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Donnerstag, 11. August 2016

Erdogan und Krenn, oder: Die Saga vom großen Meister

(Erste Bestandsaufnahme) Je intensiver sich der VdZ mit Recep Tayyip Erdogan befaßt, desto mehr kommt er zum Schluß, daß ihm da Grundzüge entgegentreten, die ihm von ganz erstaunlichem anderne Ort her bekannt sind: Die Parallelen zwischen Erdogan und Bischof Krenn - Gott hab ihn selig -, den der VdZ aus nächster Nähe kannte, sind auffällig.

Es hat mit dem System, der Art zu tun, wie sie herrschen - und das ist nämlich irrational, rein subjektiv, momentbezogen, und bedient sich der Rationalität nur, folgt aber nicht der Vernunft, bedient sich aber geschickt einer Scheinvernunft. Denn Vernunft, gemessenes, strategisch abgestimmtes Handeln würde charakterliche, ja tugendbezogene Konstitution verlangen. Diese fehtl diesen Leuten aber, wenn auch in unterschiedlichen Tönen.

Sie widmen sich deshalb umso mehr ihrem Ruf, ihrem Bild im Außen. Das müssen sie, denn aus innerer Gesetzlichkeit heraus würden sie nicht bestehen können, zumindest fürchten sie das. Beide haben nämlich unter starkem eigenen Wollen ihre Position erreicht.

Sie umgeben sich deshalb mit Entourage (oder: ziehen solche Anhänger an), die wenig bis keine Angepreßtheiten an die Wirklichkeit, noch weniger schöpferische Erfahrung und Verantwortung kennen und die vor allem eines eint: Die Geschmeicheltheit, der Macht so nahe zu sein, ja hinter ihre Kulissen blicken zu dürfen, auf daß endlich ihre Leben aufgewertet werde. Um allen anderen, ihrer ganzen bisherigen Umgebung, endlos überlegen zu sein, also: selbst aufgewertet zu sein. Endlich. Eine Entourage, die sehr leicht zu täuschen ist.

Die deshalb dem großen Meister bewundernd zugetan sind, der diese ferne Macht inne hat - und an dieser sie durch Liebdienerei Teil zu haben meinen, weil sie eben in die Nähe dieses großen Mannes gelangt sind, ja, die ihnen dieser so überraschend gewährt. Denn der Meister holt sich solche Leute sogar.

(Man spricht ja auch bei Erdogan längst davon, daß er sich nur noch mit Leuten umgibt, die ihm unkritisch huldigen. Die größte Gefahr einer Führung, denn darin liegt die Gewähr auf völligen Realitätsverlust, was ihre Nervosität, ihre Impulsivität im Umgang mit Kritik noch stärker macht, sodaß sie gerne überreagieren. Ebenso entstammt daraus die Neigung, die Welt durch ständiges "großes" Handeln zu überrennen, auf daß sich diese kaum zu sammeln vermag.)

Diese Entourage sieht sich durch die Nähe zur Macht aufgewertet, und damit wird sie zu eifrigen Verteidigern, vor allem aber Erklärern ihres Meister, egal was da kommt. Daß diese gar keine Strategie haben, daß diese irrational nach Tagesaktualität vorgehen, sich häufig widersprechen, eigentlich nur so irgendwie ihre Macht zelebrieren, taucht in den Nimbus der großen Führungskunst ein, mit dem sich diese Männer gerne umgeben (und davon umgeben lassen) und natürlich, weil ja klar ist: sie wissen Dinge, die die anderen nicht wissen, haben Überblick, den der einfache Mensch nicht hat, in welchen Nimbus sie alles tauchen. Denn alles können sie natürlich nicht sagen.

Männer? Auch Frauen sind darunter, auch Merkel ist für den VdZ immer klarer als dieses Typus erkennbar, der sich natürlich in manchen Spielarten darstellt. Aber diese Männer spielen gerne mit diesem Nimbus, machen im internen Kreis gerne Ankündigungen, verkünden Pläne, erklären - ganz im Vertrauen -, wie kompliziert alles ist, und doch durchschauen sie es, lassen jovial aber das eine oder andere interne Detail fallen. Ihre Irrationalität wird immer mehr zum "Über-Wissen", ihre Gefolgschaft zur Gemeinschaft der bedingungslos Gläubigen.

Ihre Jünger nicken nur noch begeistert und mit roten Ohren, ihren Meister, der natürlich immer knapp mit der Zeit ist weil so viel zu tun hat, und dabei doch immer wieder so erstaunlich viel Zeit hat, mit allen Mittel zu verteidigen mehr bereit denn je.

