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Sonntag, 4. Dezember 2016

Die Muße zum Tag

Diese Aufnahme von Walter Fraunfels' (1888-1954) Oper "Die Vögel" (1919) nach der Komödie des Aristophanes sei dem Leser wärmstens ans Herz gelegt. Ein hervorragendes Ensemble unter dem Dirigat von Lothar Zagrosek bringt dieses man möchte sagen: neuromantische Werk, das nicht vergessen werden sollte, mit wunderschönen, bewegenden Passagen und äußerst kantabilen Arien wirklich zum Leuchten. Der Leser nehme sich, mit dem einem und anderen Glas guten Weines zur Steigerung der sinnlichen Erlebensfähigkeit ausgestattet und im Polsterstuhle - nicht zu weich, um nicht in den Traum abzusinken; denn der Genuß in der Kunst liegt in der wachen Tätigkeit des Nach-, nein: Vorschaffens; Wahrnehmen heißt immer, ein geistiges Verhalten des Ich ZU dem physisch Bewegten in den Sinnen - entspannt aufnahmebereit und hingegeben, diese zweieinviertel Stunden. Er mag jeden Gedanken vergessen, auch den, wie aktuell das Werk ist, er wird es ohnehin erleben. Das Ewige ist immer aktuell.

Übrigens: Weiß der Leser, daß ein wirklich gutes, hohes Kunstwerk zu genießen einen Teilablaß zeitlicher Sündenstrafen bringen kann? Wer Kunst genießt, wird es nachvollziehen können. Denn man verläßt eine solche Darbietung zutiefst gereinigt  - Katharsis! - und zum Geist erhoben, im wahrsten Sinn. Ein Volk, das die Kunst pflegt und genießt, steht also auch ganz anders in seinem Schicksal da. Denn in der Anschmiegung an die Kunst, die Musik im besonderen, wird der Mensch jenem Ewigen gleichgeformt, in dem Ordnung, Harmonie eine Schale für den Willen Gottes, ja diesem gleichgestimmt weil offen ist. Kunst und Heiligkeit, Künstler und Heiliger sind Synonyme. Jesus war der größte Künstler, ja die Kunst selbst.

Als das Werk im Kölner Zwischenkriegsdeutschland 1930 aufgeführt wurde, war es ein Publikumshit - und zwar für die Kölner selbst. Wochenlang waren die Vorstellungen an der Oper ausverkauft. Sein Te Deum war ein vielgespieltes Werk. Es war Kölns damaliger Bürgermeister Konrad Adenauer, der den Komponisten (wie so manch andere Künstler) in die Stadt am Rhein holte. Denn er wußte, wie grundlegend das Volk gute Kunst (und reine, schöne Liturgie - der Katholik Adenauer kümmerte sich auch direkt um die Erneuerung des Chorals in der Liturgie) braucht, um jene Kraft wiederzufinden, aus der es sich zu neuer sittlich-kultureller Höhe erheben konnte. Auch nach 1945 verfolgte Adenauer diesen Gedanken. Deutschland brauchte vor allem eine geistige Erneuerung, wollte es wieder auf die Füße kommen, und dazu brauchte es kulturelle Zentren mit Strahlkraft. Das sah er als Aufgabe der Politik.

Kunst ist eben kein "Superplus" eines affektierten Lebenssstils, den man sich auch mal leistet, sondern jene Inkarnation der Ordnung, des Schönen, des Wahren, aus der der Mensch seinen Alltag leben (können) muß, will er  nicht in Chaos und der Hölle der Unvernunft (denn Vernunft ist eine Dimension der Ordnung im Menschen) versinken. Jeder Sonntag ist deshalb jene Tankstelle, aus der die Welt erneuert und vom Anfang her begonnen wird.

Für Adenauer hatte es deshalb oberste Priorität, daß sich "sein" Köln zu einem Zentrum der Kunst entwickeln sollte, ja mußte, vor allem anderen, sollte das Kölner Volk wieder zur Kultur aufstehen - und das heißt: wieder Mensch werden. Kunst aber ist ohne Religion nicht denkbar. Der "Halbjude" Braunfels, aufgewachsen als Protestant, war damals längst zum Katholizismus konvertiert. Nach 1945 fand man seine an Wagner, Berlioz und Pfitzner anklingenden Werke "nicht mehr zeitgemäß". Er wurde im Deutschland des Konsumismus jahrzehntelang nicht mehr gespielt.

E. Michael Jones meint nicht nur, daß die 1920er Jahre jener Zeitraum waren, in dem die Harmonie und Tonalität der Musik zerstört wurde, sondern daß dies ein Ergebnis der sexuellen Frustration einer halben Generation von Komponisten war, der sich besonders in der Musik ausbreitete und damti die Gestimmtheit der Welt veränderte. Komponisten und Künstler, die nun wider alle Ordnung ankomponierten, um ihre eigene Ungeordnetheit zur Wirklichkeit der Welt zu machen. Denn man kann es drehen, man kann es wenden: Es ist der Eros (und damit seine Störung: die "freie", für sich stehende Sexualität, zu der er sich meist entwickelte) der das Grundanhalten des Menschen zur Welt bestimmt. Weil es die Haltung Gottes zur Schöpfung ist, dessen geliebte und wiederliebende Braut er im täglichen Tageskuß in seinen verschwenderischen Armen hält.















*081016*