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Donnerstag, 18. August 2016

Deutschlands Legitimitätsproblem

Als man dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone für ein neues, geeintes Deutschland anbot, lehnte dieser ab. Er tat es mit der Begründung, daß sich die Legitimität eines Reiches nicht "von unten her" ergeben könne. Dies würde der ewigen Seinsordnung widersprechen. Zu diesem Schritt brauchte es einen (naja, soll man sagen: schwächlichen?) Charakter wie seinen Sohn, der wie Bismarck von der Funktionalität als Weltprinzip ausging.

Die meisten, wenn nicht alle politischen Probleme, die man heute feststellt, hängen direkt oder indirekt mit den Legitimitätsproblemen der Staatsführungen zusammen. auch ein Volk kann sich seine Herrschaft nicht selbst bestimmen, das ist ein Grundirrtum einer Form der Demokratie, die sich als autonome Quelle der Macht sieht. Solche Demokratien tragen deshalb ihr Ablaufdatum aufgeprägt, denn ihre Entwicklung führt zwangsläufig zur Legitimitätsfrage der Macht, ja der Staatsverfaßtheit. Ein solches Volk wird innerlich selbstunsicher, denn es begreift sehr gut, daß der Staat, in dem es sich eingefunden hat, keine Gründung im Absoluten trägt.

Das Gesagte reicht also tatsächlich als Klassifizierungsschema für alle Staaten, nicht nur die Europas. Und erhellt sogar das relativ leichte Spiel, das die Linke hat, die Rechte als "böse" zu klassifizieren - denn die Rechte ahnt um die Problematik, findet aber keinen Weg. Nur jene Staaten und Völker stehen auch heute fest auf Fundamenten einer Identität, die ihren Daseinsgrund in einem göttlichen Beschluß verankert wissen bzw. glauben. Und dieser Grund sind die Mythen. Es sind die religiösen Wurzeln, die ein Volk und seinen Staat gründen und halten. Staaten und Völker leben aus diesen Mythen, auf der Ableitung ihres Selbstseins "nicht von dieser Welt". Denn nur von dort her ergibt sich ihr allem Selbstsein zugrundeliegender Sinn (logos), als aufgetragene Beziehungsdynamik wie -richtung zu Welt und Nachbarn.

Das macht Entwicklungen in Ländern wie Ungarn oder der Türkei so interessant. Sie stützen nämlich diese These. Die Türkei in ihrer (vorsichtigen) Abwendung von Atatürk, der eine solche Auflösung von Legitimität in Funktion versuchte - von der sich die Türken aber weitgehend wieder abwenden, um sich neu auf ihre mythische (religiöse) Fundierung zu berufen. Die Ungarn in der Rolle der Krone, die nach wie vor von entscheidender Bedeutung für den Selbstbehauptungswillen dieses Volkes ist. Gleichermaßen zeigt sich diese Frage in Frankreich in ihrer Bedeutung. Umgekehrt zeigen jene Länder die stärksten Auflösungserscheinungen (Italien!), wozu auch die Solidarität mit dem Staat gehört, die wie Deutschland eine weltimmanente, konstruierte Legitimität behaupten. Wenn es in Deutschland nicht ganz so "schlimm" scheint dann deshalb, weil sein Staatsvolk von sehr alten Prägungen zehrt, also in der Realität ganz anders "handelt", als es selber meint zu handeln. Sehr offen bricht diese Frage übrigens auch in Rußland auf, wo die Kirche ihre entscheidende Rolle begreift, und die Politik darum weiß. Ein dem deutschen sehr ähnliches Problem hat Spanien, das seinen Gesamtstaat nie legitimieren konnte.

In jedem Fall finden sich hier auch die Bestätigung dessen, daß man tatsächlich von einem Auseinanderfallen der Völker IN SICH und in je zwei Hälften sprechen kann: In Legitimitätssucher und in Legitimitätsbehaupter und -konstrukteure. In Grund- und Hausverstand hier, in Rationalismus dort. Die Position der heutigen Politik darin ist klar: Sie kann kaum anders zu liegen kommen als im Lager der Letzteren, hat also zwangsläufig das Volk (in ersterem Sinn) gegen sich.

