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Sonntag, 27. September 2015

Völkerwanderungen

Eindrücke vom österreichisch-ungarischen (zuvor bereits verwaisten) Grenzübergang Nickelsdorf vom 5. September 2015.

Man schätzt, daß zumindest ein Fünftel der Zehntausenden, die nur in diesen Tagen zu Fuß über den Balkan nach Österreich marschier(t)en (um nach Deutschland weiterzuziehen), aus dem Mahgreb stammen, aus Marokko, Tunesien, Algerien. Wieviele aus dem Balkan die Gunst der Stunde nutzten ist unbekannt, denn eine Registrierung ist weitgehend nicht erfolgt. Man ließ die Menschen ins Land in der Hoffnung, sie würden schon weiterziehen. "Ein sozio-ökonomisches Experiment unabschätzbaren Ausmaßes," meinte Roland Tichy auf seinem Blog. Der überwiegende Teil dieser Zuwanderer wird hier bleiben, trotz nicht vorliegendem Asyl-Status, und auch der Rest wird absehbar nicht in der Lage sein, seine Existenz selbst zu bestreiten, wird also ohne absehbares Ende alimentiert werden müssen. Damit baut sich sozialer Sprengstoff höchster Brisanz auf. Ein anderer schrieb: Ein Staat löst sich auf, wenn er seine Grenzen beliebig öffnet, denn er gibt die Idee eines Rechtsraumes auf, auf der er aber beruht.

Auch hierüber hat der VdZ bereits eingehend geschrieben, und seine Einschätzung von vor ein paar Jahren bestätigt sich ständig mehr: Eine "Integration" wird nur "gelingen", wenn sich die politische Organisation unserer Länder weitgehend umbaut, vor allem die Idee eines geeinten Staatsvolks aufgegeben wird. "Friedlich" kann das nur ablaufen, wenn die Verwaltung auf religiös-kulturellen Parallelgesellschaften einstellt, der Staat zu einer pragmatisch-funktionalen Notinstitution zur Beherrschung jeweils autonomer Gebiete umgebaut wird. Die Frage wird dann freilich sein, woher eine alles doch noch zusammenfassende (dann: Reichs-)Regierung ihre von allen akzeptierte Legitimation bezieht. In jedem Fall ist ein weiteres schweres Problem absehbar: Der Umbau der Herkunftsquellen für Identität. Denn Identität BEGINNT im Staat weil in der explizit gemachten Volksgemeinschaft, der man zugehört.

Wer das bestreitet, bestreitet die Wirklichkeit von Universalien, und fügt sich dem nominalistischen, die Wirklichkeit zerreißenden Irrtum. Zu glauben, man könne das durch universalistische Begriffen - auch "Kirche" ist hier zu nennen - ersetzen, ist ein schwerwiegender Fehlschluß. Denn auch Kirche gibt es nur auf dem Boden des Konkreten der Natur, des Individuums - und damit wieder: auf dem Boden natürlicher Gemeinschaft, in der jedes ihrer Glieder von den Universalien her mit Eigenschaftlichkeit und Transzendenz überrieselt wird. Sie sind das Material, IN DEM sich Individualität zur Gestalt bringen kann. Die Probe aufs Exempel kann der Leser in einem einfachen Gedankenexperiment machen: Indem er versucht, einen Menschen zu zeichnen, zu malen, der NICHT durch Universalien konkret, ja dadurch erst zum realen Menschen wurde. Einen abstrakten Menschen "gibt" es nicht.

Christentum heißt also ganz sicher NICHT, die Ausprägung des Eigenseins aufzulösen, um sich in einem abstrakten geeinten Menschsein wiederzufinden. Sondern es heißt, einander IN DIESEM EIGENSEIN, in aller natürlichen Logik und Ordnung wie notwendigen Begrenzung, in Liebe zu begegnen. Toleranz heißt nicht, das Eigensein des anderen zu ignorieren, sondern ihn IN seiner Fremdheit zu dulden.  Sie ist deshalb nur dem möglich, der ein ungefährdetes Eigensein HAT. Und dazu gehört für einen Menschen, unangefochten Teil einer realen, konkreten und historischen Gemeinschaft zu sein.

