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Mittwoch, 28. Dezember 2016

Antriebe zur Reformation (2)

Teil 2) Antikapitalismus als Motiv der Reformation


 

Vielleicht muß man dazu noch einmal erinnern, daß nach katholischer Naturrechtslehre Zins prinzipiell verboten war. Geld an sich ist steril, das heißt: es kann sich niemals aus sich selbst heraus vermehren. Es ist immer mit Arbeit und Menschen verbunden und geht auf sie zurück. Der Kredit ist deshalb nur eine Hilfe. Eine Gebühr, einen Zins dafür zu verlangen ist höchstens dann gerechtfertigt, wenn die Geldleihe mit direkten Kosten verbunden ist, und nur in dieser Höhe, oder wenn mit der Leihe des Geldes bereits der sichere Verlust einzurechnen ist. Der SICHERE Verlust! Ein nur MÖGLICHER Verlust fällt nicht darunter, muß scharf unterschieden werden. Denn dieser hängt immer mit dem Menschsein selbst zusammen, und eine MÖGLICHE Zukunft darf nicht in Rechnung gestellt werden. 

Diese VerlustMÖGLICHKEIT (also das Risiko, das ja mit jeder menschlichen Tätigkeit, ja Existenz verbunden ist, wozu auch die höhere Gewalt zählt) als GEGEBEN anzunehmen und als Grund für Zinsnahme zu sehen ist also in sich bereits unmenschlich. Denn ein Kreditgeber, so die überkommene Lehre, ist immer auch als ein Mit-Unternehmer anzusehen, er darf nicht das Risiko auf den Kreditnehmer abwälzen, weil er dann dessen Notlage ausnützt, wie es aber mit einem verzinsten Kredit geschähe. Nur dann ist Geldleihe menschengerecht.

Erstmals wurde in Bologna 1514 aber dieser mögliche Verlust als gerechter Grund akzeptiert, zumindest wurde Ecks Position nicht verboten. Das war für die Entwicklung des modernen Kapitalismus von entscheidender Bedeutung. Erstmals ließ die Kirche den Wucher offiziell zu. Und er trug fortan aus der Nähe von Eck und Fugger den Geruch der Korrumpierung.

Nun waren europäische Länder wie Spanien, England oder Frankreich wesentlich zentral verfaßt. Anders als Deutschland. Von dort flossen nämlich nun große Mengen an Geld (das damals praktisch ident mit Gold war) ab, was der deutschen Wirtschaft alles andere als gut bekam und Rezession auslöste. Geld floß aus dem Land und in hohem Maße nach Rom. Wir haben an dieser Stelle bereits von der entstandenen Synonymität von Geld und Blut geschrieben. Der Spruch mancher deutscher Wortführer, wie des Dichters Ulrich von Hutten, daß "Deutschland ausblute", hat sehr direkt damit zusammenängende Ursachen.  Otto von Flake schreibt in seiner Biographie über Hutten, wie sich bei diesem solche Ansichten auffällaned  parallel mit persönlichen Schicksalen zeigen. 

Hutten hatte sich mit der "französischen Krankheit" angesteckt, der Syphillis. Diese war von zurückkehrenden Seeleuten aus Lateinamerika (der interessierte Leser findet in diesem Blog eine eingehende Geschichte und Wesensanalyse der Syphillis, er möge das Stichwort nachschlagen) über die Spanier nach Italien und Frankreich gelangt, und nachdem des letzteren Landes König Karl VIII. in halb Europa engagiert war, wurde sie tatsächlich maßgeblich von seinen Soldaten verbreitet. 

Jakob Fugger, der in enormem Ausmaß sozial tätig war - die Sozialstandards in seinen Unternehmen halten selbst heutigen Sozialstaats-Ansprüchen locker stand; Fugger baute in Augsburg sogar bis heute vorbildhafte Siedlungen, die "Fuggerei", die seinen Arbeitern und deren Familien würdige Lebensumstände bringen sollten - errichtete daraufhin (zusammen mit den Welsern, einem weiteren mächtigen Handelshaus) mitten im Augsburger Armenviertel eine eigene Heilstätte für (arme) Syphilliskranke, das "Holzhaus". In der das damalige Wundermittel dagegen (gewonnen aus dem brasilianischen Guayak-Baum) zur Anwendung kam. Hutten, der zum Außenseiter wegen der abstoßenden Symptome der Krankheit geworden war, deren Geschwüre ständig näßten und "schlechtes Blut" absonderten, nahm es in Anspruch, und erfuhr tatsächlich Linderung. Aber nur kurzfristig. Nach einigen Monaten kehrten die Symptome zurück. Huttten fühlte sich zutiefst persönlich gedemütigt.