Die (Identitäts-)Schwäche Deutschlands - die sich aus den einzigen Quellen zu konsolidieren sucht, die es hat, und die sind ... volksstämmischer Natur - gründet also im erst willentlich, später fahrlässig übersehenen Legitimitätsgrund des Staates. Die man bestenfalls über Eigenschaften zu konstruieren sucht, was oder wie denn ein Deutscher sei. Worin es aber scheitern muß. "Den Deutschen" gibt es genau so wenig (oder viel) wie "den Europäer". Es hat seine Identitätsfrage so lange nicht gelöst, als es seine Legitimitätsfrage aus Gott gelöst hat, und damit fällt es sofort auf seine stämmische Struktur zurück, die eigentlichen Orte "deutscher" Kultur.*

Aus der positivistisch-illegitim gelösten Gründungsproblematik heraus bzw. in dieser Linie hat sich Deutschland historisch (spätestens seit dem mittleren 19. Jhd.) auf technische Ablaufoptimierung (in allen Bereichen) gestürzt. Seine Stellung als Staat ergibt sich damit zufällig und aus dieser technischen Lösekraft. In der es sich aber selbst zum Erfüllungsgehilfen des Zufalls macht, dem aus denselben Problemverquickungen nur noch der Protestantismus (als "Moral") als Maß und Richtlinie zur Verfügung steht. Als ebenfalls in technische Richtlinien umgebrochene (weil fehlende) Ersatz-Ontologie. Der Bismarck'sche "Föderalismus", der genau das durch die (heimliche) Umdeutung von "Reich" verdecken sollte (als "Staat ohne Volk"), war ja kaum mehr als ein Feigenblatt. Nicht zufällig ist in der deutschsprachigen Philosophie die Frage nach dem Sein so mächtig aufgebrochen, die sich mit dem gleichfalls so "deutschen" Seinspositivismus (Hegel, Nietzsche, Schopenhauer) zu rittern hatte. Sie ist die Frage, die der (präformativ "hergestellten" äußeren) Ordnung (Ordnung - wonach?) ja vorausliegt. Und eiderdautz - auf die Frage, was den "Deutschen" denn kennzeichne, ist zumindest auch "Ordnungsstreben", ja "Ordnungsfanatismus" zu hören.

Eine schöngelogene Form des Zentralismus ist der Reichs-Föderalismus in unseren Ländern bis zum heutigen Tag. Er wurde sofort nach der erzwungenen Einigung" 1871 zum preußischen Zentralstaat. Der im Hitlerismus kulminierte, aber bis heute ungelöst ist. (Weshalb die Angst vor einem Wideraufkeimen des Hitlerismus durchaus ein fundamentum in re hat: man fürchtet sich nicht ganz zu Unrecht, aber unbewußt, vor den selbst wachgerufenen Dämonen.) Der VdZ glaubt an Bayern, Sachsen, Thüringer, Alemannen, Franken etc. als Bausteine eines möglichen Reiches, aber nicht an "die Deutschen" oder das konkrete heutige "Deutschland".

Wenn man derzeit davon spricht, daß die Völker das Vertrauen in ihre Eliten verloren haben, so hat das dieselben Ursachen. Denn das Problem der Legitimität wurde zum europäischen Kulturproblem allerersten, entscheidenden Ranges. Damit fehlt natürlich allen Eliten, dem Establishment die Legitimation. Die neu eingeführten Elitekriterien sind nur Versuche (die nur eine Zeit funktionierten: so lange sie sich auf alte Kriterien beriefen, was mit der Zeit natürlich verdunstet) die Legitimität neu zu definieren - und sie tut es generell über "Funktionalitäten".² Sie sind in jedem Fall Usurpatoren, Konkursverwalter, wie es hier schon mehrmals ausgeführt wurde. Deshalb bleiben nur noch technische Kriterien und Ablaufoptimierungen, wie sie das Leben gerade einmal und zufällig aktuell aufstößt. Wo dieser Nebel aufreißt, in den die Legimationsfrage der Macht gehüllt (weil nie gelöst) wurde, an denen die Menschen ihr Verhältnis zur Macht festmachen.**

