(Auf Bitten Dritter hin veröffentlicht der VdZ auch diesen Brief an dieser Stelle,
in leicht veränderter, "entprivatisierter" Form.)
Sopron, am 30. September 2017
Meine liebe Z!
Schon den Schlag der
Turmuhren zur fünften Stunde habe ich heute wach erlebt, und bin auch
bald danach aufgestanden, ich konnte nicht mehr einschlafen. Auch
gestern habe ich tagsüber eine gute Stunde im Bett verbracht, das wirkt
sich nun wohl auf den Nachtschlaf aus. Seit zwei Stunden sitze ich nun an
meinem gewohnten Platz und schreibe Briefe, Antworten, die sich zur
Erledigung angesammelt haben.
Darunter ein Brief eines der
Kurgäste, R, vom Nebentisch. Den man glatt unterschätzen könnte, so
neben einer weltweit agierenden Opernsängerin, einem kroatisch stämmigen Bildhauer, und einem "berühmten Schauspieler" (wie man hier spricht) ;-) Ein seltsamer Zufall, der hier waltete, wer würde eine solche Konstellation in einem normalen Kurhaus erwarten? Denn der Mann ist
u. a. Übersetzer von Büchern, spricht eine Menge Sprachen, darunter Russisch, und
hat durchaus geistige Qualitäten. Daß er sehr nihilistisch denken
dürfte (direkt oder persönlich sprachen wir darüber nicht, das tut man auf einer Kur auch nicht, da bleibt die Welt, also auch das Ich in der Welt, weitgehend außen) ist ein eigenes Problem, ich habe es in meinem Brief angedeutet,
mal sehen, ob es zu einer Diskussion kommt. Ich fürchte - nicht.
Zwei Wochen ist die Kur bald vorüber. Und was in der geschützten Traumatmosphäre problemlos nebeneinander leben konnte, wird im Alltag, zurückgestoßen in eine Identität, in der Regel wieder zu Unvereinbarkeiten, denen man sich gar nicht aussetzen möchte.
Zwei Wochen ist die Kur bald vorüber. Und was in der geschützten Traumatmosphäre problemlos nebeneinander leben konnte, wird im Alltag, zurückgestoßen in eine Identität, in der Regel wieder zu Unvereinbarkeiten, denen man sich gar nicht aussetzen möchte.
Jedenfalls hat er mir ein Buch empfohlen, an dem er immer wieder mit einem Italienisch-Wörterbuch arbeitete, denn er las es natürlich in Originalsprache - "Tatarenwüste" von Dino Buzzati. Ein
italienischer Existenzialist der 1920er Jahre, der dort und damals angeblich viel
Einfluß hatte, heute aber völlig vergessen ist. Das Thema von
"Tatarenwüste" aber ist interessant, wenn ich auch vermute, daß ich es
anders deuten werde als R. Oder die Literaturkritik es tut. Oder Buzzati selber.* Ein Mann, Soldat, völlig eingebunden in Pflichten, v. a. die
Pflicht zur Obacht vor den Tataren, die ständig erwartet werden - aber
nie kommen. So versinkt alles, was er tut, sein gesamtes Gebäude an
Abläufen und Notwendigkeiten, in eine fragwürdige Leere.
Natürlich wird dies als Metapher für unsere Existenz verstanden, und ist nihilistisches Bild unseres Lebens auf der Erde, das seine Abläufe nur dann halten kann, wenn es eine Aufgabe hat, die aber immer nur Schein ist. Alles Leben hat damit kein fundamentum in re, sondern ist lediglich menschliches Abkommen, um nicht ins Nichts zu versinken. Glücklich also jene, die ganz in ihren Aufgaben untergehen, ohne je an das große Ganze der Leere zu denken.
Natürlich wird dies als Metapher für unsere Existenz verstanden, und ist nihilistisches Bild unseres Lebens auf der Erde, das seine Abläufe nur dann halten kann, wenn es eine Aufgabe hat, die aber immer nur Schein ist. Alles Leben hat damit kein fundamentum in re, sondern ist lediglich menschliches Abkommen, um nicht ins Nichts zu versinken. Glücklich also jene, die ganz in ihren Aufgaben untergehen, ohne je an das große Ganze der Leere zu denken.
Daß es faktisch oft
so ist, zumalen heute, ist ein eigenes Problem. Das macht das Buch
wahrscheinlich zum Gewinn, wenn ich es denn einmal lese, denn der Stoß
"zu lesendes" ist verdammt hoch. Und manchmal erreiche ich seine Spitze
gar nicht mehr, zumindest befürchte ich das. Denn das kann schon
entmutigen. Längst habe ich ja mit Gedanken zu tun die mir sagen: das
wird sich in deinem Leben nicht mehr ausgehen!
