Die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung war ganz deutlich auf Seiten der Sioux-Indianer. Presseberichte, die deutlich erkennbar auf Frieden orientierte Politik der Ureinwohner, die vielen Vertragsbrüche der Vergangenheit - man wollte nicht, daß den Indianern weiter Unrecht geschieht, man wollte sie einfach leben lassen.
Das wurde zu einem politischen Problem, denn es gab massive Einzelinteressen von Banken und Kapitalgesellschaften und Glücksjägern, Spekulanten, die auf den Verlust des Großteils der Sioux-Gebiete spekulierte. Man brauchte sie um die Bahngleise weiter verlegen zu können (die man trotz der bestehenden Verträge bis an die Grenzen des Sioux-Gebietes verlegt hatte, nun standen die Baumaßnahmen), man brauchte sie um die Interessen der Banken zu "schützen", die viel Geld als Kredite vergeben hatten, man brauchte sie um der Spekulationslust vieler Amerikaner Genüge zu tun, denn man vermutete - mit Recht - dort große Goldvorkommen.
Nun weigerten sich aber die Indianer, ihre Gebiete herzugeben! Milliarden Dollar standen am Spiel, möglicherweise ein Börsencrash, der Zusammenbruch einiger Banken und Unternehmen, ja vielleicht gar ein Staatsbankrott. Das Spekulationsvolumen war enorm angewachsen, das US-Finanz-System extrem fragil geworden.
Was also tun? Es gab nur einen Ausweg, die Mühlen der Interessen begannen zu mahlen, wie sie es immer seit je, und seither sowieso taten, mit immer demselben Schema: Man provozierte den Gegner so lange, bis dieser nicht mehr anders konnte, wollte er nicht untergehen, als militärisch zuzuschlagen. Damit war die amerikanische Aggression - getrieben von purer Gier, von purem Machtrausch, der 1941 bekanntlich zur globalen Angelegenheit eskalierte, als Roosevelt diesen Anspruch auf Weltdominanz erstmals offiziell zum Staatsziel erklärte - "moralisch gerechtfertigt" und eine reine Verteidigungsaktion, um seine Bürger zu schützen. Kommt dem Leser diese nicht bekannt vor? Dieses Schema der Niedertracht und Heuchelei zieht sich durch die gesamte amerikanische Geschichte.
Der Kongreß in Washington begann auch 1874 nachweislich mit einem Szenario zu spekulieren, in dem der Einsatz der US-Armee "zum Schutze amerikanischer Bürger" einen Vertragsbruch und eine Enteignung der indianischen Gebiete rechtfertigte. Nur mußte das moralisch gerechtfertigt erscheinen, denn man mußte die Wähler gewinnen.
Dazu ließ man die einzelnen Spekulanten und Abenteurer - allesamt Gesetzesbrecher - einfach gewähren, ja ermutigte sie, und viele hunderte, ja tausende Amerikaner drangen in die Gebiete (u. a. am Little Big Horn, ein wildreicher Landstrich, der den Indianern besonders heilig war) ein und begannen, nach Gold zu schürfen. Lange hielten sich die Sioux zurück, ihre Häuptlinge fuhren wieder und wieder nach Washington, wiesen wieder und wieder auf die Vertragsverletzungen hin. Aber nichts änderte sich.
Es gibt Aufzeichnungen über die Beratungen der Indianer. Sie wußten längst, worauf die Politik der Washingtoner Regierung abzielte. Wehrten sie sich gegen die durch Private durchgeführte, willkürliche Enteignung, Morde, Schlägerungen, Ausrottungen des Wildbestandes, was alles ja amerikanisches Gesetz brach, würde die Armee zuschlagen. Anderseits drängten die Neuankömmlinge, die Eisenbahngesellschaften, die Bergbaugesellschaften nicht nur ins Land, sondern sie zerstörten ihre Lebensgrundlage.
Einer der Spekulanten war übrigens ein gewisser ... General Custer. Er hatte 20.000 Dollar durch Vorinvestitionen in eine Goldmine investiert, die ihm weder gehörte, und die offiziell und den Gesetzen nach auch gar nicht in der Verfügung der amerikanischen Regierung stand.
Da entschlossen sich die Sioux, immer weiter in die Enge getrieben und an den Rand ihrer Existenzfähigkeit gebracht, zurückzuschlagen, und begannen, die vertragsbrüchigen Eindringlinge zu bekämpfen. Sah nicht das amerikanische Recht vor, daß Mord mit Todesstrafe belegt wurde? Die eindringenden Weißen mordeten wahllos Indianer. War es da nicht rechtskonform, wenn diese nun zurückschlugen, die Schuldigen bestraften, berieten die Häuptlinge?