Die alle vor allem eines auszeichnet, ja mit dem Meister verbindet: Sie sind bisher zu-kurz-Gekommene, entstammen NICHT dem Establishment, das ihr Meister sogar zu bekämpfen vorgibt, das dieser bestenfalls (und angeblich) soweit eben berücksichtigt, als es gerade noch aus Klugheit nötig erscheint. Denn immerhin, sind sie ja selbst Emporgekommene.

Und niemand braucht den Beifall des Establishments dabei so sehr, wie Emporkömmlinge! Niemand ist so schlecht geeignet, um zu reformieren! Ja, oft ist es, als wäre bei niemandem der Fokus so sehr darauf gerichtet, dem bisherigen Establishment zu gefallen, so gut man das auch zu verbergen sucht. Sie reagieren deshalb gerne äußerst gereizt, wenn dieses Establishment sie nicht anerkennt. Dann werden sie sogar wirklich da und dort zu jenen Revolutionären, die zu sein sie ursprünglich vorgaben.

Oh ja, denn nun kommen sie, die Jünger, und deuten der Welt an, daß sie in das komplizierte Räderwerk Einblick haben (der andere freilich nicht), und knüpfen fleißig an diesem Netz des Irrationalen weiter, das natürlich für alles eine Erklärung bereit hat. Denn das Amt ist ja so kompliziert, die Lage ist so verflochten, die Führungsaufgabe so komplex - die durchschaut ein einfacher Max von der Straße nicht, zu dem jeder wird, der nicht ihrer Vertrautlichkeitssphäre zugehört. Also wird auch in den größten Unsinn und Widerspruch noch hineingedeutet, daß die Zuckergläser bersten. Es sei nicht verständlich? Na das sei nur, weil eben der andere nicht jenen Einblick habe, dessen man sich selber erfreue. So bauen sie sogar zweite, dritte Kreise um sich, die alle nach demselben Schema funktionieren. Und oft genug befinden sich darin auch Vertreter von Medien.

Erdogan ist gewiß tatkräftiger als Bischof Krenn, das verlangt schon sein Amt, das anders als bei Krenn nicht gewisermaßen dogmatisch abgesichert ist, sodaß jeder Krtiker mit dem Gefühl des drohenden Heilsverlusts zu kämpfen hat. Wenngleich Erdogan auch daran arbeitet, denn auf Dauer ist Opposition, die wirklich etwas bewirken könnte, lästig und gefährlich. Ein Bischof muß das ja nicht - oder: so gut wie nicht - fürchten. Darin aber, in dieser in die Sphäre des Heiligen, Großen eingetunkte Dogmatisierung ihrer Position, kommen sie sich wiederum so nahe wie nie. Erdogan brauht den Islam, und vielleicht ist der Islam überhaupt nur so verstehbar, hat sich nur deshalb so stark ausgebreitet, weil er sich so hervorragend und von Anbeginn an als sehr taugliches Instrument gerade irrationaler, rein machtbezogener Herrschaft eignete.

Daß die Pläne solcher Herrscher, ihre Erklärungsmodelle bestenfalls den Rang von zufälligen, manchmal regelrecht situationsgeborenen, einfach gutklingenden Traumtänzereien haben, ist ihrer Entourage natürlich nicht klar. Woher denn auch, denn sie kennen ja das Thema Führung und Verantwortung nur aus Vorstellungen. 

Und darum haben solche Leute immer dieselbe Art von Entourage. Wobei oft durchaus kluge Köpfe, Fachleute auf gewissen Gebieten oft, nicht selten aber wirklichkeitsfern wie der Meister, dabei sind.

Die sich natürlich in einem Punkt vollkommen täuscht - sie wird nämlich nicht geschätzt, sondern verachtet. Sie sind deshalb auch die ersten Opfer, wenn es um momentane Nützlichkeiten geht, denen sie im Wege stehen, ja sie sind gesuchte Opfer, als Ausweichraum, weil ein Handeln nach Außen nicht möglich oder gescheut wird, die noch dazu meist ihre Treue mit ins Grab nehmen. Solche Männer behandlen ihre engste Entrourage am schlechtesten und treulosesten, und diese nimmt es noch dazu opferbereit entgegen, denn SIE hat ja Einblick und Verständnis für die Komplexheit des Regierens, der der andere zu folgen hat.

