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Dienstag, 22. September 2015

Verhindertes Selbstbegreifen

Der Sprache Sprache geben, schreibt Heidegger einmal, eine der wichtigsten Aufgaben des Menschen. Das offiziell angeordnete Gegenteil passiert heute durch die Gender-Sprache. Es nimmt bereits erschreckende Dimensionen an. So wurden in der Stadt Dürrheim in Baden-Württemberg in Deutschland 3.200 Bücher von den Verantwortlichen aus der Stadtbibliothek enfernt und vernichtet. Grund: Sie sind nicht in politisch korrekter Sprache verfaßt, oder entsprechen in der Wortwahl nicht den ideologischen Anforderungen. Weil z. B. das Wort Neger vorkommt. So berichtet es Roland Tichy in seinem Blog.

Diese Vernichtung der Vergangenheit - aus Deutschlands jüngster Geschichte, in Hitlerdeutschland wie in der DDR, nicht unbekannt - geht noch einen Schritt weiter, als es der Genderwahn ohnehin bereits tut - er macht die Wurzeln unseres Daseins, unseres Denkens, unseres Sprechens unzugänglich, und will damit ein Selbstbegreifen - Grundlage der Freiheit - für spätere Zeiten verhindern.

So werden Menschen, nächste Generationen, ja unsere Zukunft unfrei gemacht. Damit wird der tragende Boden einer Kultur - Sprache, und die in ihr wesende Vernunft - unweigerlich ausgetrocknet. Jede Entwicklung kommt zum Stillstand. Ist das "Durchforsten" von Kinderbüchern, das bereinigen politisch unerwünschter Wörter und Stellen, bei Neuauflagen auch ältester und traditionsreichster Werke schon seit Jahren üblich, so geht diese Vorgangsweise noch einen deutlichen Schritt weiter.

Und es ist sicher nur eine Ausnahme, daß so ein Fall öffentlich bekannt wird. In den allermeisten Fällen laufen solche totalitären Umerziehungsmaßnahmen ganz selbstverständlich als Bestandserneuerungen oder -anpassungen in zahllosen weiteren Bibliotheken ab. Und wenn Eltern ihren Kindern Bücher kaufen, die sie selbst auch einmal gerne gelesen haben, denkt wohl kaum jemand daran, daß es sich gar nicht mehr um die Originalbücher, sondern um politisch-ideologisch weißgewaschene Machwerke als Teil eines umfassenden Umerziehungsprogramms handelt, das seine wesentliche Aufgabe darin sieht, alle lebendigen Verbindungen zur Vergangenheit abzuschneiden.

Wir haben -  man muß es ansprechen - etwa im Islam ein Beispiel was passiert, wenn das Denken, das Sprechen der Vergangenheit vernichtet, der Zugang zu ihr durch Vernichtung der Zeugnissse der Vergangenheit abgeschnitten wird. Nur wenn man um diese Zäsuren weiß - auch dort gab es im 9. und 10. Jhd. konzentrierte Verbrennungen aller nicht kanonisierten Schriften, setzte konzentrierte Verfolgung des "Götzendienstes der Vergangenheit" ein, um jede Genese der Religion und des Koran bewußt ins Dunkel zu hüllen, die nunmehr kanonisierte Form aber umso unumstößlicher zu machen - kann man ihn in seinen oft so schrecklichen Formen heute erkennen. Damit wurde die Möglichkeit eines wahren Selbstverständnisses dieser Religion bewußt und für alle Zeiten unterbunden, die Möglichkeit einer Durchdringung mit Vernunft ein für allemal ausgeschlossen. Selbst wenn heute viel noch rekonstruierbar scheint, so bleibt alles Forschen Indiziensammlung. Die wirklichen Wurzeln des Islam bleiben wohl für immer im Dunklen. Denn alles, was wir heute über den Islam aus der Überlieferung wissen, ist von diesem seit dieser Zeit selbst geschaffene, hermetisch und unhinterfragbar gemachte Selbsterfindung. Oder meint mancher Leser wirklich, daß die systematische Vernichtung historischer (nicht-islamischer) Kulturgüter durch die IS Zufall und nicht die Angst vor der Kraft der Vernunft ist? Sie können sich mit den Genderbefleißigten gleich mal die Hand geben.

Aber was passiert heute, mit der europäischen, der deutschen Kultur? Auch hier wird die Vergangenheit nicht nur dämonisiert, sondern ausgelöscht.* Denn es ist die Sprache, die die geistige Landschaft - als Speichermedium höhere bzw. tiefere humane Weisheit, die jedes zeitgenössische Flackern überstehen würde - eines Sprach- und damit Kulturraumes sammelt und weitergibt. Die willkürliche Veränderung der Sprache kann nur als Verbrechen am Geist bezeichnet werden, die Folgen sind dramatisch und um Dimensionen größer, als sich die Spatzengehirne der Gegenwart vorstellen können. (Weißgerber zieht im Fall der Zerstörung der Muttersprache durch die offiziell verordnete Sprache, die Linien bis zu einem unausbleiblichen, zwangsweise unbewußt bleibenden, aber umso brutaleren, weil ontologisch befeuerten Konflikt Staat vs. Volk. Mit anderen Worten: Die Laternenmasten werden nicht ausreichen ...)

Aber immerhin ist davon auszugehen, so Tichy ironisch, daß diese Büchervernichtung ökologisch einwandfrei und CO2-neutral in einer Anlage passierte, die nach dem Gesetz für Erneuerbare Energien subventioniert und betrieben wird. Denn dann ist ja alles wieder im Lot.


FAHRENHEIT 451 - Ein Film (1966) von Francois Truffault





*Der VdZ rechnet schon seit vielen Jahren mit solchen Auswüchsen, in denen er öffentlichen Bibliotheken - abgesehen vom schwierigen Zugang - gleichermaßen nicht nachhaltig genug traut. Auch wenn seine finanziellen Mittel sehr beschränkt sind, so ist das Bemühen, unsere Kultur wenigstens rekonstruierbar zu halten (wozu man sie zuerst einmal ja verstehen muß), wesentliches Motiv für den immer weiteren Ausbau seiner Bibliothek, vorwiegend aus antiquarischen Beständen. Aber man müßte diesen Rat gleichermaßen jeder Familie geben: sich einen Arzneischrank einzurichten, der die Medizin für schwerste Erkrankungen des Geistes enthält, auf die wir unaufhaltsam zusteuern. Fahrenheit 451 (mit Oscar Werner in der Hauptrolle) war das, was Kunst eben kann weil ist: aus der Gegenwart, deren Erbsen unter allen Matratzen der Künstler spürt, erahnen, was auf uns zukommt. Zum Feind des Totalitarismus wird, wer die eigene Vergangenheit noch lebendig (weil nur so Gegenwart) hat und damit wie ein Virus, der jederzeit ausbrechen kann, weiterträgt. Der Witz dabei ist, daß dieselbe totalitäre Richtung, die das im Film Gezeigte bewirkt, eben diesen Film als Argument für ihren Totalitarismus benützt. Das geht, man muß ihn nur ein wenig umdeuten, und das vergegenständlichte Feindbild verabsolutieren.




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