Also wird die Politik nach irgendwelchen Kriterien der "Fähigkeiten" bewertet. Ohne zu sehen, daß sich jedes Tun (und damit auch jede Fähigkeit) aus dem Standort - also aus der Identität! - erst ergibt. Wenn das nicht geklärt wird, zerfällt das gesellschaftliche Leben in immer mehr Kleinteile und Kleinaufgaben, eine Staatseinheit ist schließlich gar nicht mehr herstellbar.

Wer die "Parteien der Neuen Rechten" ansieht, wird bestätigen, daß diese die bessere "technische" Alternative zu sein verkünden. Das macht sie (wie in ganz Europa) über weite Strecken auch "links". Aber dieser Grundansatz ist falsch. Sie können das Legitimitätsproblem Deutschlands nicht lösen, das allen anderen Problemen zugrundeliegt. Und richten sich deshalb (wie alle anderen) auf ein Gewand, das ein Nebelgespinst ist. In das sie sich heillos verstricken werden, weil auch sie die Mitte - den logos des Volkes (bzw. in Deutschland: der Völker) - nicht finden. Weil sie sich auf ein Deutschland ausrichten, das als Staat und Macht ein grundsätzliches und ungelöstes Legitimitätsproblem hat.




*Nicht zuletzt England hat seit der Gründung auf sich selbst (in den Revolutionen und Reformationen, ja schon beginnend mit der Revolution der "Magna Charta") ein ungelöstes Legitimitätsproblem, das nur notdürftig durch "mythisch legitimierte Herrscher" (die es aus deutschen Königreichen holte) geklittert wurde. Auch hier konnte sich deshalb Macht nur über gesuchte Auseinandersetzung über Durchsetzungsfragen in der Welt - qua negativer Abgrenzung gewissermaßen - halten. Mit einem gleichzeitigen Konfliktproblem mit den legitimen europäischen Staaten des Festlands. Ja, letztlich gründet sogar der Irlandkonflikt dort. In den USA fiel England dieses Problem sogar auf den Kopf, denn die USA verdanken sich dem Aufgreifen dieses Illegitimität, mit der das Mutterland kämpfte. Das genau diese Konstellation in seiner Philosophie darstellte, die es dann auf den Kontinent und in die Welt trug. Wo es diese englische Philosophie war, die die Zerfallsprozesse anstieß.

²Hinter der Definition eines gesellschaftlichen Organismus als Zueinander von "Talenten", die Definition von "Talent" (als Fertigkeit) als Ausgangspunkt (ja sogar "Anspruch") von Hierarchien weil "Lebensposition" (Ort) baut ja in Wahrheit auf dem revolutionären (und irrtumskranken) Weltbild des Materialismus auf. In dem sich das Sein aus dem Handeln ergeben soll. Es ist aber genau umgekehrt. Eine solche Legitimationsbehauptung kann deshalb nie von Dauer sein, weil sie in Wahrheit Selbstlegitimierung ist. Und die ist keinem Menschen - mit vollem Recht - möglich udn damit befriedigend, stürzt ihn deshalb in tiefe und dauernde Unruhe. Sie ist darin die Perversion des logos. Es ist also kein Zufall, ganz und gar nicht, daß die Frage nach dem "Talent" die Erziehung in einer Zeit dominiert, in der das Vertrauen in die Funktionalität (bzw. die Eliten) zusammenbricht. Es ist die Frage nach Legitimität für Ort und Identität.

**Das alles gilt natürlich in  noch viel größerem Ausmaß von übernationalen Verbindungen wie der EU.




*030716*