Sie hatten aber nicht, weil sie lustig oder dumm und rechtsfanatisch waren den Kampf gewählt. Sondern sie entschieden sich ganz bewußt für die Ehre, entschieden sich angesichts der Tatsache, daß die Weißen sie gelehrt hatten, den Tod zu lieben, eine neue Erfahrung. Aber nur so konnten sie ihren eigentlichen Lebenssinn - der weit jenseits von materiellem Wohlstand lag, den die Weißen ihnen ja gewissermaßen geboten hatten - erfüllen, der nun in den Tod führte, absehbar in den Tod führte, denn sie wollten eines ganz sicher nicht: Die Lebensweise der Weißen annehmen. Deren Folgen sie ganz exakt erkannten: Die Lebensweise der Weißen führte "zum Vergessen". Sie führte zu einem menschenunwürdigen Leben des Traumes, der Unwürdigkeit. Sie wollten aber nicht "wie ein Hund leben", sondern "in Freiheit, und darin lieber sterben., wie Crazy Horse es formulierte.
Darauf hatte Washington - nicht das erste, schon gar nicht das letzte mal Instrument von Kapitalinteressen - aber nur gewartet. Als die US-Regierung den Sioux am 6. Juni 1875 anbot, das Gebiet um 6 Millionen Dollar zu kaufen, lehnten die Indianer erwartbar ab. Zu diesem Zeitpunkt hatte alleine die von Genral Custer besessene und ausgebeutete Goldmine bereits einen Gewinn von 20 Millionen Dollar abgeworfen. Auch eine Überlassung von Schürfrechten "auf jene Zeit, bis die Bodenschätze ausgebeutet waren" lehnten die Indianer ab.
Unverblümt begann nun die Regierung in Washington einen Vernichtungsfeldzug vorzubereiten. Der Anlaß, auf den man gewartet hatte, war da. Am 9. Dezember 1875 erklärte sie "zum Schutze der weißen amerikanischen Bürger" sämtliche Indianer, die das Gebiet des Little Big Horn nicht bis zum 31. Jänner 1876 verlassen hatten, zu Staatsfeinden, die man mit militärischen Mitteln unter Druck setzen würde. Dabei hatte doch bereits am 1. 2. 1875 das Kriegsministerium General Sherman beauftragt, militärische Maßnahmen in die Wege zu leiten. Tausende Soldaten gingen in Bereitschaftsstellung, tausende wurden in die Indianergebiete verlegt.
Die Regierung erklärte als Rechtfertigung, daß sie "außerstande" sei, die Indianergebiete von Weißen zu säubern. Also sei ein baldiger blutiger Konflikt zu erwarten. Um aber die Amerikaner zu schützen, mußte man Soldaten einsetzen.
Red Cloud, einer der Sioux-Indianer war sich völlig im klaren, was nun passieren würde. Es gab von zahlreichen anderen Stämmen Erfahrungswerte, niemand hatte noch Illusionen. Der Untergang der Sioux war besiegelt, das Schema des Raubzuges der Weißen war nämlich überall gleich.
Die legendären Crazy Horse, Gall und Sitting Bull waren derselben Meinung. Entweder kapitulierte man und nahm das Terrordiktat des "Großen Weißen Vaters" in Washington an, oder man ging kämpfend unter. 35.000 Sioux mit 7.000 kampffähigen Männern diskutierten in einem riesigen Powow, was man tun sollte. Die Entscheidung fiel, und sie war klar: Lieber kämpfen und sterben, lieber als freie Menschen sterben, als diese Entwürdigung, diese Entmenschung zu ertragen.
Was nun passierte, besiegelte aber auch ihr Schicksal. Denn sie errangen zwar erst überwältigende Einzelsiege gegen die US-Soldaten. Aber alle diese Siege - die Indianer wußten das - waren nur die Besiegelung ihres Untergangs.
Am 17. März 1876 griff Colonel Reynolds das Winterlager von Crazy Horse an, schien es auch in einem Angriff zu vernichten, da fiel er auf eine Finte der Indianer herein, und konnte nur mit letzer Kraft und heilloser Flucht eine völlige Vernichtung seiner Truppen vermeiden. Am 17. Juni 1876 bot General Crook eben diesem Crazy Horse eine Schlacht am Rosebud River eine Schlacht an, auf die dieser tatsächlich einging - aber Crook kann seine Soldaten nur durch wilde Flucht vor der totalen Niederlage retten.
Am 25. Juni 1876 greift schließlich General Custer mit seinem 7. Kavallerie-Regiment am Little Big Horn River die Sioux an. Und hier erleidet die US-Armee die bis dahin schlimmste Niederlage ihrer Geschichte, mit 265 Toten und 52 Verwundeten. Unter den toten Offizieren sind General Custer, sein Bruder und sein Neffe.
Nach diesem großen Sieg aber wußten die Indianer endgültig, daß sie auf Biegen und Brechen von der US-Armee gejagt werden würden. Ihr Untergang war nur eine Frage der Zeit. 1877 setzte sich deshalb Sittung Bull mit einem Großteil seines Volkes nach Kanada ab. Die Armee konzentrierte sich nun auf die Vernichtung aller Indianer-Gruppen, deren sie noch habhaft werden konnte. Eine Gruppe nach der anderen unterschrieb schließlich einen Vertrag, in dem sie die Gebiete des Little Big Horn und der Black Hills an die US-Regierung abtraten.
*071017*