Man weiß heute, warum das so ist. Und in dieser nunmehr tertiären Phase greift die Syphilis das Gehirn an. Man beobachtet dabei symptomatische Persönlichkeitsschädigungen - wie Gedächtnisverlust und damit zusammenhängend Größenwahn. Psychologisch gesehen höchst interessant. Denn hier zeigen sich interessante Verbindungen zum über die Lebensweise erlittenen Kontrollverlust über die Sexualität in der "sexuellen Befreiung" des 19. und 20. Jhds. und geistigen Erscheinungen (im Narzißmus). Der Leser möge das nicht als obskure Thesen ansehen, die Dinge hängen komplex aber direkt zusammen.

Huttens weitere Gang als Sozialreformer und "Kritiker des Kapitalismus" - er war mittlerweile zum Sprecher des niedergegangenen Landadels ausgewählt worden - für den er nun vor allem die Fugger (und die Kirche) schuldig machte, erfährt unter diesen Erfahrungen seine definitive Ausprägung. Als Hutten nach Rom reiste, war er dort sogar noch einmal auf die Fugger angewiesen, die ihm sogar noch den Zugang zum Papst ermöglichten.

Hutter begann die Fugger, das Synonym des Kapitalismus im frühen 16. Jhd., die massiv im Südamerikahandel mitmischten, immer mehr zu hassen, wurde in Italien zum glühenden Deutschnationalen. Und identifizierte die Fugger als Todfeinde Deutschlands, machte sie zusammen mit den römischen Päpsten zu Hauptverantwortlichen für die sozialen Erschütterungen, die zu der Zeit ganz Deutschland ergriffen hatten, und im konkreten Fall, der auch Hutten betraf, zu einem totalen Niedergang des "durch den Kapitalismus" verarmten Landadels führten. Und weil man die wirtschaftlichen, finanztechnischen Zusammenhänge, die für den Uneingeweihten damals (und heute anders?) wie Mysterien aussehen, nicht mehr durchschaute, wurde alles zu dunklen Machenschaften des Teufels erklärt.

Hutten wurde so zu einem der Motoren der Reformation in Deutschland. Denn der Einfluß seiner Sichtweisen auf Ökonomie und Politik auf Luther wurde beträchtlich. Weil Luther, der nicht nur die finanztechnischen Konstellationen der Zeit ebenfalls nicht mehr durchschaute, schlichtweg die wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen 200 Jahre zu einem Rückschritt ins finstere, dämonische Heidentum erklärte. Er zog sich in die Wolken zurück, und erklärte 1520 angesichts der für ihn unentwirrbaren Zusammenhänge menschlichen Lebens einerseits das Leben des Bauern (im Mittelalter) zum Ideal, während er anderseits meinte, daß der geistliche Prediger sich um alle diese Dinge ohnehin gar nicht zu kümmern habe. Er habe nur die Schrift zu verkünden, und im übrigen solle jeder nach seinem Gewissen handeln. Wenn jemand es damit vereinbaren kann, Zinsen zu verlangen, dann solle er halt. Natur und Gnade hatten für Luther sowieso keinen Zusammenhang mehr. Wirtschaftsrationalität und Moral waren endgültig zwei völlig verschiedene Dinge geworden, deren ersteres für das Heil des Menschen bedeutungslos weil sowieso durch die Ursünde Teil einer rettungslos gefallenen Welt war. Zu versuchen, die Wirtschaftswelt moralisch zu machen, war für ihn "verlorene Liebesmüh." Am besten, schrieb er, macht man deshalb alles in bar. Dann braucht man keinen Kredit. Denn getreu der Sichtweisen Huttens war alles Kaufmännische ohnehin des Teufels und an allem Schuld. Damit konnte sich eine Kirche gar nicht befassen, ohne wie der Papst zum Anti-Christen zu werden.

Damit war dem Kapitalismus aber endgültig Tür und Tor weit weit geöffnet. Denn alles war erlaubt. Ja, der totale Raub des Kirchenguts, der in Deutschland einsetzte, war für Luther sogar eine heilsnotwendige Tat.





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