Wäre
ich heute noch jung, würde ich vermutlich ja anders lesen. Weniger
Bücher, aber diese immer wieder und wieder. Oder geht das nur auf, wenn
man bereits so viel gelesen hat wie ich, und so viel Verschiedenes? Wenn
man also die Weite des Terrains kennt, auf dem man sich bewegt? Oder
geht das nur auf, wenn man die Gnade und Chance hat, sein Leben in ganz
engen Grenzen zu leben, etwa in einer kleinen Klosterklause, wo das
Viele zugunsten des Tiefen Einen gar nicht an einen herandringt?
Woher
hätte ich sonst eine gewisse Fundiertheit beziehen sollen? Es gab die
Lehrer nicht, die Väter, die Ahnen, die mir das übergeben hätten, auf
dem ich stehen hätte können. Worauf ich wirklich zu stehen kam, das
Unbewußte, das Reale, das Fleischliche gewissermaßen, das zu entdecken
mußte ich halt so viele und weite Wege gehen.
Zwei
Wochen sind es fast schon seit der Kur. Eine Woche seit Mohács. Gestern
war ich wieder in der Weinhandlung "bor & bar". Zu meiner Enttäuschung
hatte man wieder nur eine Flasche von diesem Sárga Muskotaly (sprich:
Schargo Muschkotoij) aus Pannonhalma. Ich habe sie noch gestern Abend
geleert, konnte ihn aber nicht mehr so genießen, wie am Samstag, wo er
uns ja so herrlich gemundet hat.
Ganz langsam
habe ich in den letzten Tagen wieder in etwas Arbeit gefunden.
Einerseits fehlt es mir immer noch an Kraft, das ist sehr frustrierend. Anderseits
und daran anknüpfend, denke ich, bin ich geistig sehr sehr schwach.
Entweder heißt das, daß ich in nächster Zeit viel viel schreiben muß,
um das viele, daß sich in den letzten Wochen und Monaten angesammelt
hat, wieder aufzulichten, zu ordnen, ja überhaupt erst "zu erleben" (und nicht nur zu sammeln). Denn das ist es vermutlich, das mich so
vernebelt, wie ich es empfinde. Oder es ist eben doch nur eine
Auswirkung der körperlichen Zustände, die nach Deiner Abreise und dem nun folgenden Mangel an Pflege wieder
zurückgefallen sind.
Ob gar diese
gewisse Mutlosigkeit damit zu tun hat kann ich endgültig nur vermuten.
Irgendwie fühle ich mich [...] an einen Punkt zurückgeworfen, wo auch
kleinste Gewißheiten wieder aufgelöst sind. Denn mir fehlt jede Ahnung,
wie was weitergehen soll. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich so
etwas zuletzt erlebt habe. Ich glaube zwar schon zu sehen, daß es an Initiative fehlt - von
mir. Denn man muß schon hinausgreifen, von selber wird nichts. Aber ich
sehe auch keine Möglichkeiten, die ich ergreifen könnte. Und ich
fürchte auch, daß ich in den letzten Jahren zurückgefallen bin, wage
nicht zu sagen, ob die Resignation, die mich in vielen Betrachtungen
umfängt, Ursache oder Folge ist. Diese gewisse Werklosigkeit, die ich empfinde, macht mir
schwer zu schaffen. Ob nämlich nicht das Blog nur den Schein einer Tätigkeit
ist? Ich habe manchmal den Verdacht.
Mit
gewisser Trauer denke ich an das schöne, große Weingut in Mohács, als das sich das kleine Schlößchen herausgestellt hat. Vor 20 Jahren hätte das für mich
vermutlich noch den Aufruf bedeutet, der Welt einen Würfel zu schlagen.
Denn um etwas aufzubauen braucht es Mut und Entschlossenheit, gegen
alle Widerstände. Und Kraft. Damals hatte ich noch diese Kraft. Heute? Nicht mehr. Zumindest momentan. Das bedrückt mich.
Denn ich denke, daß das mehr mit den Lebensaltern zu tun
haben könnte als mit meinem momentanen Gesundheitszustand. Auch der - ein Signum des Lebensalters, Quittung des bisher Gelebten, Erlebten. Denn im Leben hat alles seine Zeit, jedes Lebensalter seine Aufgaben im Rahmen eines Ganzen, Einen, das ein Leben schließlich ist. Und man muß als Alternder, der ich zu sein mich allmählich gewöhnen muß,
auch lernen seine Adäquatheiten zu akzeptieren. Dafür hätte man ja dann die Söhne, sie werden zu eines Hand. Sie wären eine Frucht. Aber die
Zerstörungswut von vielen Frauen [...] greift also hier deutlich erkennbar auch auf
die Zukunft der Väter aus, und das ist ja wohl die Absicht dahinter. In der
Zukunftslosigkeit meiner Söhne bzw. Kinder, in der ich das genau so erfahre.
Morgen Teil 2) Wie das Zeitypische aber noch waltet.
So erklärt sich auch Merkel.
*011017*