Deshalb ist es regelrecht müßig darüber nachzudenken, was Erdogan nun mit seinem Putin-Besuch vorhat. Der ist so augenblicksgeboren wie überhaupt alles, was er macht, und alles kann sich von heute auf morgen ändern, auf der Ebene der Strategie ist er nur insoweit zu denken, als das Verhältnis dieser beiden Ländern strategisch enorme Bedeutung hat, immer hatte, und auch weiter haben wird - Erdogan BERÜHRT also strategische Ephemeriden, rührt in deren Wirkkräften um, aber er gestaltet sie nicht. (Wenn manche Zeitungen schreiben, daß beide eines Wasser seien, so irren sie auch darin. Zwar kennt der VdZ keinen der beiden persönlich, aber er ist völlig sicher, daß ihre Charaktere unterschiedlicher kaum sein könnten.)

Erst war es mal die Opposition gegen Rußland, nun ist es die Kooperation. Weil es sich eben so ergab, weil gerade ein andere "Ziel" (die Ausweitung der Macht im Nahen Osten) vordergründig war. Dieses Ziel muß Erdogan weitgehend aufgeben, es wird ihm icht viel von seinem ursprünglichen Syrien-Engagement bleiben. (Und Erdogan hat schon lange vor den Ereignissenin Syrien von einem Eingreifen dort geträumt, wie Berichte belegen.) EU-Beitritt? Recht sicher ist Erdogan daran gar nicht interessiert. Nicht als Ziel umfassender, kohärenter strategischer Vernunft. Die Idee hat ihm genützt, ja, denn viele Türken wollen am europäischen Lebensstandard teilhaben, wollen die westliche Lebensweise, wollen dazugehören. Also spielt er gelegentlich damit. Noch mehr wollen ja andere Gruppen der Türkei der EU ihre Überlegenheit beweisen, wenn schon nicht auf deren angestammten Gebieten (weil man dort chancenlos ist), dann eben auf anderen Gebieten - wie dem der Moral, der Religiosität. Wenn es also dazu kommt - gut, dann wird eine EU-Mitgliedschaft benützt, so wie alles andere (auch die Jünger) benützt werden.

Viel wichtiger ist dabei der Aspekt des Selbstbewußtseins, des Respekts, den Erdogan erwartet. Da schmeichelt der Besuch des Papstes nicht wenger als der eines amerikanischen Präsidenten. Und in großmütiger Geste leistet man sich schon das eine oder andere Entgegenkommen. Und schlimmstenfalls kann man mit dem Austritt aus der NATO oder einer doch wieder christenfeindichen Politik - oder mit Flüchtlingsweiterschiebungen - drohen, und schon spürt man sich durch die Reaktion der anderen wieder. Deshalb muß auch jede westliche, traditionelle Diplomatie scheitern, denn gerade Diplomatie setzt auf langfristige Strategien, die höchste Formen der Vernunft verlangen. Jedem anderen arabischen Staat ist das zuzutrauen, der Türkei nicht, oder: nicht mehr. Sie ist bereits mitten drin im einzigen wirklich despotischen System alten orientalischen Zuschnitts, das es seit hundert Jahren in diesem Raum gibt.

Noch eine Parallele fällt auf: Die der Verschwörungstheorien, die allesamt auch ein mögliches (und dumpf geahntes) Scheitern vorwegnehmen, indem sie die Dolchstoßlegende vorbereiten.

In Wahrheit hat aber diesen Leuten nichts wirkliche Bedeutung, außer - sie selbst, und einige willkürliche persönliche oder gar fixe Ideen. Es zählt als Amtsbild aber nur das narzißtische Bild das sie mit sich tragen, in dem man sich als Machtvollzieher sieht und eigentlich nur den Attributen Aufmerksamkeit schenkt, die damit einhergehen. Da zählt sie Armbanduhr mehr als das Gegenüber, das im Stuhl vor einem sitzt und mit dem es um etwas zu verhandeln ginge. So einfach ist das oft unter Menschen.

Der Mensch handelt aus Stimmungen, aus Gestimmtheiten als Gerichtetheiten seiner Persönlichkeit. Sie sind es, die sein rationales Gebäude, seine Vernunftstruktur bestimmen.

Es fällt auf, wie viele der derzeitigen Männer, die das europäische Geschehen bestimmen, diesen Typus verkörpern. Und das muß Angst machen, denn sie sind der Garant dafür, daß Vernunft keine Chance hat. Daß sie eines ganz sicher nicht tun: Zukunft schöpferisch gestalten, so sehr sie genau das behaupten.





*090816*