stiftung der Ehe DURCH die Gesellschaft, und er hat darin zweifellos AUCH recht.)

Ohne daß der VdZ nur ein Jota von dieser Unauflöslichkeit - aus philosophisch-anthropologischen Gründen; die logische Rechnung gienge niemals mehr auf, ja wie immer in solchen Dingen würde mit einem herausgezogenen Stein alles zusammenfallen (darin hätten die Kurialen am Papier sogar recht) - abweichen wollte.



Morgen Teil 4) Den absoluten Spruch gibt es nicht unter Menschen - 
Gewissen braucht ein externes Urteil - 
Aber ein Urteil ist ein Heilsgeheimnis





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