Respekt vor Flüchtlingen oder Zuwanderern zu haben bedeutet deshalb nicht, sie langfristig "als Deutsche" zu sehen, als Zuwanderer, die sich hier angepaßt haben.* Es bedeutet vielmehr, sie als Menschen in einer historischen Schicksals- und Charaktergemeinschaft zu begreifen. Mit Verflechtungen aus Schuld und Verantwortung, die den Kreisen ihrer Herkunft entstammen. Es bedeutet auch nicht, sie ihrer Muttersprache durch Deutschkurse u. ä. berauben zu können, als unterstem Eintrittspreis gewissermaßen. Wer das tut, entfremdet diese Menschen sich selbst, höhlt sie aus, und beraubt sie und uns - wenn schon - ihrer wertvollsten Ressource: Des Menschseins selbst. Als Vernunftwesen, das im Wort erst zu sich kommt, weil Welt und Wurzeln hat. Keine Fremdsprachenkenntnis der Welt kann die Muttersprache ersetzen. Erst von ihr aus läßt sich auch eine Fremdsprache begreifen, weil in Bezug zur Welt selbst setzen.

Nur verwurzelte Menschen aber können ein Land, ein Volk tragen. Denn nur sie beginnen in Verantwortung auch für die Gemeinschaft zu handeln. Der Mensch aber wird erst zu sich selbst, wenn er Verantwortung übernimmt.





*Wer so spricht, hat nie verstanden, was Entwurzelung wirklich heißt, und wie lange - Generationen! - es braucht, um sie zu überwinden, um wieder Heimat zu erfahren. Heimat als Gemeinschaft von Menschen, denen gegenüber man sich nicht rechtfertigen muß, sondern die eines Geistes und Sinnes ist. Das gilt selbst für Veränderungen innerhalb eines scheinbar einigen Sprachraums. Als Sohn einer nach Österreich (unfreiwillig) zugewanderten Schlesierin, der selbst nie Heimat erfahren hat, weiß der VdZ sehr genau, wovon er spricht. Österreich ist ihm immer fremd geblieben, und genau so war er seinen Menschen immer fremd, obwohl er sogar schon hier geboren ist. Es war ein Schock festzustellen, daß seine eigenen Kinder (damit: 3. Generation) aber bereits hier weitgehend Wurzeln zu schlagen begannen. Erkennbar daran, daß auch sie ihm fremd waren. Und doch blieb auch ihnen immer noch ein (fast "mendelartig" unterschiedlich intensiv ausgeprägter) Rest von Fremdheit auch Österreich gegenüber, den auch sie zeigten.

Was Heimat sein kann erfuhr der VdZ zufällig: Als er feststellte, daß er immer wieder Menschen traf, mit denen er sich auf unerklärliche Weise "verstand". Man sprach vom selben, wenn man miteinander redete, man meinte dasselbe, wenn man miteinander umging. Und selbst bei oft haarsträubend auseinanderklaffenden Weltsichten - eine unerklärliche Einheit blieb. Ein Streit durchschlug nie diesen unerklärlichen Boden, auf dem beide offenbar standen. Bis sich für beide und immer überraschend herausstellte, daß sie ... von Schlesiern abstammten. 

Der Literaturwissenschaftler Josef Nadler hatte völlig Recht, als er vor 70 Jahren schrieb, daß auch dieses "geeinte" Deutschland ein "stämmisches Gefüge" habe. Das hat auch der VdZ erst nach langen Jahren begriffen, was das wirklich heißt.

Nur wenn man diese Fremdheit kennt, wenn man Heimat kennt (was man erst tut, wenn man sie verliert) - wenn man es schon von der Vernunft her nicht akzeptieren will, so wenigstens erfahren hat - weiß man, was für tiefe Probleme mit Migranten noch auf uns zukommen. Dann begreift man auch, mit welchen Problemen die Zuwanderer selbst konfrontiert sind oder sein werden, selbst wenn sie das noch nicht wissen. Und reagiert mit Zähneknirschen zu sehen, wie hartnäckig die Politik diese fundamentale Wirklichkeit ignoriert, und deshalb nicht in Vorausschau reagiert. Das ist deshalb fast selbstmörderisch, weil wir mit substantiellen Problemen konfrontiert werden, die wir dann nicht "erklären" werden können.




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