Als "Stellvertreterin" will die Kirche "den anderen" nichts Fremdes, sondern die "Wahrheit bringen, die sie alle in ihren Kulturen, Mythen, Philosphien und Religionen immer schon suchen. Eigentliche Stellvertretung [...] bedeutet: dem Anderen seine Identität (sein eigentliches Selbstsein) ermöglichen; und nicht: ihn zu einem anderen machen als er eigentlich immer schon ist oder sein sollte. Die Wahrheit, die die Kirche lehrt und lebt, soll also nirgendwo die Wahrheit der anderen ersetzen, sondern im Gegenteil: die Wahrheit "der anderen" zu ihrer eigentlichen Gänze ("Katholizität") befähigen.
Karl-Heinz Menke, in "Stellvertretung"
Dabei, schreibt Menke weiter, kann man von einer eigentlich christlichen Ethik gar nicht sprechen, die da vielleicht mit eigenen Normen daherkäme. (Das beträfe bestenfalls Einrichtungen, Vorschriften und Gebräuche des religiösen Kultes etwa; Anm.) Viel mehr aber muß man von einem christlichen ETHOS sprechen.* Der den Einzelnen als Teil der Menschheit überhaupt in der Verantwortung vor einer absoluten Instanz sieht - Gott. Verwiesen also auf Christus einerseits, auf die Nichtchristen anderseits, die in diesem Sinn nicht in die Gemeinschaft mit Christus, und damit in die Erklösung (dem eigentlichen Selbstwerden sohin, dem Ende der Selbstentfremdung) hineingenommen wären und es ohne Kirche nicht würden.²
Auch Christ zu sein entbindet nicht von den oft sehr komplexen, viel Wissen und Detailkenntnis erfordernden Situationen, in denen nach einer Lösung der reflektierenden wie argumentierenden Vernunft gesucht werden muß. "Eine Ethik," schreibt dazu A. Plack, "die den Menschen nur predigt, sie sollten um Himmels willen einander lieben, ohne daß dabei gefragt wird, wie die Liebe sich durchsetzen soll, ... macht sich selber zum Komplizen des Bösen."
Christlicher Ethos aber ist mehr als der kleinste gemeinsame Nenner, er verlangt "blind nach allem", indem er alles durchdringen will (und auch inhaltlich verändert). Denn er enthält keine einzige Norm, die nicht der Wahrheit über den Menschen schlechthin entspricht.³
Christlicher Ethos aber ist mehr als der kleinste gemeinsame Nenner, er verlangt "blind nach allem", indem er alles durchdringen will (und auch inhaltlich verändert). Denn er enthält keine einzige Norm, die nicht der Wahrheit über den Menschen schlechthin entspricht.³
Mit einer wesentlichen Folgerung: Denn es ja gar nicht der Einzelne, der quasi zuerst zu sich kommt, und dann Verantwortung übernimmt. Sondern es ist DIE VERANTWORTUNG, die den Einzelnen überhaupt erst zu sich bringt: Es ist die Verantwortung, die Aufgabe aus allem vorausgehender Situationsdefinition, Stand, aus dem Ort also, die den Einzelnen als Subjekt überhaupt erst (in seinem Weltsein) konstituiert.** Verantwortung muß somit in ihrem Zusammenhang mit Selbstverantwortung gesehen werden. Christusförmigkeit heißt immer auch: das Tragen fremder Lasten. Heißt im Für-sein zu mir selber werden.
Und widerspricht darin völlig dem heute geläufigen rationalen Selbstverständnis der Selbst-Verwirklichung aus "Autonomie" heraus. Sodaß der Mensch heute zwangsläufig in die Spannung eines unauflöslichen Widerspruchs gegen seine Natur gerät, und er gerade im Maß, wo er versucht, "autark selbstbestimmt selbst zu werden", ins Gegenteil der Selbstdiffusion gerät.
Und widerspricht darin völlig dem heute geläufigen rationalen Selbstverständnis der Selbst-Verwirklichung aus "Autonomie" heraus. Sodaß der Mensch heute zwangsläufig in die Spannung eines unauflöslichen Widerspruchs gegen seine Natur gerät, und er gerade im Maß, wo er versucht, "autark selbstbestimmt selbst zu werden", ins Gegenteil der Selbstdiffusion gerät.
*Diese Tatsache begründet eigentlich die ablehnende Haltung gegenüber einem "allgemeinen Ethikunterricht". Denn es gibt überhaupt KEINE ETHIK OHNE ETHOS. Die Unvereinbarkeit weil grundsätzliche, sich inhaltlich dann auswirkende Vor- und Richtungsentscheidung jeder "bloßen Ethik" liegt also in diesem Ethos, der auch einen sogenannten "religionsfreien oder -neutralen" Ethikunterricht sehr wohl und in jedem Fall zu einer religiösen Angelegenheit machen würde. Das auch in jene Richtungen geflüstert, die da meinen, Migrationsprobleme und Probleme der Unterschiedlichkeit der Religionszugehörigkeit von Zuwanderern ließen sich durch "Übernahme der Werte unserer Gesellschaft" einfachhin glattstellen. Das werden sie nicht. Weil der Ethos sich unterscheidet.
²In diesem Sinn muß auch die Wahrheit "Extra ecclesiam nulla salus - Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil" in dem weiteren Licht als "OHNE Kirche gibt es kein Heil" gesehen werden. Denn die Kirche, die Versammlung der Christen, steht auch stellvertretend für den Rest der Menschheit vor Gott. Ja, das ist der Kern ihres missionarischen Auftrags! Sie hält in der Stellvertretung, in der Sühneübernahme durch die Christen den Platz für die gesamte, auch nichtchristliche Menschheit im Ordo und Plan Gottes frei. Denn in diesem "für-sein" vollzieht sich erst ihre eigentliche Selbstwerdung. Ein Heil, das freilich vom Vertretenen auch ergriffen oder zugelassen werden muß. Was Kirche also zur Kirche MACHT - ist ihre Stellvertretung. Sie ist nicht Selbstzweck.
³Wovon hier in scheinbar exclusiver theologischer Terminologie gesprochen wird, ist beispielsweise das jedem Drama auf der Bühne, und damit, ja genau damit jedem zwischenmenschlichen Geschehen immanente - wirkliche - Geschehen. Diese Überlegungen erschließen damit auch das Wesen jedes menschlichen Werkes, wie das Wesen des Kunstwerkes.
³Wovon hier in scheinbar exclusiver theologischer Terminologie gesprochen wird, ist beispielsweise das jedem Drama auf der Bühne, und damit, ja genau damit jedem zwischenmenschlichen Geschehen immanente - wirkliche - Geschehen. Diese Überlegungen erschließen damit auch das Wesen jedes menschlichen Werkes, wie das Wesen des Kunstwerkes.
**Man beachte dazu das an dieser Stelle bereits vielfach Auseinandergelegte zu Identität, Familie, Haus, Staat, etc.
***