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Freitag, 18. September 2015

Kolberg - Aussage über die Gegenwart (1)

(Hinweis: Wenn der geneigte Leser den Film Kolberg, um den es hier geht, noch VOR den Konnotationen des VdZ sehen möchte, um sich zuerst ein unberührtes Urteil zu bilden, der möge noch zwei Tage warten - und dann, in NACHbetrachtung, diese Bemerkungen lesen.)

Ein ganz selten gezeigter Film ist der 1945 trotz größter Kriegsnot mit bis dahin im Film nie gesehenem Aufwand produzierte Kolberg unter der Regie von Veit Harlan, mit dem wie meist großartigen Heinrich George. Schon rein technisch war der Film für die damalige Zeit herausragend, in Cinemascope-Breitleinwand, natürlich in Farbe, mit tausenden Komparsen und Kostümen, und mit nahezu allem, was der deutsche Film an Stars aufzubieten hatte. Großartige Schauspielkunst, handwerklich feinste Arbeit in jeder Hinsicht, kann man ihm deshalb nicht absprechen.

Er wird aber trotzdem kaum einmal gezeigt, als hätte man Angst davor. Und das liegt sicher nicht an der im Fortlauf immer schwächeren Dramaturgie, der man anmerkt, daß sie sehr bemüht Parallelen zum aktuellen Kriegsgeschehen zu ziehen versuchte. Die Bilder des zerstörten Kolberg wirken wie Aufnahmen aus zerbombten Städten, die Botschaft ist klar: Irgendwann wird der Feind einsehen, daß man durch Zerstörung des Lebensraumes das Volk nciht beugen kann, irgendwann wird er einsehen, daß man damit Grenzen überschreitet, irgendwann wird beim Feind wieder Menschlichkeit (sic!) einziehen, so wie bei Napoleon damals. Daß so ein Denken in der deutschen Führung tatsächlich existierte, ist belegt.

Und jetzt kommt's: Genau das, was man dem Film anlastet, sagt er gar nicht aus! Ja, gewiß, explizit wird davon gequasselt, noch und noch. Aber die wirkliche Aussage ist eine ganz andere, und die ist es, die in den Tiefen des Zuschauers wirkt. Man findet nämlich in Kolberg KEINE VERNÜNFTIGE LÖSUNG mehr. Es gibt sie nicht mehr. Die Peripetie- das Einlenken Napoleons - wirkt regelrecht herbeigeschustert. Und das, bitte schön, das WAGTE das Naziregime seinen Bürgern zu erzählen! Es sah keine (vernünftige, sich aus dem Handeln ergebende) Lösung mehr! Genau das wird in Kolberg eingestanden. Man hat offenbar (weil man selber so war und handelte, also: die Wirklichkeit verkannte) nur noch die Macht des Wortes, der Pseudologie (das Wirkfeld der Propaganda) gesehen, nicht mehr die wirkliche Aussage, die im viel tieferliegenderen, nicht direkt Sichtbaren der Gestaltengefüge liegt. Kolbergs Wirkung muß also ... ENTMUTIGEND gewesen sein, NICHT auferbauend, wie Goebbels sicher dachte. Seine Botschaft ist nämlich - Verzweiflung.

Der Gnadenakt Napoleons, der die Stadt (nein, seine Bewohner, von der Stadt ist nur noch wenig übrig) schließlich rettete, ist dramaturgisch nicht motiviert (dabei wäre das gar nicht so schwer gewesen; war es der Zeitdruck, der hier so schludern ließ?), er wird nur behauptet. Und das ist die künstlerisch größte Schwäche von Kolberg, weshalb der Schlußteil des Films regelrecht in unmotivierte Einzelaussagen zauseinanderfällt. Selbst Heinrich George verliert sich dann in isolierte Einzelmomente. Solche dramaturgischen Löcher kann kein Schauspieler der Welt mehr organisch füllen. Denn ein Schauspieler kann nur Orte im Vernunftgefüge stellvertretend darstellen, freihalten gewissermaßen, und damit aufzeigen. Er kann fehlende Stringenz nicht ersetzen. Damit nimmt man aber dem Film sowieso jede (beabsichtigte) Wirkung. Er war ehrgeizig, bemüht, absichtsvoll, aber er erfüllt diese Absicht nicht.

Aber abgesehen davon: Geht man solchen Schwächen des Hinbiegens von Handlungen und Dramaturgien nach, müßte man drei Viertel bis neun Zehntel des gegenwärtigen Filmkonsums in die Tischlade packen. Wir merken sie nur kaum, weil wir daran gewöhnt und in dieses Aktuelle verwoben sind. Auf diesen Ebenen ist es für einen Betrachter immer sehr schwer zu unterscheiden, wo welche seelisch-geistigen Schichten angesprochen werden, wo Kunst aufhört, und Agitation beginnt. Solche Lücken werden für gewöhnlich, und wenn genug Budget vorhanden ist, mit interessantem Einzelschnickschnack, etwa "Action", Beeindruckung gefüllt. Das ist im Zwischenmenschlichen ja oft nicht anders, wenn jemand merkt, daß er seine Selbsterzählung nicht kontingent weiterführen kann.

Der VdZ hat sowieso den Eindruck, daß der Mißbrauch der Metiers der Kunst für politische oder moralische Anliegen bereits zur allgemeinen Anforderung wurde, und die beteiligten Künstler spielen meist erschreckend mit, ja merken gar nicht mehr, daß sie längst nur noch agitieren, nicht mehr das das Sein destillierende, damit zur Poesie freilegende Spiel der Form treiben. Aber lassen wir das, Künstler sind eben extrem polar: hier anpassungssüchtig weil beeindruckbar und schwach bis zur Charakterlosigkeit, dort unlösbar getrieben vom Sein, vor dessen Antlitz sie schauend stehen, ohne Rückzugsmöglichkeit in die Konventionen einer Weltfigur. Eine Spannung, die viele zerreißt.

Und dennoch zeigt man mit dem Finger auf jene Künstler, die an solchen Produktionen mitgemacht haben? Ist das nicht grotesk? Künstler haben doch nur ihr Material, ihre Arbeit um überhaupt zu sein, und sein heißt: wirken, aktiv sein? Da zählt nur die Wahrheit der Figur, des Kostüms, der Charakterzeichnung, der Kameraeinstellung, nicht das, was Politik damit dann anstellt.* Denn soviel doch noch, weil es Kolberg betrifft: Politlenkung ist das letzte, was man fernen Regimen und Zeiten vorwerfen darf, um zugleich zu behaupten, man wäre heute frei davon. Die Kunst war kaum je agitativer als heute. Und schon sind wir in der Aussage dieses Beitrags.

Denn vielmehr hat der VdZ einen Verdacht über die Gründe, warum solche Filme wie stachelige Früchte behandelt werden. Vielleicht hat man nämlich genau diese Angst: Daß die Menschen die vorhandenen Parallelen zur Gegenwart entdecken? Die Parallelen zu heute allgemein gewordenen, ja sogar für "gut" und "demokratisch" erklärten Haltungen?

Denn das inhaltlich Interessanteste an dem Film, und was ihn so aktuell macht, ist etwas ganz anderes: In ihm kommt der LINKS-REVOLUTIONÄRE Charakter des Nationalsozialismus ganz deutlich zum Vorschein. Hier zeigt sich sogar das Angesicht der "Demokratie", wie sie heute interpretiert wird. Hitler-Deutschland - es wurde hier schon mehrfach darauf hingewiesen - war der moderne Staat par excellence, und er war wegweisend für unsere Gegenwart.



Teil 2) Nun Volk steh auf. Heute.





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